Der Koran. Von Hartmut Bobzin

Der Koran – die klassische Übersetzung von Hartmut Bobzin

Der Koran
Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin

München Beck 2010. [831 Seiten mit 121 Kalligraphien von Shahid Alam]
ISBN 978-3-406-58044-4

 

Endlich gibt es einen deutschen Koran!

Nicht dass es nicht schon zahlreiche Ausgaben auf dem Buchmarkt zu kaufen gäbe. Aber das sind zum einen bearbeitete Neuauflagen von hundert und mehr Jahre alten Übersetzungen, mehrfach die von Max Henning.[1] Eine sprachlich außergewöhnliche Leistung stellte die – allerdings unvollständige – poetische Übersetzung von Friedrich Rückert dar, die Bobzin neu herausgab und die für ihn ein Vorbild und Herausforderung darstellt. – Als Rudi Paret seine Übersetzung und Kommentar/Konkordanz veröffentlichte (1966; 1971), gab es endlich eine philologisch gute, aber durch in Klammern zugefügte Alternativen der Bedeutung und sprachliche Gestaltung mehr eine Verständniskrücke als eine deutsche Übersetzung. Unschätzbar für den, der philologisch eine Einzelstelle prüfen will, aber nicht zum Lesen einladend. Zweisprachig und kommentiert gab dann, als das Interesse am Islam zunahm, Adel-Theodor Khoury eine 12-bändige Ausgabe 1990-2001 heraus (der Text allein noch einmal 2004), lesbar aber zu weich und harmonisierend in den Problemfällen, der Kommentar fasste die arabischen Kommentare zusammen, nicht präzise auseinander. Eine bemerkenswerte Leistung und sprachlich auf Deutsch als Zielsprache stellt die Übersetzung des Theologen Hans Zirker dar.

Hartmut Bobzin, der als Exeget in der Theologie und als Sprachwissenschaftler ausgebildet sich sein ganzes Gelehrtenleben als Arabist mit dem Koran beschäftigt hat, und auf vielen Reisen gemeinsam mit seiner Frau (gleichfalls Arabistin) mit Arabern Bedeutungen diskutiert hat, versucht beidem gerecht zu werden: etwas aus dem arabischen Sprachduktus in der anderen Sprache nachzugestalten, gleichzeitig aber ein gepflegtes Deutsch als Zielsprache hörbar zu machen. Hörbar sage ich, weil der Text so gesetzt ist, dass er sich für ein lautes Lesen anbietet.

Die Sätze sind in Kola[2] je in einer eigenen Zeile abgesetzt, wie man sie in einem Atemzug lesen kann. (Luther hat in seiner – allerdings sehr Zielsprachen-orientierten – deutschen Bibel das ähnlich versucht, indem er die Sinn- und Sprecheinheiten durch ein neues Satzzeichen, den Schrägstrich, absetzte). Der Satzspiegel der breiten Seite erlaubt meist, diese Kola auf eine Zeile zu drucken. Den Kor’an, den „mündliche Vortrag“, hat Bobzin durch zart hinzugefügte Zeichen in seiner praktischen Einteilung für den Gottesdienst gekennzeichnet (im christlichen Gottesdienst die Perikopen), so dass man als deutscher Leser die Tageslesung erkennen kann, ja das Buch sich eignen würde für deutsche Muslime als liturgisches Buch.

Bobzin will in seiner edlen Sprache, vor allem den gut gewählten Verben, ohne je altertüm­lich in eine „Sprache Kanaans“ zu verfallen, die Schönheit deutlich machen, die Muslime in der arabischen Gestaltung des Wortes Gottes sehen. Der (islamische) „Gott ist schön“ hat Navid Kermani vor Augen geführt.[3] Hier wird das in der deutschen Übersetzung zum Aus­druck gebracht. Das Vorurteil, der Koran sei dunkel in seiner Bedeutung, unleserlich in größeren Abschnitten, das hatten die älteren Übersetzungen bestärkt. Bobzin führt nun den deutschen Leser in ein Heiliges Buch: sprachgewaltig, poetisch, zuweilen eher ein Gesetzes­buch, Predigten, Ermahnungen, manches gewollt vieldeutig. Das erfordert ein langsames Lesen und verlangt ein mehrfaches genaues Hinhören. Dazu hält nicht nur das großzügige, gleichwohl nicht übertriebene Layout an, es behagt den Augen. Aber die Seiten sind auch ein Augenschmaus. Denn der Verlag hat sich auch einen außergewöhnlichen Buchschmuck für die Schönheit des Koran geleistet: Auf Wunsch des Übersetzers hat ein Kalligraph diese große Kunst der bilderlosen islamischen Kultur je zur Eröffnung einer Sure gestaltet.

Die Anmerkungen geben auf gut 200 Seiten Hinweise darauf, wenn es für eine Übersetzung auch Alternativen gibt, die die Bedeutung erheblich verändern. Sowohl die inner-islamische Tradition der Auslegungsunterschiede der Koran-Kommentare sind dabei berücksichtigt als auch die Ergebnisse der westlichen Islamwissenschaft. Dann sind in einem Glossar die Wörter, Namen und Begriffe knapp erklärt und wo sie vorkommen. An vielen Stellen, wo man sich noch genauere Erklärungen wünscht, steht ein Verweis auf einen zweiten Band, den Hartmut Bobzin und der Verlag plant, einen Kommentarband. Hoffentlich gelingt das, denn auch hier ist Geduld und Sorgfalt gefordert. Einen historisch-kritischen Kommentar gibt es bisher nicht. Die Encyclopedia of Qur’an kommt dem immerhin nahe.

Was ein geduldig um den rechten Ausdruck ringender Gelehrter und ein ebenso sorgfältig mit denkender Verlag (mit einem Religionswissenschaftler als Lektor), dem eine schöne Gestal­tung eines klassischen Textes zu einem deutschen Klassiker am Herzen liegt, zusammen hier erreicht haben, ist ein edles Buch, ein Meisterwerk geworden. Das „Tüpfelchen auf dem i“ ist die Lederausgabe, die wie ein orientalisches Buch um den Vorderschnitt eine Klappe legt, also gewissermaßen eine geschlossene Tasche ergibt.
Endlich der deutsche Koran!

Christoph Auffarth,
Prof. für Religionswissenschaft,
Universität Bremen

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[1] Reclam 1901. Die von Kurt Rudolph religionswissenschaftlich bearbeitete Ausgabe bei Reclam Leipzig war besser als die weiterhin gedruckte Bearbeitung von Annemarie Schimmel bei Reclam Stuttgart,

[2] griechisch Kolon ist eine Satzeinheit die durch ein Komma Schnitt oder Semi-kolon Halbsatz abgeschlossen wird.

[3] Navid Kermani: Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran. München: Beck 2001.

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