Bernhard Dressler, Harald Schroeter-Wittke (Hgg.): Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel.
EVANGELISCHE Verlagsanstalt Leipzig 2012, 664 Seiten. ISBN 978-3-03031-6, 68,00 EUR.
Herausgeber
Bernhard Dressler, Jahrgang 1947, ist Professor für Praktische Theologie, mit dem Schwerpunkt Religionspädagogik, am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg.
Der 1961 geborene Harald Schroeter-Wittke ist Professor für Didaktik der Evangelischen Religionslehre mit Kirchengeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn.
Entstehungshintergrund
Die Publikation ist Dietrich Zilleßen zu seinem 75. Geburtstag gewidmet.
Aufbau
Das Alte Testament
Bernd Schröder: Torah
Michael Fricke: Genesis
Johann Michael Schmidt: Exodus
Thomas Klie: Leviticus
Ulrike Sals: Numeri
Thomas Schlag: Deuteronomium
Ingo Reuter: Josua
Rolf Sistermann: Richter
Hamideh Mohagheghi: Rut
Elisabeth Neurath: Samuelbücher
Uwe Gerber: Königebücher
Harald Schroeter-Wittke: Chronikbücher
Ursula Rapp: Esra / Nehemia
Klara Butting: Ester
Jürgen Ebach: Hiob
Michael Geiger, Stefanie Theis: Psalter
Bärbel Husmann: Sprüche Salomos
Henning Schröer: Kohelet
Frauke Büchner: Hohes Lied
Joachim Kunstmann: Jesaja
Christl M. Maier: Jeremia
Ulrike Baumann: Klagelieder
Klaas Huizing: Ezechiel
Heike Lindner: Daniel
Ralf Koerrenz: Hosea
Peter Rech: Joel
Inge Kirsner: Amos
Michael Waltemathe: Obadja
Marita Koerrenz: Jona
Rainer Stuhlmann: Micha
Carsten Gennerich: Nahum
Desmond Bell: Habakuk
Frank Thomas Brinkmann: Zefanja
Franz Heinrich Beyer: Haggai
Beate Schmittgen: Sacharja
Kim Strübind: Maleachi
Die Apokryphen
Magda Motté: Judit
Albrecht Grözinger: Weisheit Salomos
Lothar Kuld: Tobias
Hans-Jürgen Benedict: Jesus Sirach
Bettina Wittke: Baruch
Michael Tilly: Makkabäerbücher
Isa Breitmauer: griechisches Esterbuch
Matthias Millard: griechisches Danielbuch
Petra Freudenberger-Lötz, Karina Möller: Das Gebet Manasses
Das Neue Testamen
Michael Meyer-Blanck: Evangelium/Evangelien
Mirjam Zimmermann, Ruben Zimmermann, Frederike Weißphal: Matthäusevangelium
Gudrun Guttenberger: Markusevangelium
Bernhard Dressler: Lukasevangelium
Martina Kumlehn: Johannesevangelium
Reinhard von Bendemann: Apostelgeschichte
Stefan Alkier: Römerbrief
Hans-Günter Heimbrck: Korintherbriefe
Bernd Beuscher: Galaterbrief
Friedrich Schweitzer: Epheserbrief
Karl Dienst: Phiipperbrief
Barbara Siebel-Robra, Martin Robra: Kolosserbrief
Claudia Janssen: Thessalonicherbriefe
Ingrid Schobert: Pastoralbriefe – Timotheusbriefe, Titusbrief
Norbert Mette: Philemonbrief
Guido Meyer: Petrusbriefe
Richard Janus: Johannesbriefe
Hans-Martin Gutmann: Hebräerbrief
Veit-Jakobus Dietrich: Jakobusbrief
Christian Kahrs: Judasbrief
Martin Leutzsch: Johannesapokalypse
Gerhard Marcel Martin: Apokryphen
Inhalt
Aus diesem sehr umfangreichen Werk soll bei der inhaltlichen Besprechung zunächst der Fokus auf die Intentionen der Herausgeber gerichtet werden. So ist es Dressler und Schroeter-Wittke daran gelegen die Bibel in den Religionsunterricht hineinzuholen.
