Reformation und Martin Luther spielerisch erlebt

Ohne Martin Luther gäbe es die evangelische Kirche nicht und die katholische Kirche wäre vermutlich im Mittelalter stecken geblieben.

Bestimmt hätte Luther, der für Neues sehr aufgeschlossen war und vieles reformiert hat, Spaß an diesem Spiel. Wir tauchen dabei tief ein in Reformationszeit.  Das Spiel funktioniert über diesen Link im Browser: http://schulprojekte-reformation.de/game/html_gs  (Firefox oder Google Chrome verwenden). Das Internet sollte halbwegs schnell sein, weil jeder Spieler 189 MB Daten herunterladen muss, bis es läuft.

Nachtrag 18.6.24: Erst nachdem ich bei der Softwarefirma, die das Spiel realisiert hat, nachgehakt habe, hat es wieder funktioniert …

Geht es auch mit iPads? Ja, und zwar mit Firefox und Safari.

Empfehlenswert sind Kopfhörer für die Klasse. Andernfalls sollten alle ihren Ton auf sehr leise stellen, sonst bricht das akustische Chaos aus.

Tipp: Über die Codes kannst Du das Spiel auch auf einem anderen Rechner an der gleichen Stelle fortsetzen.

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Zu Hause kann man das Spiel auch installieren, was es schneller und komfortabler macht: https://schulprojekte-reformation.de/spiel/#download-area  

Reformation und Martin Luther – spielerisch erlebt

Ohne Martin Luther gäbe es die evangelische Kirche nicht und die katholische Kirche wäre vermutlich im Mittelalter stecken geblieben.

Bestimmt hätte Luther, der für Neues sehr aufgeschlossen war und vieles reformiert hat, Spaß an diesem Spiel. Wir tauchen dabei tief ein in Reformationszeit.  Das Spiel funktioniert über diesen Link im Browser: http://schulprojekte-reformation.de/game/html_gs  (Firefox oder Google Chrome verwenden).

Tipp: Über die Codes kannst Du das Spiel auch auf einem anderen Rechner an der gleichen Stelle fortsetzen.

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Aneignungen Luthers

Thomas Kaufmann: Aneignungen Luthers und der Reformation.

Wissenschaftsgeschichtliche Beiträge zum 19.-21. Jahrhundert.

Hrsg. von Martin Keßler. (Christentum in der modernen Welt 2)
Tübingen: Mohr Siebeck 2022.
XIV, 653 Seiten. ISBN 978-3-16-161336-4

 

Aneignungen Luthers zu einem deutschen Helden
und Vorbild für den Nationalsozialismus

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Die Sammlung von Aufsätzen zeigen vorzüglich die Fokussierung auf Luther als den Deutschen, besonders auch in der Zeit des Nationalsozialismus, und die Wissenschaftsge­schichte der (deutschen) Kirchengeschichte als Theologie, aber kaum einen Weg künftiger Forschung.

Ausführlich:

In der Tat spielt die Forschung zu Luther und weniger zur Reformation als ‚Bewegung‘ den zentralen Bezugspunkt der Wissenschaftsgeschichte, zu der Thomas Kaufmanns Aufsatz­sammlung bestens informierte und deutlich im Verhältnis zum Nationalsozialismus wertend Beiträge liefert. Im Mittelpunkt stehen die Deutungen von Ernst Troeltsch und Karl Holl wie seiner ‚Schule‘, was das Zentrum der Reformation ausmache. Ernst Troeltsch hatte in seinem Tausend-Seiten-Buch Die Soziallehren 1912,[1] vorbereitet in 1906, die deutsche Ausnahme­stellung zur Reformation als weltgeschichtliche Wende bestritten. Luther und der Altprotes­tantismus waren, so Troeltsch, noch weitgehend dem Mittelalter verpflichtet, erst mit dem Neuprotestantismus begann die Neuzeit. Übersetzt in die Gegenwart waren das die Schweizer Reformierten in Westeuropa und dann vor allem die nach Nordamerika ausge­wanderten Christen, die Puritaner. Max Weber schrieb seine zwei Aufsätze zu Die protes­tantische Ethik 1904/1905, Troeltsch sein Der Protestantismus und die protestantische Kirche in der Neuzeit. Zusammen mit seinem Fachmenschenfreund Max Weber war er eingeladen zu einem Kongress in St. Louis im Zusammenhang mit der dortigen Weltausstellung. In der Vorbereitung hatten sie sich eingearbeitet in das nordamerikanische Christentum und seine calvinistischen Wurzeln.[2] Damit war ein Streit vom Zaun gebrochen, der am deutschen Selbstverständnis des Kaiserreichs nagte, mit dem Ersten Weltkrieg zum Skandal wurde. Mit der Radikalität, Konventionen aufzukündigen, traten zwei theologische Positionen gegen Troeltsch‘ Geschichtskonstruktion an: Zum einen die Dialektische Theologie mit dem himmelweiten Abstand von Gott und Mensch und auf der anderen Seite Karl Holl und seine Schule, die die gerade edierten frühen Schriften des jungen Luther interpretierten und den Zeitpunkt der „reformatorischen Erkenntnis“, die Rechtfertigungslehre viel früher ansetzten und als massiven Bruch mit dem Mittelalter verstanden.[3] Die Weimarer Republik als ‚gott­losen‘ Staat ablehnend, konnten viele Protestanten sich identifizieren mit dem autoritären Führerstaat und beriefen sich dafür auf Luther. Ein herausragendes Beispiel ist der Berliner Kirchenhistoriker und Reorganisator des theologischen Curriculums, Erich Seeberg.[4] ThK hatte schon in dem großartigen Aufsatz die Seebergs mit den Harnacks verglichen, zwei Professoren-Dynastien, die im Baltikum als Minderheit das Deutschtum vertreten hatten, und nun in Berlin die eine (Harnacks) die Demokratie stärkten bis hin zum Attentat auf Hitler, die andere (Seebergs) in vorderster Front für den Nationalsozialismus eintrat. Besonders eindrücklich ist der Nachweis, wie Werner Elert sein Kriegserlebnis (des Ersten Weltkriegs) im Kampf um das Christentum 1921 und dann in seiner Morphologie des Luthertums verarbeitete, um dann 1934 gegen die Barmer Synode den Ansbacher Ratschlag zu veröffent­lichen, der Rasse als Gottes Schöpfungsordnung theologisch rechtfertigte.[5] Noch aufregender ist das Lutherverständnis Hermann Dörries, der sich nach 1945 als Opposition zum NS stilisierte, aber einen Beitrag in seiner Bibliographie verheimlichte, der bereits 1932 An die Kritiker des NS: ein Schutzwort statt einer Kritik für den damals noch weitgehend geächteten NS schrieb.[6] Differenziert zu Heinrich Bornkamm, dessen wichtige Studie zu Luther und das Alte Testament zwar erst 1948 erschien, er das Thema aber schon im Krieg – gegen die Verwerfung des AT – gewählt und erarbeitet hatte.[7]

