Rosenkranz-Ästhetik

cover-rosenkranzKarl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg 1853.

Hrsg. und mit einem Nachwort von Dieter Kliche.

(Reclam-Taschenbuch 21555) Stuttgart:
Reclam 2015, 496 S

 

 

 

 

 

 

 

Die Welt ist nicht nur schön:
Aber ist das Hässliche eine unbezwingbare Macht?

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz: Rosenkranz hat eine Ahnung vom Unschönen und Hässlichen, beurteilt es aber meist mit den Kategorien der Kunst. Die Frage nach dem Bösen gerät aus der Sicht, weil die Karikatur es lächerlich, ohnmächtig macht.

Im Einzelnen: Für Religionswissenschaftler ist dieses Buch ein wenig bekannter Klassiker! Als 1988 Hubert Cancik und Hubert Mohr ihren grundlegenden Artikel „Religionsästhetik“ schrieben, machten sie dort deutlich, dass gerade für Religion die Darstellung dessen einen grundlegende Aspekt darstellt, was erschreckt, anwidert, abscheulich ist und wie dies ästhetisch dargestellt wird als das Hässliche.[1] Damit knüpfen sie an die Ästhetik an, die Alexander Gottlieb Baumgarten (1714 in Berlin – 27. Mai 1762 in Frankfurt/Oder) 1750 und 1758 auf Latein geschrieben hatte.[2] Und speziell mit diesem Titel veröffentlichte 1853 Johann Karl Friedrich Rosenkranz (1805 in Magdeburg – 1879 in Königsberg in Ostpreußen) die Ästhetik des Hässlichen.[3]

Ästhetik, so macht er deutlich, kann nicht die Lehre vom Schönen sein. So hatte das Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) verstanden und als das vorbildlich Schöne die Kunst­wer­ke der Antike zu studieren empfohlen. Gotthold Ephraim Lessing öffnete das Problem mit seinem Büchlein Laokoon (1766) an der Frage, wie man ästhetisch in Malerei oder Bildhauerei Schmerz und Schreien darstellen könne. Um diesen Bereich analysieren zu können, muss eine Ästhetik folglich auch das Häss­liche (oder das „Negativschöne“ S. 15, p. 11. 27. 29) einbeziehen und dafür die Kriterien ent­wickeln, was warum schön oder hässlich erscheint. Im Unterschied zu Winckelmann und Lessing spricht er seltener über die Werke der „klassischen“ Antike, sondern wagt häufig ziemlich scharfe Urteile über gegenwärtige Künstler (die man über den Namensindex gut auffindet, z.B. zu Hebbels Maria Magdalena S. 108-111, p. 96-98). Dennoch geht er von allgemein-gültigen Regeln aus, die für alle Kulturen gelten. So kann er behaupten: „Der Kretin ist noch hässlicher als der Neger, weil er zur Unförmigkeit der Figur auch noch die Stupidität der Intelligenz und Schwäche des Geistes hinzufügt. Seine stumpfen Augen, seine niedrige Stirn, seine hängende Unterlippe, seine gegen den Stoff indifferente Fressgier und sexuelle Brutalität stellen ihn unter den Neger und nähern ihn dem Affen, der ästhetisch vor dem Kretin voraushat, nicht Mensch zu sein.“(S. 37/p.31f). Das ist für ihn „natürliche“ Hässlichkeit. Dass, was als schön und was als hässlich gilt, sich in den Zeiten und Kulturen verändert oder ganz anders bewertet wird, das hat der Philosoph mit seinen Prinzipien und Kriterien nicht erkannt. Platons Idee, dass das Gute immer schön sei, das steht für ihn fest (v.a. S. 305/ p.325)