Aus didaktischer Sicht, so die Herausgeber, haben „sich die extrinsischen Motive für ein Interesse an Religion weitgehend aufgelöst“ (S. 11). Religion führt in der Schule gewissermaßen eine prekäre Existenz. „Seine kulturhermeneutische Kraft kann der Religionsunterricht nur durch einen Lebensweltbezug zur Geltung bringen, in dem Religion selbst als Teil gegenwärtiger Lebenswelten erschlossen wird“ (S. 12). Für die Bibellektüre entscheidend ist der Lebensweltbezug – und das bedeutet auch die Durchführung einer historisch-kritischen Exegese.
Durch die Deutungsoffenheit und -bedürftigkeit biblischer Texte ist es nur legitim das Wort Gottes unterschiedlich zu verstehen. In diesem Sinne gibt es kein falsches Verstehen biblischer Texte.. Es gab und gibt nicht die richtige Interpretation.
Die Bibel existiert nur im Plural, in Form verschiedener Bibeln. Dieser Sachverhalt bezieht sich v. a. auf die verschiedenen Bibelausgaben, als da beispielsweise wären die Lutherbibel, die Zürcher Bibel oder die Bibel in gerechter Sprache. Die Bibel ist eine theologisch notwendige imaginäre Einheit, die sich in diesem einen Buch nicht verifizieren lässt.
Bei der inhaltlichen Gestaltung haben sich die Herausgeber an die Reihenfolge der biblischen Bücher orientiert, wie sie in der Übersetzung Martin Luthers mit Apokryphen in der revidierten Fassung von 1984 durchgeführt wurde. Diese Orientierung wurde vorgenommen, weil es sich bei der genannten Bibelübersetzung um das meistgelesene Bibelwerk in deutscher Sprache handelt.
Die Herausgeber legen einen Kommentar vor, der in dieser Form bisher fehlt. So ist dies ein Kommentar für den religionspädagogischen Gebrauch zur gesamten Bibel, welcher über die elementare Exegese hinaus schreitet. Die einzelnen Beiträge folgen keinem einheitlichen Konzept und sind somit individuell. Vorgegeben „war allein der Grundsatz, das abbilddidaktische Modell der Anwendung fachlicher Stoffe auf Unterrichtsbedarfe nach dem Muster explicatio – application (Ausführung – Anwendung) zu vermeiden“ (S. 14). Die jeweiligen Autorinnen und Autoren sollten sich der Frage stellen, „wo und wie sich die religionspädagogische Wahrnehmung der Gegenwart durch das jeweilige biblische Buch angesprochen, herausgefordert, in Frage gestellt, angeregt fühlt – und umgekehrt“ (ebd.).
Zur Verdeutlichung der relgionspädagogischen Relevanz soll weiter ein Blick in jeweils einen Teil der Publikation geworfen werden, als da wäre:
- das Alte Testament;
- die Apokryphen;
- das Neue Testament.
Bernd Schröder liest die Torah religionspädagogisch. Die Torah ist:
- eine Ankerschrift u. a. für das tradierte Bild des alttestamentlichen, theologischen Gesetzes;
- von menschheitlicher bzw. allgemein-menschlicher Bedeutung;
- ein Zeugnis dramatisch-zeichenhafter Begebenheiten;
- ein spannendes Erzählbuch
- ein Text, dessen Autor unbekannt ist
„Wohl kaum eine andere Schriftengruppe der Bibel ist Projektionsfläche so vieler ambivalenter, häufig scheinbar in Erz gegossener Erwartungen und Einschätzungen“ (S. 17).
Als eine religionspädagogische Kritik führt der Autor an, dass die Unübersichtlichkeit dieses literarischen Werkes einer Erschließung oft im Wege steht.
