Mechthild von Magdeburg: „Das fließende Licht der Gottheit“

Mystik und Minne

Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit
Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt und herausgegeben von Gisela Vollmann-Profe
Berlin: Verlag der Weltreligionen 2010
830 Seiten, Leinen
39,00 €
ISBN: 978-3-458-70025-8

Liebesgestammel, Feuer, betrunken sein, Liebesschwüre, Flüche, Liebesgedichte, die Schönheit des Mundes und der Brüste, Träume von gemeinsamen Nächten mit dem Bräutigam, Qualen, wenn er nicht da ist, duftende Wohlgerüche, Augenweiden. Fließen, Gießen, Fallen, Schweben, Blühen. Und immer wieder „lässt mich mein Deutsch im Stich; Latein aber kann ich nicht.“

Wer einen gut geführten Zugang zur mittelalterlichen christlichen Mystik sucht, findet in diesem Buch eine Originalquelle: das „Fließende Licht“ ist einer der wichtigsten Texte. Gisela Vollmann-Profe lädt ein zum Lesen, der mittelhochdeutsche Text direkt neben einer modernen Übersetzung, die die unterschiedlichen Sprachstufen gut erkennen lässt. Ein knapper Kommentar zu den einzelnen Stellen erklärt die Texte (S. 691-810). Das sind Lieder, Gedichte, Prosa, kühne Bilder, die wie bei anderen von Frauen geschriebenen Texten doppelt abgesichert werden müssen, um nicht als Ketzerei verurteilt zu werden: Ihr Beichtvater, Heinrich von Halle (oder eher Wichmann?), hat die Texte geprüft; und die Verfasserin sieht sich genötigt, sie niederzuschreiben, weil Gott selbst sie diktiert hat. Gott sagt: „Ich habe es [das Buch] gemacht, weil ich mein Geschenk nicht zurückhalten konnte“ (Prolog S. 18/19, Zeile 9-11). Tränen der Liebe (nicht Geld) erlösen Menschen aus dem Fegefeuer (96/97). Mechthild übt scharfe Kritik an der Kirche und Priestern, nimmt aber den Predigerorden aus (d.h. die Dominikaner, bes. in Buch 4, 286-313; ein Bruder Mechthilds wird Mönch: 754): Dominikus ist Gott der liebste unter den Heiligen. Und in der Zeit vor dem Jüngsten Gericht werden die Dominikaner eine Herrschaft der Heiligen ausüben, ohne Papst und Hierarchie (bes. Buch 4, 27 – Joachim von Fiores Drittes Reich des Geistes spielt eine Rolle).

Mechthild tritt ganz zurück hinter dem Text, was man an „Biographie“ von ihr weiß, sind die gleichen Dinge, die man über jede mittelalterliche Mystikerin hört: Gelebt hat sie etwa 1207 bis 1282. Schon als Mädchen hat sie die ersten Visionen, dann konzentriert sie sich ganz auf die Liebe zu Gott, wird Begine in Magdeburg, betreut von Dominikanern, am Ende des Lebens nimmt sie das Kloster Helfta (bei Eisleben) als Nonne auf, ein Kloster, wo auch eine andere, damals junge Mystikerin lebte, Gertrud von Helfta. Das Buch ist jahrzehntelang gewachsen; der Entstehungsprozess ist wohl auch mit Ihrem Tod nicht abgeschlossen, wie Balázs J. Nemes in seiner Dissertation zeigen will durch den Vergleich der lateinischen mit der deutschen Version (vgl. S. 673-75).

Die Ausgabe beruht auf der in der Bibliothek Deutscher Klassiker (zuerst 2003). Sie wurde hoch gelobt wegen der „unauffälligen Sprachgebung eines im Original schwierigen Textes“ (Joachim Heinzle in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.06.2004). Leider ist der volle Text ja nur in einer einzigen Handschrift überliefert, die nicht die originale niederdeutsche Redeweise der Mechthild bewahrt, sondern eine oberdeutsche (Schweizer) Überarbeitung. Sie ist in dieser Neuausgabe gekürzt um die Kommentar-Teile (ca. 40 Seiten), die besonders für Germanisten wichtig sind. Sie ist aktualisiert, etwa in der Bibliographie.

Wenn man dazu noch das Kapitel von Kurt Ruh liest, das er in seiner Geschichte der abendländischen Mystik Mechthild gewidmet hat (Band 2, 1993, 247-295), an Bildern den Katalog Krone und Schleier (2005) dann hat man einen sehr guten Einblick in die christliche Mystik des Mittelalters.

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Christoph Auffarth
Professor für Religionswissenschaft
Universität Bremen
5. April 2010

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