Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen

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Martin Ebner: Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen. Das Urchristentum in seiner Umwelt 1 (Grundrisse zum Neuen Testament [N.S.] 1,1)Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. [387 S. : Ill.]

Das Christentum – eine antike Stadt-Religion

Zusammenfassend: Erstmals eine Einführung in die Lebenswelt der ersten Christen, die sie religionswissenschaftlich auf aktuellem Stand als Teil der antiken Kultur er­klärt und nicht als Gegenbewegung zur Antike. Ein ganz neuer, kompetenter Wurf!

 

Im Einzelnen: Die ersten Christen in ihrem Lebensraum der antiken Kultur zu be­schreiben, ist eine gewaltige Aufgabe; sie ist Martin Ebner gelungen.[1] Die Aufgabe ist gewaltig, weil dank des Forschungsprojektes „Römische Reichs­religion und Provin­zial­religi­on“ gerade die Epoche der Antike, in der die ersten Christen lebten, intensiv er­forscht wurde und zu vielen neuen Ergebnissen geführt haben – dank der produk­tiven und kreativen Leitung durch Jörg Rüpke.[2] Zum andern zeigt ein Wort im Titel auch ein neues Verständnis vom Gegenstand: Es geht nicht mehr um die – mehr oder weniger distanzierte – Umwelt zur Welt der Christen,[3] sondern die Antike ist ihre Lebenswelt. Nach einer tiefschürfenden Darstellung der jeweiligen Strukturen fragt ME jeweils in einem abschließenden Abschnitt des Kapitels: „Und die Christen?“ So ist ein ganz neues Lehrbuch entstanden, das die Ergebnisse der For­schung textnah und hervorragend belegt darstellt und in den Bibliographien umfas­send dokumen­tiert. Die Unterscheidung zwischen griechisch und römisch, die Zeitstufe „Frühe Kaiserzeit“ ist weit­gehend beachtet, während in älteren Büchern oft über ein halbes Jahrtausend Zeitdif­ferenz ‚Vergleichbares‘ dargestellt wurden. Ein angekündigter zweiter Band soll das frühe Christen­tum in seinem jüdischen Kontext behandeln. Dort wird noch schwieriger eine Antwort auf die Frage zu finden sein, ab wann man von (Ur-)Christentum sprechen kann.

In neun Kapiteln behandelt ME folgende Bereiche der antiken Kultur. Kapitel I be­ginnt mit dem im Titel angesprochenen Phänomen der Stadt (Stadt und Religion, 15-43) während Kapitel II das Stadtbild ausbreitet, architektonisch und als Utopie. Eine mutige Aussage trifft ME, wenn er ekklesia nicht mehr von den ‚Auserlesenen‘ ablei­tet, sondern von der ‚politischen Vollversammlung‘ – damit aber als Unterschied zum jüdischen políteuma setzt (85-88). In Kapitel III ist der Kult erklärt: Der Tempel, die Götter, das Opfer und Mahl (101-137). Der Kaiserkult ist das Thema des IV. Kapi­tels (138-165), der in seiner Bedeutung neben, aber nicht über die klassischen Kulte gesetzt wird. Damit widerspricht er zu Recht der These, dass der Kaiserkult den Platz der nicht mehr verstandenen Götterkulte übernommen habe. Das Kapitel V behan­delt den Hauskult wohl etwas zu sehr aus einer Oberschichtperspektive. Die sog. Ver­eine sind ein erst in der neuesten Forschung erkanntes zentrales Element „zwischen Haus und Stadt“(Kapitel VI, 190-235). Kapitel VII behandelt die Myste­rien­kulte (236-273).[4] Ein weiteres Kapitel (VIII) stellt die Philosophie der Kaiserzeit als praktische Philosophie vor. Es gelingt ME eine ausgewogene Einordnung; der Plato­nismus und die Peripatetiker wären zu ergänzen. Im Hinblick auf den Epikureismus ist der Satiriker Lukian interessant, der Christen und Epikureer in einem Atemzug nennt: sie entzögen sich der Pflicht eines jeden Bürgers in ihrer Polis.[5] Gut ange­schlos­sen ist die Frage nach der Gnosis. Das Kapitel IX behandelt „Religion am Rande der Stadt“: Orakel, Heilkulte und Magie (306-363). Auch hier auf bewun­derns­wert aktuellem Stand einer intensiven Forschung.

 

Sprachlich ist das Lehrbuch sehr lesbar, oft sogar spannend in der Eröffnung der Fragestellung und dem Aufbau der Argumentation. Nicht zum Verständnis nötig sind einige Anglismen,[6] unausrottbar sind anscheinend veraltete Wörter, die nur noch in Übersetzungen antiker Texte überleben.[7] Griechische Wörter sind vielfach in griechischer Schrift dargestellt.[8] Das Buch ist nahezu fehlerfrei, was angesichts der vielen Daten und Namen bewundernswert ist. Insgesamt hat sich ein Kenner der frühchristlichen Literatur (Neutestamentler) intensiv in die religionswissen­schaft­lichen Fragestellungen der relevanten Periode eingearbeitet: die Religion der frühen römischen Kaiserzeit.[9] ME ist auf dem  neues­ten Stand und seine Beispiele sind nicht von dem bestimmt, was zum Neuen Testament passt. Und sie sind konzen­triert auf diese Epoche und nicht gemischt aus archaischen und spätantiken Belegen.