Nach den o. g. Einleitungsworten führt Schröder an das die Torah, mit Blick auf alle Bücher des Alten Testaments, am ehesten ein Buch des Lernens ist. Der Lehrer, der Wegweiser ist Moses, den die Schriftgelehrten als die Schlüsselfigur der Torah begriffen. Jedes folgende biblische Buch hat die Torah zugrunde gelegt.
„Wer Belege dafür sucht, dass Christentum und – zuerst – Judentum Lerngemeinschaften sind, der bzw. die wird in der Torah vorzugsweise fündig“ (S. 19).
Für den Lernprozess nach der Torah ist das Handeln entscheidend, denn es gilt nur das als anerkannt und erkannt, was gelebt und getan wird. Verwiesen wird im Beitrag auf Dtn 5,1.
Für die praktische Tätigkeit ist das Hören eine Voraussetzung. Gott erhört, der Mensch gehorcht intrinsisch.
Der Torah geht es um Orientierung, konkret: Es geht um die Unterscheidung zwischen Gottesdienst und Götzedienst.
Die Torah ist ein Dokument des Unterwegs-seins, des Aufbruchs.
„Eine […] religionspädagogische Aufgabe ist es, die Bezugs- und Abgrenzungsgeschichte zwischen frühem Juden- und Christentum fruchtbar zu machen für das Verständnis christlicher Religion heute“ (S. 23). Hierfür verweist Bernd Schröder auf die Interpretation der Torah. Ausgelegt wird die Torah im Neuen Testament, von den Kirchenväter und durch die rabbinische Literatur in Mischna, Gemara und in den Midraschim. Sehr geeignet, so der Verfasser, ist die Torah für das interreligiöse Lernen zwischen Juden, Christen und Muslimen, „die sich auf ihre Weise ebenfalls vielfach auf die Torah beziehen“ (S. 24).
Schröder warnt: „Wenn die Torah unerschlossen bleibt, geht der Schlüssel verloren zu dem, worauf sich der Jude Jesus in seiner gelebten und gelehrten Auslegung bezog, zu dem, was den Christinnen und Christen der ersten Stunde als ‚die Schrift‘ galt, zu dem, was im Judentum bis heute als die primäre Referenz gilt“ (ebd.).
Mit dem Buch Judit befasst sich Magda Motté. Für sie ist es ein Grundlagenwerk, welches sich den Fragen nach Krieg und Frieden, Geschlechterliebe und Geschlechterkampf und Widerstand und Tyrannenmord widmet Drei Deutungsrichtungen lassen sich am Buch Judit festmachen, denen die Verfasserin mithilfe von Beispielen aus der deutschsprachigen Literatur nachgeht. „Über diese kann man sich erfahrungsgemäß in unserer Zeit am besten dem biblischen Buch nähern“ (S. 345):
- Judit als Retterin ihres Volkes: Die „blutigen Hände haben die Figur Judit […] bis heute so zwiespältig gemacht, wie sie in Gedichten von Franz Theodor Csokor, Erich Fried, Rainer Maria Rilke u. a. dargestellt ist“ (S. 345). Eine skeptische Judit, die Gewiss ist, dass ein Mord einen anderen Mord zur Folge hat, wird von Gertrud Kolmar präsentiert. Der Autor Max Krell verlegt den Juditstoff mit „Judith in Saragossa“ in die Zeit der Napoleonkriege.
- Motiv der Liebe: Für dieses Thema zieht Motté z. B. Rainer Maria Rilkes „Judith“ heran. „Judith fügt sich in die ihr von der Tradition zugewiesene Rolle als Retterin ihrer bedrängten Heimat. […] Rilke gibt ein Psychogramm dieser Frau, die sich zwar zu ihrer Aufgabe bekennt, aber als eine von der Liebe Getroffene darunter leidet, Frau und Mörderin zu sein“ (S. 347). Als ein weiteres literarisches Beispiel zu diesem Thema wird das Drama „Judith“ von Friedrich Hebbel angeführt. Dem biblischen Handlungsablauf folgend setzt Hebbel eigene Akzente durch seine psychologische Analyse.