Im Schnelldurchgang noch die anderen Aufsätze: ThK weist nach, dass der Antisemitismus Luthers nicht erst durch die Ausgabe 1938 bekannt, sondern in Zitatensammlungen (Florilegien) das ganze 19. Jh. präsent war.[8] Protestantisch-theologische Wurzeln des Personenkults im 19. Jh.?[9] Friedrich August Tholuck kritisiert aus der Sicht der Erweckungsbewegung den Rationalismus und seine Vorgeschichte 59-87. Zum schwierigen Verhältnis von Luthertum und Humanismus [2013], 399-431.

Das Ganze ist erschlossen durch üppige Indices. Die meist mehr als die halbe Seite einneh­menden Fußnoten dokumentieren die Forschung außerordentlich dicht, aber viele Nach­weise sind mit den vollen bibliographischen Angaben redundant und verständlicherweise gibt es Überschneidungen, bes. in Kapitel 10 und 13.[10] Ein Manko ist, dass das Datum der Erstveröffentlichung in den bibliographischen Angaben oft fehlt.[11]

Zwischenfazit: Eine herausragende, bestens dokumentierte Wissenschaftsgeschichte, mit Wertungen, die je mit eindeutigen Zitaten belegt sind. Wissenschaftsgeschichte ist jedoch einzuschränken: Auch wenn die historischen Kontexte oft genannt sind, so geht es doch durchgehend um die Wissenschaft der Kirchengeschichte als eine theologische Disziplin, weitergehende wissenschaftsgeschichtliche Einordnungen sind selten.

Und das ist erstaunlich. Der Band ist eher ein Abgesang an eine verschwindende Epoche, ein spezifisch deutscher Zugang, der durch die deutsche Institution der theologischen Fakultä­ten geschützt ist und immer neu begründet werden muss in ihrer Andersheit zu den ‚Profan­historiker:innen‘.[12] Erstaunlich wenig ist von den neueren Entwicklungen die Rede, beson­ders Berndt Hamms Forschungen sind bibliographisch präsent, aber nicht in ihrer Konse­quenz dargestellt.[13] Ein Ausblick auf Themen, die künftig der Erforschung harren, fehlt völlig. Und das von einem Forscher wie Thomas Kaufmann, der umfassend das Medium Buchdruck/Flugschriften erforscht hat und dafür den kecken, geradezu provozierenden Titel gewählt hat Die Mitte der Reformation.[14] Die Fragestellungen haben sich verschoben auf die Mobilisierung der Öffentlichkeit, eine Bewegung, nicht ein theologischer Denker, der seinen Studenten den Römerbrief auslegt. Die Reformation auch in Kaufmanns Sinne hat (mindestens) vier Zentren: Wittenberg, Zürich, Genf und Straßburg. Insofern ist der Satz völlig überzogen (506): … der Begriff ‚Reformation‘ wurde von den Pluralisten enteignet, inhaltlich entkernt und umgedeutet – ein Akt der semantischen Expropriation zum Behufe der historiographischen Relativierung, was bisher darunter verstanden wurde.“ Man kann so argumentieren: „Ohne Luther keine Reformation“. Aber Luther ist nicht die Reformation. Die weitgehende Engführung auf die deutsche Forschung, auf die theologische Kirchenge­schichte eröffnet keine Perspektiven. Und die Frage, was die Reformation an ‚Neuem‘ für welche Gruppe erbracht hat, das erscheint auch nicht am Horizont.

