Judenhaß und Judenfurcht. Von Peter Schäfer


Peter Schäfer
Judenhaß und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike
Amerikanisches Original: Judeophobia. Attitudes towards the Jews in the Ancient World. 1997
Übersetzt von Claus-Jürgen Thornton
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2010
443 Seiten

 

Der Antisemitismus der Antike

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Mit Antisemitismus bezeichnet man im engeren Sinne den rassistisch argumentie­renden modernen Judenhass seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Höher Ge­bildete entnahmen schon im Gymnasium den klassischen Schriftstellern der Antike Vorurteile, aus denen sie die Berechtigung eigener Vorurteile bestätigt sahen. Besag­ten sie nicht, dass, solange es Juden gibt, auch der Judenhass besteht? Daraus folgt, dass die Juden selbst  oder ‚das Wesen’ des Judentums die Ursache für den Hass sein müsse (substanti­eller Antisemitismus).[1] Demgegenüber hat besonders Isaac Heine­mann herausge­arbeitet, dass Judenhass historisch entstanden sei in zeitlich und lokal bestimmten Situationen und als gewaltsame Konflikte ausgetragen wurde (funktio­na­­ler A.). PS glaubt, dass beides zusammenkomme. – Zur Rechtfertigung der Gewalt wurden in der Antike Herkunft und Ab­stammung der Gegner erzählt: Die ethno­graphischen Texte[2] kennen ungewöhnliche Eigenarten, mischen sie mit Vermu­tungen welcher Name mit welchem antike Scheusal etwas zu tun haben könnte, immer unter dem prinzipiellen Vorzeichen der Fremdenfeindlichkeit.

Dazu ein Beispiel: Der Name der Stadt, die die aus Ägypten ausgewanderten Juden besiedeln, heißt Jerusalem, griechisch Hierosolyma. Ein antiker Ethnograph lässt einfach eine Silbe weg; was übrig bleibt, heißt „Einbruch ins Heiligtum“. –

Um solch ein Buch schreiben zu können, muss der Verfasser die jüdischen Kultur bestens kennen wie auch die griechisch-römische Kultur: Ein kultureller Prozess, der interne Argumentationen und das Gespräch beider Parteien umfasst. PS erweist sich als der, der über beide Kompetenzen verfügt: Griechisch (hier im Umschrift) und Latein; Hebräisch ist ohnehin das Kerngebiet des Judaisten. Dazu kommt eine amerikanische Wissenschaftskultur, die den Kontakt zu Fachleuten anderer Diszi­pli­nen sucht.

Also, was dachten, wie sprachen Nicht-Juden in der Antike über die Juden? In Teil 1 (29-174) geht es um die Sonderheiten, die Juden absondern von anderen Menschen oder schärfer noch: von allen Menschen. Die Geschichte von der Vertreibung aus Ägypten, der so ganz andere Gott der Juden, ihre Abscheu, Schweinefleisch zu essen, den siebten Tag der Woche als Ruhetag einzuhalten, die Beschneidung und die Wer­bung um neue Mitglieder (Proselyten).  In einer klaren Sprache geht PS die Texte der antiken Autoren durch und kommentiert sie. Teil 2 rekonstruiert zwei Schlüssel­ereignisse, die Zerstörung des jüdischen Tempels auf der Nil-Insel von Elephantine 410 v.Chr., dann den Pogrom an den Juden von Alexandrien i.J. 38 (177-233). Das führt zu der These, nicht erst das hellenistische Alexandrien, sondern Ägypten sei die Brutstätte des Antisemitismus (S. 197; 245); seine eigentliche Wirkungskraft aber habe erst in seinem hellenistischen Kontext gewonnen. Der dritte Teil (S. 237-281) unterscheidet drei Konfliktzentren: Ägypten, Syrien-Palästina, Rom.