- Judit als Widerstandskämpferin und Terroristin: In seinem Fragment „Die Bibel“ verlegt Bertolt Brecht die Handlung in die Niederlande während der Religionskriege. Mit demselben Problem befasst sich das Drama „Als der Krieg zu Ende war“ von Max Frisch.“Im Zusammenhang mit den Anschlägen auf Asylantenheime brachte Burkhard Driest 1997 ein Stück ‚Judit oder Der kurze Tag des Hasan Nergisz‘ heraus. […] Ein solches Tagespolitik aufgreifendes Stück eignet sich gut, Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich des biblischen Buches zu erarbeiten“ (S. 349). Mit Bezug zur Legitimation des Tyrannenmords wird auf Rolf Hchhuths Trauerspiel „Judith“ verwiesen.
In ihrer Zusammenfassung kommt Magda Motté zu dem Schluss, dass das Buch „Judit“ immer aktuell und für gesellschaftspolitische Diskussionen geeignet ist.
Aus dem dritten Teil der zu besprechenden Publikation widme ich mich nun dem Mathäusevanelium, welches Mirjam und Ruben Zimmermann sowie Frederike Westphal der Überschrift folgend Fragen über Fragen aufwirft. Es geht konkret um die Fragekompetenz, die ein zentraler Bestandteil des Religionsunterricht und für die Beschäftigung mit biblischen Texten ist. „Schülerfragen sollen im gegenwärtigen Religionsunterricht eine wichtige Rolle spielen“ (S. 413). Das Matthäusevangelium ist mit Fragen durchsetzt. Es ist eine Frageschrift. Schülerfragen werden als anthropologische Grundkonstante und Mittel von Selbstbestimmung, Selbsttätig- und Selbstständigkeit charakterisiert.
Bei der Behandlung des Matthäusevangeliums im Lehrplan wird exemplarisch auf den Lehrplan evangelische Religionslehre für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2008 zurück gegriffen. Dieser, so stellen die Verfasserinnen kritisch heraus, verweist lediglich auf Schwerpunkte und Lernperspektiven. In dem genannten Lehrplan finden sich zu den vier genannten Lehrbereichen nur wenig Verweise auf das Matthäusevangelium.
Für das Land Nordrhein-Westfalen sind die Lehrpläne für die Sekundarstufe I von 1993 und die Sekundarstufe II von 1999 – und das darf als kritischer Hinweis verstanden werden – noch nicht kompetenzorientiert, weshalb die Autorinnen auf die Bildungsstandards zum Matthäusevangelium von Baden Württemberg zurückgreift.
Es wird Bezug genommen auf eine empirische Untersuchung, in der die Schülerinnen- und Schülerfragen zum Matthäusevangelium in einer elften Klasse gesammelt wurden: „Ein der Aufgaben lag darin, während der vollständigen Lektüre des Matthäusevangeliums zu den jeweiligen Kapiteln in Lesetagebüchern Fragen zu notieren“ (S. 418).
Nach der Darstellung der Untersuchungsergebnisse kommen die Verfasserinnen in ihrem Fazit zu der Erkenntnis, dass es mit Blick auf die Schülerfragen sehr sinnvoll ist, eine angeleitete Ganzschriftlektüre durchzuführen. „Die Ganzschriftlektüre des Matthäusevangeliums fördert theologische Fragekompetenz, sie fördert Kindertheologie. […] (Und – CR) die Direktheit und Ehrlichkeit, mit der Schüler/innen fragen, soll in jedem Fall ernst genommen werden. Sie entspricht einem Grundzug matthäischer Theologie, die sich aus Kontroversen entwickelt und offen bleibt für Widersprüche“ (S. 431).
Fazit
Die Vielzahl der unterschiedlichen pädagogischen Herangehensweisen an den vielfältig präsentierten Bibelstoff macht die Publikation zu einer Pflichtlektüren für die oder den religionspädagogisch Tätigen.
Dr. Carsten Rensinghoff
info@rensinghoff.org
Januar 2013