Bernd Janowski ; Daniel Schwemer (Hrsg.): Weisheitstexte, Mythen und Epen. (Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Neue Folge 8)
Gütersloh : GVH 2015.
[XIX, 534 S. ISBN: 978-3-579-05281-6* – 148 € ]
Prätexte:
Auseinandersetzung der Bibel mit Texten aus dem Alten Orient
Nach dem siebten Band mit einer Sammlung von Hymnen, Klageliedern und Gebeten[1] aus allen altorientalischen Kulturen haben die beiden Herausgeber Bernd Janowski (Tübingen) und Daniel Schwemer (Würzburg) mit einem Team von Kennern der jeweiligen Kulturen und Sprachen mit dem achten Band von TUAT-NF für den Vergleich mit anderen Kulturen, besonders aber für den – allerdings selten angesprochenen – Vergleich mit den Texten der Bibel wichtigsten in neuen Übersetzungen und knappen Anmerkungen zugänglich gemacht. Der Band spiegelt die neuen Erkenntnisse auf dem Gebiet. Neue Folge heißt nicht, dass die Texte, die in der ersten Folge (Band 3, hrsg. von Otto Kaiser)[2] bearbeitet wurden, nun nicht mehr vorgestellt werden. Der Band steht größtenteils auch ohne die Alte Folge.[3] Vielmehr sind die wichtigsten Texte nun in einer verbesserten, vollständigeren und mit den neuen Erkenntnissen der Philologie kommentierten Übersetzung wieder vorgestellt. So ist man gut informiert und kann die neuen Fortschritte der Philologie aufnehmen für zentrale Texte. Dieser Band wird das Referenzbuch werden für alle Textsammlungen[4] und für universitäre Seminare und Seminare der Erwachsenenbildung, aber auch für die Schulen. Für jede Unterrichtseinheit über „Schöpfung“ wird man das babylonisch-akkadische ‚Weltschöpfungsepos‘ Enuma Elisch benötigen: Karl Hecker hat es neu übersetzt (S. 88-131). Das für die Geschichte von Noah Gen 6-9 bedeutsame Atram-hasis-Epos ist nun wesentlich umfassender als in von Sodens Übersetzung in TUAT-AF dargeboten (132-143). Vom Gilgamesch-Epos sind die späteren Fassungen bekannt und leicht zugänglich; für diesen Band übersetzt Pascal Attinger eine sumerische Fassung (24-36) voller überraschender Details. Unter den Hethitischen Texten sind einheimische anatolische Mythen wie der Drachenkampf Illuyanka 146-149, Telipinu 149-160. Dann der Kumarbi-Zyklus mit dem Sukzessions-Mythos der Herrschaft im Himmel 160-168. Die griechische Rezeption fehlt, etwa Hesiods Theogonie. Herbert Niehr bietet aus der großen Bibliothek von Ugarit in Syrien den Baal-Zyklus, die Epen der Könige Kirta und Aqhatu sowie die rapi‘uma-Texte, also die zu den Königsahnen, die in der Hebräischen Bibel als Rephaim ablehnend bis polemisch behandelt werden.
Die Texte aus Ägypten stammen aus der neuägyptischen Zeit, viele (fast hundert Seiten S. 348-444) demotische Erzähl-Texte und in einem weiteren Kapitel griechische Texte aus Ägypten (479-518). Sie enthalten auch (was in den anderen Kapiteln bis dahin weitgehend fehlt) Weisheitstexte, darunter der Lehre des Amenemope, die direkt zitiert ist im biblischen Buch der Proverbien (Sprichwörter 22-23; S. 329). Hier sind viele neue Texte erschlossen, wie überhaupt das Demotische ein vielfach neu zu entdeckendes Feld darstellt.[5] Hier ist auch die Frage nach dem Austausch mit griechischer Literatur, v.a. dem Epos, gestellt (350 f). Die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lukas 19, 19-31) hat ihre ägyptische ‚Vorlage‘ in der zweiten Setne-Erzählung S. 404 f (vgl. 407 mit Anm. 331: der zwölfjährige Jesus im Tempel), mit Anm. 320 oder anschließend die Oknos-Geschichte Anm. 321.