Als Kriterien, an denen Hässlichkeit erkennbar ist, stellt er unter drei große Teile: Die Formlosigkeit, die sich äußert in Amorphie, Asymmetrie und Disharmonie. Der nächste große Teil ist dann die Inkorrektheit und der dritte Abschnitt gilt der Defiguration oder Verbildung. Dieser Teil ist der ausführlichste und konkreteste. Diese diskutiert er an dem Kleinlichen, dem Schwächlichen und dem Niedrigen, dem Gewöhnlichen, Zufälligen und dem Rohen. Davon unterscheidet er das Widrige, nämlich das Plumpe, das Tote und Leere, das Scheußliche, was er wiederum entfaltet als das Abgeschmackte, das Ekelhafte, das Böse mit dem Verbrecherischen, Gespenstischen, Diabolischen.

Rosenkranz schreibt genau zu der Zeit, als man fast überall in Europa nach der Stilepoche der Klassik mit ihrer Lust auf Symmetrie, Klarheit, wenig Ornament die Phantasie entdeckt: Die Entdeckung der Nacht, des Wildwuchs im Walde, das Unheimliche, das Exotische: die Epoche der Romantik. Und damit die nicht (mehr) schönen Künste. Rosenkranz nimmt das wahr und kann das auch beschreiben, aber er fasst es doch negativ unter dem Hässlichen. Mit zwei Auswegen, die doch diese andere Kunstauffassung gelten lässt. Zum einen sieht er, wie das Hässliche durch das Lachen einen Stellenwert in der Kunst haben darf: Das Komische und die Karikatur (das letzte Kapitel S. 361-399/ p.386-432). Damit muss das Hässliche nicht verboten werden, sondern darf stehen, weil es als lächerlich entlarvt wird. Zum andern kommt an wenigen Stellen zum Vorschein die Ahnung von den nun nicht mehr nur schönen Künsten.[4]

Andrerseits stellt sich die Frage nach dem Bösen anders: Während Immanuel Kant die Existenz des Bösen reduziert hatte auf das moralisch Böse, das von Menschen gemachte (d.h. Naturkatastrophen oder das Unglück, das Gott zulässt, werden als rational nicht erklärbar herausgelassen),[5] aber dennoch das radikal Böse und den „Hang zum Bösen“ den Menschen eingeboren erklärt,[6] dann löst sich die Existenz des Bösen weitgehend auf, sie ist ein ästhetisches Phänomen, weder ein theologisch-spekulatives noch ein philosophisch-ethisches Problem.

Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

………………………………………………………………………………………………………………

 

 

[1] Religionsästhetik. In: Hubert Cancik; Burkhard Gladigow; Matthias Laubscher (Hrsg.): Handbuch religionswissen­schaftlicher Grundbegriffe. Band 1. Stuttgart 1988, 121-156.

[2] Lateinischer Text und deutsche Übersetzung: Ästhetik. Lateinisch-deutsch. Übersetzt, mit einer Einführung, Anmerkungen und Registern herausgegeben von Dagmar Mirbach. 2 Bände. Meiner, Hamburg 2007. Dass. München: Fink 2015.

[3] Eine Ausgabe des Deutschen Textarchivs DTA findet man im Internet mit den Originalseiten und daneben ein HTML-Text mit den Besonderheiten der Schreibweisen des Originaldrucks. http://www.deutschestextarchiv.de/dtaq/book/show/rosenkranz_aesthetik_1853 (30.4.2015). Die Seiten des Originals gebe ich nach der Seite des Reclam-Drucks mit p.# an.

[4] Bedeutende, dritte Konferenz der Gruppe „Poetik und Hermeneutik“ Die nicht mehr schönen Künste: Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. von Hans Robert Jauß. München: Fink 1968. – zu einem neuen Sammelband http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9771

[5] Die drei Kategorien des Bösen bei Leibniz, Theodizee sind das malum metaphysicum, das malum physicum und das malum morale.

[6] Hervorragend Christoph Schulte: radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche. München: Fink 1988, ²1991, der die Kritik an Kant mit einbezieht.

 

Schreibe einen Kommentar