Am Schluss, S. 282-302, rechtfertigt PS, warum er für die Beibehaltung des Begriffs Anti­semitismus plädiert. Nur durch dieses Wort komme die Einzigartigkeit des Hasses gegen die Juden zum Ausdruck. Ob man klug beraten ist, den gleichen Begriff zu verwenden für den antiken und den modernen Antisemitismus? Das suggeriert Kon­tinuitäten anstelle von Konflikten, die sich alter Autoritäten bedienen.[3] Oder sollte man zur Unterscheidung vormodern von Antijudaismus sprechen? Das kann aber entschuldigend für die Vormoderne und das Christentum dienen. Antisemitismus wäre dann ‚pagan’. Ich würde empfeh­len, immer (wenigs­tens) von „antikem A.“ zu sprechen. Der moderne A. bedient sich zur Rechtfertigung antiker Argumente, unterstellt Kontinuität, aber es ist Rezeption, gelehrtes Konstrukt mit der Behaup­tung eines menschen­feindlichen Volkes, das unterminieren will, Angst und Hass.

Der Rest des Buches umfasst die wertvollen und präzisen Anmerkungen. Der Band ist hervorragend ausgestattet mit sehr guten Verzeichnissen und Indices (Literatur, Stellenindex, moderne Autoren, Sachverzeichnis), eine sehr gute deutsche Über­setzung von Claus Jürgen Thornton.

Ein Buch, das man – besonders jede Religionswissenschaft­lerIn – kennen muss, um den heutigen Antisemitismus (oder Philosemitismus) ver­stehen zu können; von dem man Teile mehrfach lesen möchte. Auch Schüler können einzelne Kapitel durcharbei­ten. Beindruckend ist, dass ein Vorurteil, einmal geäußert, immer und immer wieder wiederholt wird – ohne je an Realitäten geprüft zu werden. Und dann einige wenige, die dem allgemeinen Urteil zum Trotz eine andere Meinung vertreten, Pompeius Trogus etwa (S. 46 f) oder Varro (S. 263 f). Und doch: Tacitus’ Beschreibung der Juden ist nicht eine Ethnographie wie die über die Briten (im Agricola) oder die Germanen (in der Germania), keine Blütenlese der bekannten Vorurteile gegenüber Juden. Bei der Belagerung Jerusalems geht es um alles oder nichts, einen heilsgeschichtlichen Wendepunkt.[4]  Erst eine evocatio ent­scheidet: die Götter verlassen – exeunt dei (Tac. hist. 5, 12) – Jerusalem und laufen über zu den Römern, schenken ihnen die Weltherrschaft.

Angst vor den Juden, Judaeophobie, wird beantwortet mit Judenhass.

Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

………………………………………………………………………………………………………………………………………………

[1] Peter Schäfer im folgenden mit den Initialen abgekürzt PS.

[2] Ethnographisch heißt „(fremde) Völker beschreibend“; in der Antike ein literarisches Genus mit festen Typen, wie ‚den Barbaren’ oder ‚den edlen Wilden’. Dazu Klaus E. Müller: Geschichte der antiken Ethnographie und ethnologischen Theoriebildung. 2 Bde, Wiesbaden 1972; 1980. [Stark gekürzt als] Geschichte der antiken Ethnologie. Rowohlts Enzyklopädie 55589. Reinbek 1997.

[3] Dazu meine Rezension zu Johannes Heil: „Gottesfeinde“ – „Menschenfeinde“. Die Vorstellung von jüdischer Weltverschwörung, 13. bis 16. Jahrhundert. (Antisemitismus 3) Essen 2006. in: Zeitschrift für Historische Forschung 35(2008), 294.

[4] Dazu Hildegard Cancik-Lindemaier; Hubert Cancik: Classical Anti-Semitism. The Excursus on the Jews in Tacitus and its Ancient and Modern Rception. in: H.C.; Uwe Puschner (Hrsg.): Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion. München 2004, 15-25.

—————————–
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

Schreibe einen Kommentar