Fazit: Die hier herausgegebene Sammlung von Aufsätzen zeigt Kaufmann als exzellenten Kenner der Kirchengeschichtsschreibung mit bohrenden Fragen und scharfen, aber immer gut belegten Urteilen zur Stellung zum Nationalsozialismus samt Vor- und Nachgeschichte. Da ist sie großartig und unbedingt lesenswert. Aber es ist eher ein Grabgesang einer ver­gangenen Epoche als ein Aufbruch zu neuen, frischen Fragen. Und das von einem, der genau solche Aufbrüche wagt.

 

Bremen/Wellerscheid, August 2022                                                                     Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

 

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[1] Jetzt die fundamentale Ausgabe mit den späteren, geplanten Ergänzungen als Ernst Troeltsch, Kritische Gesamtausgabe (KGA) 9, 1-3, hrsg. [und vorzüglich eingeleitet] von Friedrich Wilhelm Graf u.a. siehe meine Rez.: „Die Soziallehren der christlichen Kirchen“: Ernst Troeltschs Klassiker in der Neuausgabe. Ernst Troeltsch, Kritische Gesamtausgabe. Berlin: De Gruyter. Band 9,1-3 Die Soziallehren. 2021. ISBN 978-3-11-043357-9 https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2021/06/30/troeltsch-soziallehren/ (30.6.2021).

[2] Das 20. Jahrhundert würde das amerikanische sein, hatte schon Ulrich von Wilamowitz in seiner Rede auf das Neujahr 1900 prophezeit. S. Christoph Auffarth: „Ein Hirt und keine Herde“. Zivil­religion zu Neujahr 1900. In: CA; Jörg Rüpke (Hrsg.): Ἐπιτομὴ τῆς Ἑλλάδος. Studien zur römischen Religion in Antike und Neuzeit für Hubert Cancik und Hildegard Cancik-Lindemaier. (Potsdamer Altertums­wissenschaftliche Beiträge 6) Stuttgart: Steiner 2002, 203-223.

[3] Das Thema des „Durchbruchs“ der „reformatorischen Erkenntnis“ reduziert die Reformation auf ein kognitives Ereignis eines Individuums. Bei dem von Karl Barths Dialektischer Theologie geprägten Ernst Bizer wird das zu einer sich verstärkenden Reihen von Durchbrüchen. Sein Lutherbuch fides ex auditu 1958 führte zu einer langen Kontroverse ([2004] 463-489). [Das sind das Jahr der Erstveröffent­lichung und die Seitenzahlen im vorliegenden Buch von Thomas Kaufmann].

[4] Die Harnacks und die Seebergs [2005], 119-170. Erich Seeberg als NS-Theologiepolitiker, 249-270. Der letztere Aufsatz ist eine Zusammenfassung eines 150-seitigen Aufsatzes von 2002. Zum Schüler See­bergs Ernst Benz, der dessen Programm der Umgestaltung der Kirchengeschichte zum Fach Deutsche Frömmigkeit vorantrieb, in der Bonner Republik aber – weiterhin antikommunistisch und anti­katholisch – als Kulturpolitiker die globale Öffnung repräsentierte, s. Auffarth, Frömmigkeit im protestantischen Milieu: Marburg während des Nationalsozialismus. In: Olaf Blaschke; Thomas Großbölting (Hrsg.): Was glaubten die Deutschen 1933-1945? Religion und Politik im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main: Campus 2020, 415-442.

[5] Werner Elert als Kirchenhistoriker [1996], 197-248. Dort auch eine gute Charakteristik der Gemein­samkeit mit Rudolf Otto 224, Anm. 94, sich auf Luthers „unableitbare“ Erfahrung berufend.

[6] Mit angeblichen Lutherzitaten. ThK kann auf den Nachlass von Elert zurückgreifen, den er privat archiviert hat [unveröffentlicht], 371-395).

[7] Heinrich Bornkamm als Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte [2008], 271-320. Ein Blick auf Bornkamms Bruder Günther, Prof. für NT, klarer Gegner des NS, wäre erhellend. Dazu Gerd Theissen: Neutestamentliche Wissenschaft vor und nach 1945: Karl Georg Kuhn und Günther Bornkamm. Heidelberg: Winter 2009.

[8] [2015], 3-36. Johannes Wallmann hatte das bestritten in zwei Rezensionen, ThK stellt das nicht heraus (4, Anm.2).

[9] [2015], 37-58 verweist auf die Schrift von Carl Ullmann.

[10] 10 Evangelische Reformationsgeschichtsforschung nach 1945 [2007], 321-369 (um den Kritiker Ernst Wolf herum). 13 Die deutsche Reformationsforschung seit dem Zweiten Weltkrieg [2009], 433-461.

[11] Fehler sind sehr selten. 172 A. 1 heißt der Autor Wolfgang Schluchter, nicht Schlachter. Andere Versehen liste ich hier nicht.

[12] Obwohl gerade die Frühneuzeit-Historiker:innen das Thema Religion entdeckt haben, kommen sie in den Forschungsberichten fast nicht vor (außer prominent Peter Blickle). Wo steht etwas zur „Sozial­disziplinierung“ (Gerhard Oestreich) und La grande peur (Jean Delumeau 1978), Schorn-Schütte ist gerade einmal erwähnt, Renate Dürr gar nicht. Die Forschung von Franziska Loetz zu Zürich ergab ein überaus interessantes Bild vom Verhältnis der Ratsherren und der Theologen (Mit Gott handeln, 2002). Gerade erschienen ist ihr Gelebte Reformation. Zürich 1500-1800. Zürich TVZ 2022, 391-409.

