Die Mischna. Herausgegeben von Michael Krupp


Die Mischna [Band 3]: Frauen – Seder Nashim

Aus dem Hebräischen übersetzt und hrsg. von Michael Krupp in Zusammenarbeit mit Ralf Enzmann; Gabriele Penka; Daniel Schumann
Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2010.
596 S.

Auf den ersten Band der „Feste“ und die gerade für Religionswissenschaftler überaus lesenswerte Abteilung (Seder „Ordnung“) der Mischna „Schädigungen“ – Seder Neziqin[1] folgt nun als dritter Band in der Ausgabe der Mischna im VdWR der Band 3, „Frauen – Naschim“. Michael Krupp hat mit fortgeschrittenen Studenten eine zweisprachige Ausgabe in Jerusalem herausgegeben und dieser folgt überarbeitet diese Übersetzung und Kommentierung.

In der Ordnung Naschim („Frauen“) geht es nicht so sehr um Frauen, als um die Rechte der Männer in den Fragen des Eherechts. Und doch, beim genauen Hinsehen, auch um Rechte der Frauen. Verlobung (erusim; qidduschin), Ehe­schließung, Eheleben Ketubba („Ehevertrag“) und Scheidung müssen formal klar geregelt sein. Dass Scheidungen ziemlich einseitig vom Mann bestimmt werden können (Ausnahme: minderjährige Mädchen) empört aus emanzipa­torischem Blickwinkel: die Empörung richtet sich heute gegen die Muslime. Aber man kann nicht vergessen, dass die romantische Liebesehe und die Partnerschaft auf Zeit erstens eine gewisse ökonomische Selb­ständig­keit erfordern (die oft nach der Scheidung zu Lasten des einen Partners geht), und zweitens das familiäre Unterstützungswerk nicht mehr als Fundament kennt. Das jüdische Recht der Diaspora regelt vor allem die formalen Aspekte: welche Urkunden dazu erforderlich sind, wie sie zu überbringen und zu bezeugen sind. Ein wichtiger Fall Jevamot ist die sogenannte „Schwagerehe“ (Levirat, auch im religionswissenschaftlichen Vergleich genannt). Die biblische Regel im Deutero­nomium [5. Mose], 25 sieht vor, dass, wenn der Mann stirbt, der Bruder ihres Mannes die Witwe heiraten und er das vom Bruder nicht gezeugte Kind nach­träg­lich zeugen muss. Natürlich muss es dazu auch eine Ausnahme geben, die auch schon in der Bibel vorgesehene Möglichkeit der Chalitsa (Schuh-Ausziehen), eines Ritus, wenn man diese Vorschrift nicht erfüllen will. Und was passiert mit den Habseligkeiten oder Vermögen, das bei Scheidung oder Tod übrig bleibt? Die Frau muss versorgt und versichert sein, die Mitgift der Frau herausgelöst; Wie also werden Geschiedene, wie Witwen versichert? Schließlich enthält diese Ordnung auch einen Traktat über ‚Gelübde’. Das ist ein Problem des „dritten Geschlechts“ oder besser noch derer „ohne Geschlecht“. Zölibatäre (wie das im Christentum heißt, „Himmelsverheirate­te“) verzichten bewusst auf Partner und Kinder; erst in zweiter Linie ist Verzicht auf Sexualität bedeutsam. Im jüdischen Bereich ist das Zölibat ganz außergewöhnlich (Für die normalen Priester im Westen erst im 13. Jh. eingeführt; in den Orthodoxen Kirchen des Ostens auch heute nur für Bischöfe maßgeblich). Die Forderung, es auch in der ‚Römischen Kirche’ wieder aufzulösen, ist zwar eigentlich historisch nahe­liegend, ideo­logisch aber weit entfernt). Die Nasiräer, Asketen, sind die kleine Gruppe im Judentum derer, die ein Gelübde gegeben haben – fast nur Männer – wie Elia und seine Schüler oder Johannes der Täufer und seine Schüler. Jesus gerät in die Nähe durch seine Herkunft aus Nazareth, Nazaräer und Nazoräer, aber Jesus ist eindeutig kein Asket. Im Christen­tum wurden erst seit dem 4. Jh. die Mönche eine ideologisch wie zahlenmäßig wichtige Gruppe; im Judentum sind sie eine ver­schwin­dende Minderheit. Sexualität wird jüdisch hoch geschätzt; denn sie ist „Mitarbeit an der Schöpfung“, keine Sünde, von der man „Er­lösung“ braucht!

Im Traktat zum Ehebruch geht es um den Fall, dass der Mann den Verdacht hat, dass seine Frau untreu, „abgewichen“ sei. In der Zeit des Tempels musste sie sich einer Prüfung ihrer ehelichen Treue unterziehen. Dazu gehört das Bitterwasser: Von einer Pergamenthandschrift werden die Buchstaben abgekratzt und in Wasser gemischt. Auf der Handschrift waren alle Fluchformeln der Bibel aufgeschrieben. Dieses Wasser muss die Verdächtige trinken und wenn sie tatsächlich schuldig ist, dann wird sie eines elenden Todes sterben (Sota 1 – 3,4). Dieser Probe musste sich auch, so ist es auf dem spätantiken Bischofs-Thron in Ravenna dargestellt, Maria unterziehen. Josef verdächtigte sie, weil er die Schwangerschaft nicht verursacht haben kann, sie habe heimlich mit einem anderen Sex gehabt. Deshalb muss sie sich der Sota-Probe unterziehen. Woher kannten die spätantiken Künstler dieses intime Detail der jüdischen Religion, das nirgends in der Bibel beschrieben ist? Die beiden Religionen waren immer noch näher beieinander als die heutigen Vorstellungen das denken..

 

Die sieben Traktate der Ordnung „Frauen“ heißen:

1    Jevamot Schwägerinnen (Text Seite 9-62; Kommentar 278-360),

2    Kettubot Urkunden, Vereinbarungen, die der Schriftlichkeit bedürfen (63-103; 360-410),

3    Nedarim Gelübde (104-141; 410-461),

4   Nazir Asket (142-169; 461-486),

5    Sota Ehebruch [der Frau](170-198; 486-519),

6   Gittin der Scheidebrief (199-227; 519-553),

7   Qiddushin Verlobung (228-245; 553-571).

 

Der Aufbau des Buches folgt der bereits bewährten Gliederung: Text in Übersetzung etwa 240 S. Die Einleitung macht deutlich, das ein textkritischer Text aus palästinen­sischem, babylonischem Text und den Fragmenten der Geniza in Kairo wichtig, aber noch  längst nicht verfügbar ist. Der Kommentar bietet zunächst die Einleitung auf etwa 25 S. Dann fol­gen im Umfang des Textes die Einzelkommentare zu den Trakta­ten je mit einer Ein­führung und den Stel­len­kommentaren auf fast 300 Seiten.  Eine Zeittafel, die Generati­onen der Rabbinen, ein Glossar, Abkürzungen, Bibelzitate, die genannten Personen und ein Literaturver­zeichnis vollenden den wertvollen Band. Drei der sechs ‚Ordnungen’ sind geschafft. Die Hälfte, über dem Berg!

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[1] S. Zeitschrift für Religionswissenschaft 17(2009), 213-220.

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08.12.2010
Christoph Auffarth
Professor für Religionswissenschaft
Universität Bremen

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