Foster Die apokryphen Evangelien

 

cover_FosterEvangelien außerhalb der Bibel

 

Paul Foster: Die apokryphen Evangelien. Eine kleine Einführung. Ditzingen: Reclam 2011.

Kurz: Die Schriften der frühen Christen, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden, sind von großer Bedeutung, gerade für die Religionsgeschichte. Paul Foster erzählt die Umstände der Entdeckung und Herausgabe, manch ein Krimi darunter, und beschreibt die Inhalte, auch der jüngst medial Aufsehen erregenden (wenn auch schon älteren) Funde wie des Judas-Evangeliums oder des Evangeliums der Maria Magdalena. Knapp und informativ.

 

Ausführlich: Paul Foster[1] ist ein Spezialist auf einem Gebiet, das neuerdings wieder hohes Interesse findet. Die Schriften der frühen Christen sind viel zahlreicher als die, die im Neuen Testa­ment  kanonisiert sind: Evangelien, Romane über die Apostel („Apostel­ge­schichten“),[2] prophetische Schriften,[3] Weisheitsschriften, Ge­mein­de­regeln, Hymnen, Briefe und Apokalypsen. In den letzten Jahren, den zwei Generationen seit dem Zwei­­ten Weltkrieg, sind neue Texte hinzu gekommen.[4] Diese Einführung begrenzt sich auf die Evangelien. PF beschreibt in der Einlei­tung (1) „Was sind apokryphe Evangelien?“ sehr anschau­lich die Fundorte und die Krimis um den Erwerb und die Veröffentlichung der Rol­len von Qumran, der Papyri von Oxyrhynchos und der Codices von Nag Hammadi.[5] Zwölf Abbildungen machen diese Fundorte plastisch.

Die einzelnen Schriften stellt PF ausführlich vor und gibt je eine Gliederung sowie Literatur; sogar ein Register erleichtert den Zugriff. Zunächst (2) Die Evangelien von Nag Hammadi (40-84): Das berühmte Thomas-Evangelium, das Philippus-Evangeli­um, das Evangelium der Wahrheit (evangelium veritatis) und das Ägypter-Evangeli­um. Auf S. 45 wird deutlich, dass die Frage nach der Abgrenzung, also welche der Schriften in den Codices von Nag Hammadi als Evangelien zu verstehen sind, sich nicht leicht entscheiden lässt. (3) Die „Kindheitsevangelien“ (85-116) haben zwar  Parallelen in den kano­nischen Evange­lien Matthäus und Lukas (während Markus und Johannes bewusst anders entschie­den haben), aber sie dienen nicht einfach zur Wissensvermehrung über die ‚geheimen Jahre‘ Jesu vor seinem öffentlichen Wirken: PF bespricht das Kindheits­evangelium des Thomas und das Protevangelium des Jakobus. (4) Evangelien über die Zeit des irdischen Wirkens Jesu (117-157) behandelt das Petrus-Evangelium und den Papyrus P.Oxy 840 und den Papyrus Egerton 2 sowie die ‚judenchristlichen‘ Evangelien. (5) Geheime Offenbarungen und Dialog­evangelien (158-177): hier stellt PF eine neue Entdeckung vor. In Ägypten wurden etwa 1980 vier Kodizes ent­deckt, darunter das Judas-Evangelium. In letzter Sekunde, bevor sie völlig verbrösel­ten, konnten die Texte gerade noch gerettet werden. Das Evangelium der Maria (Mag­­da­le­na) ist nicht weniger materiell-riskant in der Überlieferung.

Das Buch ist die Übersetzung einer englischen Einführung, 2009 bei Oxford UP erschienen.. Die Quali­tät ent­spricht der Erwar­tung zweifellos. Die Forschung ist auch in der Theolo­gie internatio­naler geworden. Dennoch gibt es spezifische Fragen, die unterschied­liche Wissen­schafts­­tra­diti­onen deutlich machen. Dazu gehört die Diskussion um die Frage der ‚Gnosis‘ (S. 22-30); PF trifft sie  nicht präzise. Hier müsste für deutsche Leser die Forschungsgeschichte an­gesprochen werden: Die Konstruktion der ‚Gnosis‘ durch die ‚religionsgeschicht­liche Schule‘ und deren Fortsetzung bei Rudolf Bultmann und seinen Schülern,[6] bis hin zur Dekonstruktion durch Carsten Colpe. Die religionsge­schichtliche Schule stellte die Neuigkeit des Neuen Testaments in Frage: Vieles sei aus der Umwelt übernommen worden. Die Vielfalt und Breite der früh­christ­lichen Schriften ist religionshistorisch bedeutsam. Aber nicht nur zur Vermeh­rung der Kenntnis, sondern auch weil daraus deutlich wird, was als rechtgläubig galt und was als häretisch ausgesondert wurde. Kanon und sein Gegenstück Zensur beginnen sehr früh – das kann man an den hier vorgestellten Texten gut erkennen.

Das Büchlein ist sehr sorgfältig im Verlag betreut, eine beeindruckende Qualität, die den Reclam Verlag auszeichnet. Insgesamt ein informatives Buch das  die Textsammlungen Nag Hammadi[7] und Schneemelcher NTApo (nicht korrekt im sonst guten Literaturverzeichnis) ergänzt. Diese Einführung kann man empfehlen.

 

Christoph Auffarth,
Professor für Religionswissenschaft,
Universität Bremen


[1] Im Folgenden meist abgekürzt mit den Initialen PF. Er ist Professor in Edinburgh.

[2] Zu Petrus und seinem Kampf gegen Simon u.a. der Roman (sog. Pseudo-Clementinen), s. die Übersetzung von Jürgen Wehnert (Rezension hier).

[3] Vgl. Ferdinand Hahn; Hans Klein: Die frühchristliche Prophetie. Neukirchen 2011.

[4] Eine Sammlung der Apokryphen erschien Stuttgart 1850, hrsg von Richard Clemens. Dann sammel­te Eduard Hennecke die Neutestamentlichen Apokryphen, zuerst Tübingen: Mohr 1904, zuletzt in der 9. Auflage in zwei Bänden, hrsg. von Wilhelm Schneemelcher (1914 – 2003). Die zehnte Auflage, viel um­fassender als die gekürzten älteren, hrsg. von Chris­toph Markschies; Jens Schröter erscheint im Früh­jahr 2012.

[5] Corpus Christianorum: Series apocryphorum. Turnhout: Brepols 1/1990 bis (bislang ) 21/2010. http://www.brepols.net/pages/BrowseBySeries.aspx?TreeSeries=APOCRA

[6] Walter Schmithals: Die Gnosis in Korinth. Eine Untersuchung zu den Korintherbriefen. (FRLANT 66) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1956. Zu R. Bultmanns Religionsgeschichte s. Auffarth, Rudolf Bultmann und die Religionsgeschichte. In: Wolfgang Weiß; Kim Strübind (Hrsg.): „Verstehen, was man glaubt“. Rudolf Bultmann als Erneuerer der protestantischen Hermeneutik“. Berlin: LIT 2012, im Druck.

[7] Hans-Martin Schenke [u.a.] (Hrsg.): Nag Hammadi Deutsch. Berlin; New York: De Gruyter 2001; 2003. Studienausgabe 2010. Dazu die Einleitung zu den Schriften von Nag Hammadi von Carsten Colpe, Müns­ter: Aschendorff 2011. Beide Bände sind auf dieser Website rezensiert

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