[13] Die herausragende Monographie (mit meiner Rezension) zeichnet geradezu ein Gegenbild zu Luther, jedenfalls eine Alternative zu Luthers Menschenbild: Gerechtigkeit in der Stadt – Ein Prediger vor der Reformation. Berndt Hamm: Spielräume eines Pfarrers vor der Reformation. Ulrich Krafft in Ulm. Ulm: Stadtbibliothek 2020. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2021/04/19/hamm-spielraeume-eines-pfarrers/ 27.4.2021. Zum „Ablass“ ders.: Ablass und Reformation – erstaunliche Kohärenzen. Tübingen: Mohr Siebeck 2016.

[14] Im Kontext dieses wissenschaftsgeschichtlichen Bandes wäre die „Mitte der Reformation“ die theologische Erkenntnis der (passiven) Rechtfertigung und der Gnadenlehre und die Mobilisierung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem Ablassstreit 1517. ThK hat das in seinem Der Anfang der Reformation begründet (Meine Rezension: Anfänge und Bruch. Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation. 2012. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2013/02/27/der-anfang-der-reformation ) und in seinem abschließenden Aufsatz Wider die Pluralisierung der Reformation (491-514) noch einmal festgeschrieben., nachdem sein Buch Das Ende der Reformation von der Titelgebung eine Trilogie suggerieren. Meine Rezension zu Die Mitte: Thomas Kaufmann:  Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und Publizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenierungs- und Ausdrucksformen. Tübingen: Mohr Siebeck 2019. XX, 846 Seiten. (Beiträge zur historischen Theologie 187) https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2019/11/19/mitte-der-reformation/ (19.11.2019). Zu diesem gelehrten Buch erschien gerade eine populärere Version: Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte. München: Beck 2022.

Der Anfang der Reformation

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Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation.
Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik
und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung
.

(Spätmittelalter, Humanismus, Reformation)

Tübingen. Mohr Siebeck 2012.
676 Seiten.
ISBN 978-3-16-150771-7.

 

Anfänge und Bruch

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Zusammenfassend: Wer in die interessantesten Fragestellungen und Ergebnisse der Reformation in ihrer frühen Phase sich einführen lassen will, muss dieses Buch lesen. Keine Erzählung, sondern Problemgeschichte, also präzise Frage, Kontexte, im Gespräch mit Historikern und Kulturwissenschaftlern, nicht nur Theologen. Sehr sorgfältige Darstellung der Quellen und eine starke, wohl begründete These. Wissenschaft der Spitzenklasse.

Im Einzelnen:

TK wird Fünfzig und sieht sich veranlasst, eine Bilanz zu ziehen. Nachdem er 2003 über das Ende der Reformation sich Gedanken machte an­hand der Magdeburger Ent­wick­lung 1548-1552, komponiert er nun 11 bereits publi­zierte, überarbeitete Aufsätze und fünf neue zu einer Gesamtfragestellung: der Anfang der Reformation. Zweifach Singular: der eine Anfang, die eine Reformation. Schon das eine These, die es zu be­gründen gilt. Das tut er im einleitenden Paragraphen 1-27. Nach der Frage Was there a “reformation“ in 16th century?[1] hier eine Antwort: aus einem lokalen, regio­nalen, aber auch sozialen und sprachlichen Kontext in einen anderen übergehenden Inter­aktionsprozess wird die reformatorische Bewegung und daraus die Reformati­on. Deren Anfang in den Jahren 1517 bis 1523 untersucht TK perspektivenreich. Er benennt S. 24-26 zehn tiefgreifende Zäsuren, die den Anfang der Reformation aus­machen. Auf Kosten welcher Entwicklung ist oft mehr angedeutet als ausgeführt, aber es ist jedenfalls kein Buch zum kommenden Jubiläum (500 Jahre Reformation 2017), sondern ein Buch historischer Redlichkeit.

Erneut ein großes Buch von Thomas Kaufmann, in dem er in 16 Kapiteln[2] den Anfang der Reformation analysiert, nicht erzählt.[3] TK schreibt Problemgeschichte:[4] Erst einmal muss geklärt werden, welche Frage sich heute stellt, wie man sie schrittweise beant­wor­ten kann und welche Folgerungen sich daraus ergeben. Diese stark argu­men­tative Struktur, die sorgfältigen und umfassenden Belege in den Anmerkungen, der auf einander aufbauende Argumentationsgang und das Fazit begrenzen die jeweilige Frage nicht durch ein biographisches (Luthers) Zeitgerüst, sondern ver­folgen eine Antwort Luthers (und anderer, auch fast unbekannter Reformatoren) über eine Aussage aus einer bestimmten biographischen Situation mit dem Vorher und Nachher und den gleichzeitigen Alternativen zu einer ebenso erschöp­fenden wie knappen Behandlung. Die Auseinandersetzung mit anderen Forschungs­meinungen ist knapp, oft scharf, aber jeweils mit kurzer Begründung (also nicht einfach polemisch) in lange Anmerkungen ausgelagert.[5]