Ein paar kritische Bemerkungen sind nötig: 1. So klug die Eröffnung zwischen länd­licher Jesusbewegung und städtischer Lebenswelt der frühen Christen gelungen ist,[10] die Differenz zwischen der jüdischen Reformbewegung innerhalb der jüdischen Tradi­tion und den neu Hinzugekommenen, die in der klassisch-römischen Tradition auf­gewachsen sind und sich den ‚Gottesfürchtigen‘ anschließen, ist nicht durchgän­gig geklärt. Die Aufteilung von Das Urchristentum in seiner Umwelt in zwei Bände wird man erst am zweiten Band messen können. 2. Dann bildet ein unlösbares Pro­blem die je lokale Differenz; ME weist gut darauf hin. 3. Die Quellen, literarische Darstellungen, Selbstdarstellungen auf Inschriften oder Statuen spiegeln die Eliten-Kultur. Der Markisen-Handwerker Paulus und das Gros seiner Mitchristen gehören nicht dazu. Darauf müsste immer wieder einmal hingewiesen werden, auch wenn die Quellen das kaum hergeben.

Der erste Band ist sehr gut gelungen. Hier ist ein neuer Standard für die Geschichte der Religion für die Zeit gesetzt, in der sich das Christentum als Teil der römischen Reichsreligion ausbildete.[11]

23. Oktober 2013                                                                                       Christoph Auffarth
Religionswissenschaft

Universität Bremen


[1] Im Folgenden meist abgekürzt mit den Initialen ME. Martin Ebner ist Prof. für Neues Testament an der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn.

[2] Die zahlreichen Sammelbände und die vielen Dissertationen und Habilitationen, dazu die vier Tagun­gen zu „Orientalische Religionen“ sind genannt in den beiden Abschlussbänden: Jörg Rüpke (Hrsg.): Antike Religionsgeschichte in räumlicher Perspektive. Abschlussbericht zum Schwerpunkt­programm 1080 der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Römische Reichsreligion und Provinzial­religion“. Tübingen: Mohr Siebeck 2007; Hubert Cancik; Jörg Rüpke (Hrsg.): Die Religion des Imperium Romanum. Koine und Konfrontationen. Tübingen: Mohr Siebeck 2009.

[3] So Lohse 1971; Klauck 1995/96. Die Reihenherausgeber Karl-Wilhelm Niebuhr und Samuel Vollen­weider sprechen (S. 12) von einem „Paradigmen­wech­sel“:  „Die Aufgabe solcher Lehrbücher kann heute nicht mehr darin bestehen, antike Quellen und historische Befunde allein aus der neutestament­lichen bzw. frühchristlichen Perspektive zu präsentieren. Vielmehr haben sie die Quellen des antiken Judentums, der hellenistischen Kultur und der römischen Geschichte zunächst in ihrem eigenen Kon­text zu erschließen. Erst so wird es möglich, auch den Ort des entstehenden Christentums genauer zu bestimmen und die Texte des Neuen Testaments besser zu verstehen.“ Allerdings sind sowohl Ur­christentum als auch Umwelt im Gesamttitel wieder verwendet.

[4] Auf das Problem, was man unter diesem Begriff zusammenfasst, habe ich bei meiner umfassenden Behandlung des Themas im Bezug auf die christliche Rezeption hingewiesen. Christoph Auffarth: Mysterien. In: Reallexikon für Antike und Christentum 25[2013], 422-471.

[5] Etwa Lukian, Alexandros oder der Pseudoprophet 25.

[6] Ein Lieblingswort, overhead (28, 52, 203 u.ö.), muss im Glossar (386) erklärt werden; sein Gegenstück heißt undergrid (nicht im Glossar), andere wie drive 34, shift 49, optical refinement 105, public relations 170, table talks 185, penal code 195 upper class 225 erleichtern nicht das Verständnis.

[7] wie Schmaus, schmausen oder Pöbel 146.

[8] Nicht mehr üblich ist, dass in der deutschen Umschreibung das griechische ‚k‘ latinisierend mit ‚c‘ dargestellt wird.  Bei den griechischen Wörtern gibt es mehrere Fehler; es muss richtig heißen
24 πολιάς, 25 εἷς (Erik Petersons Buch dieses Titels Heis theos 1926 ist von Christoph Markschies umfassend neu bearbeitet 2012 erschienen, s. Rez. auf dieser Seite; worauf sich S. 25 „Peterson 2004“ bezieht, ist unklar), 217 κερκίς.

[9] Die Ergebnisse des Schwerpunktprogramms der DFG „Römische Reichsreligion und Provinzial­religi­on“ sind breit rezipiert, etwa Großstadtreligion statt Bauernreligion, die Reichsreligion ist nicht die Summe der Religionen, religio migrans, Selbstromanisation, u.a. Eine aktuelle Zusammenfassung Christoph Auffarth und Jörg Rüpke in den einleitenden Essays zu Das Imperium der Götter. Katalog der Ausstellung Karlsruhe 2013.

[10] Zum Verhältnis Stadt-Land s. Christoph Auffarth (Hrsg.): Religion auf dem Lande. Entstehung und Ver­änderung von Sakrallandschaften unter der römischen Herrschaft. (PawB 28) Stuttgart: Steiner 2009, 7-26.

[11] Zum religionswissenschaftlichen Begriff von Reichsreligion Jörg Rüpke: Reichsreligion? Überlegun­gen zur Religionsgeschichte des antiken Mittelmeer­raums in der römischen Zeit. Historische Zeitschrift 292 (2011), 297-322. Christoph Auffarth: Reichsreligion und Weltreligion. In: Hubert Cancik; Jörg Rüpke (Hrsg.): Die Religion des Imperium Romanum. Koine und Konfrontation. Tübingen: Mohr Siebeck 2009, 37-54.

 

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