Neues bieten die von Heidemarie Koch übersetzten mittelpersischen Inschriften aus dem 3. Jh. nach Chr., darunter eine Himmelfahrt, die sie „als Vorläufer der berühmten Himmelfahrt Mohammeds betrachte[t].“, 445, Text S. 452-457. „Vorläufer“ müsste aber klären, wie ein Text aus dem vorislamischen Iran zum Prätext wird für die nach-koranische (in Sure 17,1 noch nicht erzählte) mirağ. Sehr viel ausführlicher kommentiert und erläutert Erhard Blum die berühmte Bileam-Inschrift u.a. Bei den ägyptischen Texten in griechischer Sprache ist der Fall der Sibyllinischen Orakel, Buch 3 ein Überlieferungszufall, der hier in einem aktuellen Forschungsglück zusammengeführt wird: ein Papyrus seit 1920 in Oslo bekannt, 2010 ein neues ergänzendes Stück aus Köln, dem in Australien 2011 ein neues kleines Stück hinzu gefügt wurde (498-503).
Die Formalien sind bestens dargeboten. Sehr knappe, aber gehaltvolle Einleitungen, einige wichtige und aktuelle Forschungsliteratur, dann die übersetzten Texte in einer Arial-Type mit Zeilenangabe der Edition des Originaltextes. In den Anmerkungen wenige Kommentare, wenn sie unmittelbar dem Textverständnis dienen. Zeittafeln und Karten im Vorsatz für die jeweiligen Kulturen geben die zeitliche und geographische Einordnung. Die abgekürzte Literatur und Reihen stehen am Anfang. Anders als TUAT-AF ein gebundener, gewichtiger, aber nicht riesiger Band. Der nicht nur in wissenschaftliche Bibliotheken gehört, sondern als Quellenbuch überall stehen sollte, wo man auf die geschichtlich-geistige Tradition Wert legt, gewissermaßen Weltliteratur.
Wenn man selbst mit all den Texten gearbeitet hat[6] in ihrer früheren Zugänglichkeit als TUAT-AF oder ANET, dann sieht man die großen Fortschritte, auch in der Begrenzung der Vergleichbarkeit, die vor allem die frühe Altorientalistik oft sensationsheischend weit überschritten hat: Die Bibel sei nur Postbote der altorientalischen Weisheit und Mythen, nicht aber deren Autor. Auch nicht umgekehrt die Texte der Bibel und Vergleichstexte, die nur als ‚passende‘ Schnipsel dargestellt werden. TUAT bietet Texte als gestaltete Literatur mit einer Einordnung in ihre Kultur und nicht nur dienend für den Vergleich. Mit Gelassenheit kann man die Texte lesen, ihren Eigenwert wahrnehmen, und sie als Praetexte[7] ansehen, die den Propheten, Weisen, Erzähler der Bibel zwar bekannt, aber nicht einfach abgeschrieben, sondern in intensiver Auseinandersetzung mit ihnen zu neuen, eigenen Deutungen geworden sind.[8]
- Mai 2015 Christoph Auffarth,
Religionswissenschaft,
Universität Bremen
[1] Dazu meine Besprechung http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2014/01/09/hymnen-klagelieder-und-gebete/?no_frame=1.
[2] TUAT-AF, Band 3. Erschienen in 6 Lieferungen auf 1369 Seiten, Gütersloh: Mohn 1990-1997.
[3] Für die ägyptischen Texte spricht Matthias Müller 303 allerdings davon, dass „die hier im ersten Teil präsentierten Texte diese (sc. die im TUAT-AF vorgelegten Texte) in erster Linie.“
[4] Die aber dann einen geglätteten Text bieten, wie das lange benutzte Walter Beyerlin (Hrsg.): Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament. (Das Alte Testament – Ergänzungsreihe 1) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975, ²1985.
[5] Zu Recht (350) der Hinweis auf Joachim Quack: Die demotische und gräko-ägyptische Literatur. Berlin²2009, dem viele neue Entdeckungen und Bearbeitungen zu verdanken sind.
[6] Wie der Rezensent in seiner Dissertation Der drohende Untergang : „Schöpfung“ in Mythos und Ritual im Alten Orient und in Griechenland am Beispiel der Odyssee und des Ezechielbuches. (RGVV 39) Berlin: de Gruyter 1991.
[7] Praetexte nennt man in dem theoretischen Modell der Intertextualiät, der Beziehung von Texten zueinander, Texte, die zwar älter sind und dem Autor des neuen Textes irgendwie bekannt sind (meist nicht als Buch direkt auf dem Schreibtisch, sondern als einmal gehörte Erzählung, Lied im Gottesdienst oder sonst wie)
[8] Das hat methodisch herausgearbeitet Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike. Frankfurt 2010 http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2011/03/01/der-koran-als-text-der-spatantike-von-angelika-neuwirth/