§ 2 Häresiologie: Jan Hus und die reformatorische Bewegung (30-67). Luther hat später seine Verbindung zu Jan Hus und der böhmischen Kirche so zusammenge­fasst: Sumus omnes Hussitae ignorantes. „Wir sind alle Hussiten, unwissentlich“.[6] Dem stellt TK den Befund gegenüber. Schon früh, in der Leipziger Disputation, wird Luther von den Papsttreuen mit dem Vorwurf konfrontiert, er bewege sich auf den Spuren des Jan Hus – und die endeten ein Jahrhundert zuvor auf dem Scheiterhaufen in Konstanz: Luther sei also ein Ketzer. Luther kennt zu der Zeit Hus nur aus den Berichten der Gegner; er lehnt die Fremdzuschreibung ab. Ja, Hus sei ein Kirchen­spal­ter. Als er sich aber die Schriften des Hus kommen lässt und studiert, erkennt er, wie ‚evangelisch‘, d.h. der Bibel entsprechend, dessen Programm war. Nun nennt er sich mit Stolz Hussit. Auch die reformatorische Bewegung versteht sich nun als Fort­setzung, wie TK an zwei Kupferstichen zeigen kann. Zwei Fragen lässt das Kapitel unbeantwortet: Welche Rolle spielt das Recht gegen Ketzer in der Reformation? Das Verbot, es gegen die andere Konfession anzuwenden, ist ein zentraler Vorgang für den inneren Reichsfrieden. Weiter verfolgt TK nicht das Motiv der „Gans“.[7]

§ 3 Bibeltheologie: Vorreformatorische Laienbibel und reformatorisches Evangelium (68-101). Wenn die Bibel heilig und als Bestandteil kirchlich-liturgischer Geräte reser­viert wird, dann haben die Laien keinen Zugang zu ihr. Die Bibel zu einer Verfas­sungs­ur­kunde zu machen, auf die sich die Laien mit ihrem Anspruch auf Partizipa­tion – religiös wie politisch – berufen können, ist eine grundlegende Errungenschaft der Reformation. Wenn das ein zentrales Ziel der Reformation war, dann würde ich weiter gehen als die Formulierung von TK: Die Laienbibel ist Voraussetzung, nicht Ursache der Reformation (99). Seine Argumentation versucht zu erklären, dass schon vor Luthers erster Bibelübersetzung (Septembertestament 1522) zum einen volks­sprach­liche deutsche Übersetzungen gedruckt wurden.[8] Zum andern erklärt er, wie Erasmus 1516 mit der Veröffentlichung des griechischen Textes des Neuen Testa­men­tes und der Erklärungen die notwendige Voraussetzungen für Luthers Ent­schlüs­se­lung der Bibel schuf. Und doch war sie, wie TK dann argumentiert „ein Traditi­onsbruch“. Luther verwendet nicht mehr die Vorrede des Hieronymus zur lateini­schen Bibel Vulgata, sondern führt den Begriff Evangelium ein, der nicht nur für die Evangelien, sondern für einen bestimmten Kern der Bibel (auch der hebräischen Bibel) gilt, andere Schriften aber nicht umfasst. Der Schluss des Kapitels, damit sei ein neu­es Verständnis Gottes erreicht, kommt m.E. etwas unvermittelt.[9] Hier gehörte doch der erneute Bruch Luthers hinzu, der die Laienbibel den Laien wieder wegnimmt: Wenn die Laien (polemisch die Bauern genannt) in der Revolution von 1525 („Bau­ernkrieg“) jeden ihrer 12 Artikel mit der Bibel legitimiert, dann schlägt sich Luther auf die Seite der alten Ordnungsmächte und schaltet dem laienhaften Verständnis die professionelle Hermeneutik der Ursprache vor: die Laien dürfen die Bibel nicht für politische Partizipation verwenden. Ohne diesen erneuten Bruch ist ein Kapitel Bibeltheologie unvollständig. Auch sonst vermisse ich die Revolution von 1525 als Ende des Anfangs der Reformation.[10]

§ 4 Religionshermeneutik: Wahrnehmung des Islam (102-120). Zu der partiellen Enttheologisierung der Reformation, statt sie nur auf innerchristliche Entwicklungen zu begründen, hat TK mit seinen Büchern zu den Judenschriften und dem „Türcken­büchlein“ wichtige Beiträge für die extrinsische[11] Motivation der Reformation erschlos­sen: Die Abgrenzung gegen die Juden und die Angst vor der Herrschaft der Türken in Europa formen die Reformatoren.

§ 5  Politiktheorie fragt nach theokratischen Konzeptionen (121-163). Der Begriff „Theokratie“ wird oft verwendet; für Luthers Zwei-Reiche passt er gerade nicht (wichtig 122 Anm. 7 zur „normativen Zentrierung“). TK definiert für das 15. und 16. Jh. (124 f): „Herrschafts- und Gesellschaftskonzeptionen und politisch-kulturelle Praktiken, die auf eine widerspruchsfreie Identität von Religion und Politik, gött­lichen Normen und gesellschaftlichem Handeln abzielten, mithin die Ordnung bzw. die Gerechtigkeit Gottes unmittelbar zu realisieren versuchten und prinzipiell uni­versale Geltung beanspruchten. …“ Das bedeutet auch die Aufhebung der Dif­ferenz zwischen Laien und Klerikern und ist meist radikal antiklerikal.[12] TK be­schreibt die Reformprogramme der ‚Reformatio Sigismundi‘ 1439, des ‚Oberrheinischen Revolutio­närs‘, der Zwölf Artikel und des Täuferreichs von Münster 1534.[13] Zwei wichtige Fragen sind damit verbunden: Ist die Reformation der entscheidende Bruch? (Guter Exkurs zur Forschungsfrage 160 A. 120). Einerseits nein, weil eine Kontinuität des Theokratiegedankens über hundert Jahre von 1439 bis 1534 jeder menschlichen (Willkür-)Herrschaft die Legitimation abspricht, andererseits ja, indem Realisierun­gen erst möglich waren, weil und nachdem die Reformation die latein­euro­päische Welt erschüttert hatte.

§ 6 untersucht als „Ausgangsszenario“ Luthers 95 Thesen. Sie beziehen sich nicht einzig auf den Ablasshandel, der regional gesehen in Sachsen eher bescheidenen Erfolg hatte. Die Thesen sind unter mediengeschichtlichem Aspekt interessant. 182 A. 66 kritisiert eine Bewertung, die zu eng biographisch argumentiert.

§ 7 untersucht auf 80 Seiten (185-265) die Bedeutung der Studenten für die Refor­ma­tion: Sie sind die aktionale Speerspitze, oft von den Reformatoren eher als Gefähr­dung angesehen, aber eine wichtige Trägergruppe der neuen Ideen. Eine Gruppe, die sich ständig ändert und auflöst, weil sie in den Beruf drängt. Ob die Reformation freilich die Chancen für das Studienziel fördert oder schwächt, ist zwiespältig. Denn die Möglichkeit als Mönch – studiert oder nicht – in eine Pfründe zu kommen, stellen die Reformatoren in Frage; die studierten Prediger dagegen verdienen viel weniger und man braucht viel weniger Priester als bisher. („Professionalisierungskrise“ 222; 225 passt nicht gut). Eine interessante Figur ist der Student als Reformator, Ulrich Hugwald, der als Verlagslektor jobt (238-259).[14]

§ 8 beschreibt die Konstruktion des Images Luthers, seine Heroisierung in Literatur und den massenweisen Bildern (266-333). Sehr präzise ist hier die Literatur zur Medi­enrevolution der Flugschriften zusammengestellt, die eben auch das Bild um­fasst. Zunächst wird eher der kleine Mönch, Gelehrte, Prophet und Heilige gezeichnet,[15] dann (ab 1521-24) der Befreier, Triumphator und Wundermann, oft mit einem be­kann­ten Bild verbunden wie Daniel, Hercules, die mystische Mühle. Wichtig die 295 Anm. 92 zum neuen Namen Luthers aus griech. el(e)utherios, ‚der Freie‘. TK bleibt bei der Bezeichnung Bauernkrieg (315).

§ 9 nennt Beschreibung der Heidelberger Disputation Luthers, die Martin Bucer aufgeschrieben hat, argumentative Impressionen, 334-355. Bucers Bericht dürfte eher den tatsächlichen Verlauf wiedergeben und inhaltlich rechnet TK weniger mit einer subjektiven Verkürzung als damit, dass Luthers Theologie sich auch änderte („Einheit und Vielfalt der Theologie Luthers“ 355).

§ 10 Publizistische Mobilisierung 356-434 beobachtet, dass um 1520 die anonymen Flugschriften enorm zunehmen, während ab 1523 die Zahl der Flugschriften weiter explosionsartig steigt, aber die Autoren sich nun nennen (361). TK meint, die Anony­mität habe die Ermöglichung einer „reformatorischen Öffentlichkeit“ geschaffen, eine wichtige Überlegung, den man im Zusammenhang der These von Jürgen Haber­mas‘ Strukturwandel der Öffentlichkeit stellen kann. Anonymität heißt eine Publikati­onsstrategie, die nicht eine individuelle Meinung kundtut, auch nicht aus Feigheit den Namen verschweigt, sondern den Anspruch er­hebt im Sinne der Allgemeinheit die Wahrheit auszusprechen.

§ 11 Theologisch-philosophische Rationalität: Zum vernünftigen Gottesgedanken in der Reformation, 436-463. Luther nennt die Vernunft öfter „eine Hure“. Gemeint ist, dass sie sich, wer immer sie verwenden will, gerne andient. Der schmerzhafte Ablö­sungsprozess von der aristotelischen Wissenschaftslogik (Scholastik) führt noch nicht zu einer neuen Wissenschaft. Die hat dann Melanchthon mit den Loci (453) durchge­führt. Im Vergleich dazu zeigt TK, dass Zwingli viel ‚neuzeitlicher‘ vorgeht.

§ 12 Radikale Reformation als Integration von Lehre und Leben (464-505). Die sog. radikalen Reformatoren (warum TK an der Bezeichnung festhält, begründet 464, Anm. 1). Im Unterschied zu der Lutherischen Reformation, die ganz auf das schrift­lich vor anderthalb Jahrtausenden festgelegte ‚Wort Gottes‘ vertraut, berufen sich die  ‘Radikalen‘ auf die Verleihung des Gottesgeistes, der heute und aktuell sie zum Handeln auffordere. Am auffälligsten zeigt Karlstadt – vor den Augen Luthers – das neue Charisma, das nicht auf intellektuelles Wissen pocht, indem er die Kleidung des Wissenschaftlers auszieht und sich wie ein Alltagsmensch kleidet: im grauen Rock und Filzhut. (Wie so oft verwendet TK einen kühnen Ausdruck, der aber eher den Eingeweihten etwas sagt: Er spricht hier von einer ‚vestimentären Konversion‘, will sagen, wenn Karlstadt sich von einem Tag zum andern eine andere Kleidung zulegt, so sehen sofort alle, dass sich von seinen bisherigen Kollegen, den Wittenberger ‚Schriftgelehrten‘[16] abgrenzt und sich mit dem ‚gemeinen Mann‘ verbrüdert. TK stellt dar, wie Kleidungsstücke Zeichen der Identität mit sozialen Gruppen anzeigen. Die ‚Radikalen‘ zeigen auch nach außen, dass Gott seine Weisheit nicht den Mächtigen und Gebildeten offenbart, sondern den Einfältigen. Dazu bedient man sich Meta­phern der Mystik, dass Gott inwendig sei. (Wichtig wieder die Auseinandersetzung mit dem Mystikkonzepten 500 A. 120).

§ 13 Ekklesiologische Revolution: Das Priestertum der Glaubenden (506-549). Für die hohe Wertschätzung der Laien statt der Mönche und vor allem statt der Priester stellt TK neben Luthers revolutionärer Position An den christlichen Adel und seinem Gegner im  eigenen Lager, Karlstadt, wenig bekannte Basler Flugschriften vor. Die Darstellung bleibt an zwei Stellen stehen, die der Erklärung oder zumindest des Aus­blicks bedürfen: Warum unterstützt Luther nicht die Laien-Revolution von 1525 („Bauernkrieg“), die sich konsequent aus seiner theologischen (das betont TK zu Recht) revolutionären Position ergäbe? Und damit zusammenhängend: Warum wendet sich Luther gegen Priester und Pfründen, führt aber den studierten Theo­logen als Filter für das Wort Gottes ein?

§ 14 Reformation der Lebenswelt Luthers Ehetheologie (550-564). Luthers etwas widerstrebend ausgeführter Schritt zur Heirat und Familiengründung hat zwei As­pekte, die TK im Vergleich zu dem viel gelesenen Ehebüchlein (zuerst 1472) Albrecht von Eybs erläutert: Zum einen fürchtet Luther die ungebundene Sexualität, sie sei teuflisch, während auf der anderen Seite die Sexualität in der Ehe heilsam sei und den Evangelischen zur Pflicht gemacht wird. Die Familie als ‚das evangelische Kloster‘ ist ein eindrücklicher Ausdruck.

§ 15 Personale Identitätskonstruktionen: ‚Erfahrungsmuster‘ in der frühen Refor­mation (565-588). „Erfahrung“ ist ein gefährlicher Begriff, weil man ein subjektives Element zum Kriterium für andere machen kann. TK definiert nicht zu eng theolo­gisch, aber doch nur in evangelischer Sicht. Einleuchtend zitiert er in der Anmerkung 567 A. 5 den Religionspädagogen Bernd Schröder „Erfahrung mit der Erfahrung“. Alle reformatorischen Autoren beziehen ihre Erfahrungen auf die Bibel mit dem Ziel, ihre ‚Konversion‘ (und damit Abwendung vom ‚alten Glauben‘) zu legitimieren. Ich habe den Begriff des ‚Lebensbildes‘ imago vitae vorgeschlagen, das bedeutet, dass jede Erfahrung im Lichte vorausgegangener Erfahrungen steht, die in der Kommunikation mit vorgeformten, erzählten Erfahrungen (einem image) vorstrukturiert sind. Und diese sind nicht nur biblische Glaubenserfahrungen, sondern etwa das Bild des Ge­lehr­ten.[17] TK bringt dann gut belegte Beispiele für die autobiographische Selbst­thema­ti­sierung einer Kehrtwende im Leben, der prophetischen Berufung als mysti­sche Erfahrung oder schließlich als dritten Typus der Lese-Erfahrung, die je zu der Konversion führten, wie sie die Reformatoren berichten.

§ 16 Fragmentarische Existenz: der „alte“ und der „junge“ Luther (589-605). Das letzte Kapitel führt erst einmal in die Idee von der ‚Entwicklung‘ einer Persönlich­keit, wie sie um die Jahrhundertwende 1900 behauptet wurde und der Bedeutung der jungen Genies oder des Spätentwicklers. Dann diskutiert er die Beispiele Abend­mahlslehre und Stellung zum Judentum: Luther hat sich erheblich verändert.

 

Ein unglaublich gelehrtes, in viele Einzelheiten der frühen Neuzeit einführendes Buch, weit über theologische Fragen hinausgehend und doch immer nach der Relevanz für die Theologie fragend. Was macht die, sagen wir, Explosion der Reformation in den Jahren 1517-1523 aus? Der Stand der Forschung, die Fülle der Quellen, spannende Ergebnisse. Spitzenforschung.

 

14. Februar 2013                                                                                        Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen


[1] Hans J. Hillerbrand: in: Church History 72(2003), 525-552.

[2] Wie bei Theologen und Juristen gerne verwendet, gliedert TK nach Paragraphen. Das lässt ein syste­matisch fortlaufendes Handbuch erwarten. Bei TKs Buch handelt es sich jedoch um verschiedene Per­spektiven, in sich relativ abgeschlossen,  zu der zentralen Frage.

[3] Wer das erwartet, findet in TK: Geschichte der Reformation in Deutschland, Frankfurt 2010, das geeig­ne­te Buch. Das das ist gute Problemgeschichte in einem eher chronologischen Rahmen. S. meine Rezen­si­on auf dieser Internet-Seite.

[4] Otto Gerhard Oexle hat den methodischen Grundsatz entwickelt, dass Geschichte sich nicht (wie Ranke das versprach: Erzählen, wie es eigentlich gewesen ist) als erzählerische Konstruktion aus immer genauer erforschten Fakten ergibt. Vielmehr stellt jede Generation mit ihren Erfahrungen andere Frage an die Geschichte, es stellen sich Probleme neu, die dann über neue Thesen zu einer anderen Antwort führen. Er nennt dieses Vorgehen Problemgeschichte

[5] Beispiele 38 f Anm. 34. 101 Anm. 131.

[6] WA Br 2, 42,24.

[7] Dazu einiges bei Will-Erich Peuckert: Die große Wende. Das apokalyptische Saeculum und Luther. Hamburg 1948; ND Darmstadt 1966. Hus heißt tschechisch Gans. Luther wird mehrfach mit einer Gans im Arm dargestellt.

[8] Der Zugang über die Volkssprache und nicht über die sakrale, unverständliche Sprache als rituelle Lesung in der Kirche wird schon früher als ketzerischer Ungehorsam verstanden. S. Christoph Auffarth: Cathari. In: Encyclopedia of the Bible and its reception. Vol. 3, Berlin; New York: de Gruyter 2011.

[9] Der Aufforderung, die Reformation partiell zu enttheologisieren (101, A. 131 mit Beispielen für eine theologische Engführung, was Reformation meine), stimme ich als Religionswissen­schaft­ler voll zu, sehe TK aber zu kurz gesprungen, wie ich im Folgenden mit dem „Bauernkrieg“ argumentiere.

[10] Mehrfach macht TK zarte Bemerkungen in diese Richtung. Peter Blickle: Die Revolution von 1525. München: Oldenbourg 1975; 42004. Für Beck Wissen 2002 rückt die bekanntere traditionelle Bezeichnung wieder in den Haupttitel.

[11] TK verwendet gerne seltene fremdsprachliche (aber präzise) Begriffe. Das Wort, das ich hier verwende, ist für Pädagogen wichtig. Extrinsische Motivation bedeutet in der Bildung, dass man Strafen, Noten, Geldgeschenke einsetzt, um Menschen für die Anstrengungen des Lernens zu motivieren, statt intrinsischer Motivation wie eine Sprache können zu wollen.

[12] Damit unterscheidet sich die Konzeption von Theokratie des 15./16. Jh.s prinzipiell von etwa der, in der die Priester die Stelle Gottes einnehmen und in diesem Sinne Theokratie ausüben, s. Hubert Cancik: Theokratie und Priesterherrschaft. Die mosaische Verfassung bei Flavius Josephus, contra Apionem 2, 157-198. In: Jacob Taubes (Hrsg.): Theokratie (Religionstheorie und Politische Theologie 3) Paderborn: Schöningh 1987, 65-77.

[13] Dazu meine Rezension zu Hubertus Lutterbach: Der Weg in das Täuferreich von Münster. (Geschi­chte des Bistums Münster 3) Münster: Dialogverlag 2007. Hubertus Lutterbach: Das Täuferreich von Münster: Wurzeln und Eigenarten eines religiösen Aufbruchs (1530-1535). Münster 2008. in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 106 (2008), 222-224.

[14] Hierzu wäre aber die Untersuchung von Natalie Z. Davis über die Träger der Reformation in Lyon zu vergleichen: Dort sind die Druckergesellen entscheidende Akteure, wie sie auf den Druckmaschi­nen die revolutionären Flugblätter drucken. Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen Frankreich. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch 1987, 14-29; 210-249. [dt. Übersetzung von Society and culture in early modern France. Stanford CA: UP 1977].

[15] Zu Cranachs Luther und dem Gelehrtenbild vgl. Auffarth: Living Well and Living On: Martyrdom and the imago vitae in the Early Modern Age. In: Jitse Dijkstra; Justin Kroesen; Yme Kuiper (eds.): Myths, Martyrs, and Modernity. Studies in the History of Religions in Honour of Jan N. Bremmer. (Numen Book Series 127) Leiden 2010, 569-592.

[16] Im Neuen Testament die polemische Bezeichnung für die Intellektuellen (‚Pharisäer‘), deren heim­tückischen Fangfragen sich Jesus mit allgemein verständlichen, treffenden Antworten entzieht.

[17] TK ist dafür offen (etwa S. 470-72), hat es aber nicht in seine Definition einbezogen. Meine Aufsätze zu imago vitae, s. Anm. 15.