Josef Engemann:
Römische Kunst in Spätantike und frühem Christentum bis Justinian.
Darmstadt: von Zabern 2014.
271 S., 232 Abb.,
ISBN 978-3-8053-4389-3.
79 €
Die Kunst des frühen Christentums ist antike Kunst
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Mit 88 Jahren veröffentlicht der Professor für Christliche Archäologie Josef Engemann[1] eine Summe seiner Lebensleistung. Er beginnt mit einer bemerkenswerten These: „Weniger verbreitet ist das Wissen darüber, in welchem Maße die frühchristliche Kunst trotz der Neuigkeit von Bauaufgaben und Bildinhalten von vorausgehenden heidnischen oder neutralen Bildwerken beeinflusst wurde. Diesem Zusammenhang gilt daher in diesem Band besondere Aufmerksamkeit.“ Es ist also nicht ein weiteres Buch, wie sich mit dem Christentum eine neue Symbol- und Formsprache entwickelte für die neue Religion, sondern wie sie an die traditionelle Bildsprache anknüpft. JE schreibt sein Buch in einer Reihe Römische Kunst als vierten Band zur Spätantike, nicht nur zur christlichen Kunst also; eine internationale Reihe wählt den Spezialisten für diese Aufgabe und das erweist sich als eine glückliche Wahl.[2]
Illustriert mit 232 Abbildungen von hervorragender Qualität beginnt JE – nach einem knappen historischen Überblick von Diocletian 284 (also der letzten großen Christenverfolgung) bis zum Tode Justinians 565 – mit Konstantin, dem Sonnenkönig der Antike,[3] und den Bauten, Denkmälern und Skulpturen von und für Kaiser im öffentlichen Raum. Der Archäologe macht deutlich, dass zumindest in den Symbolen und Bildern keine Konversion zu beobachten ist. Die Geschenke, die sich Kaiser und Konsuln wechselseitig machten, folgen im Kapitel 4. Dann wendet er sich der Frage zu, wie trotz des biblischen Bilderverbots sich eine jüdische und christliche Kunst entwickeln konnte. Das Thema bleibt eher beim Wie, als dass es sich dem Warum widmet. Ein klassischer Ort sind die Katakomben. JE macht deutlich, dass die Bilder lange doppelt gelesen werden konnten, ein Hirte mit einem Schaf über der Schulter kann als der Gute Hirte wahrgenommen werden, der von den hundert das eine verlorene Schaf gerettet hat, aber auch als bukolischer Traum, nach einem gehetzten Leben in der Großstadt nun stressfrei auf dem Lande leben zu können. Besonders eindrücklich ist der Jona, der sich unter der Kürbislaube ausruht, ein Bild, das genauso dargestellt wird, wie Endymion, der als Geliebter der Mondgöttin gleichfalls nackt schlummert, oder Ariadne, von Theseus sitzen gelassen, schläft und wird tatsächlich von Dionysos erlöst (77-79; 81f).[4] Das Motiv findet sich auch auf dem Mosaik in Aquileia, das JE 115-117 erklärt. Das ausführlichste Kapitel widmet JE den christlichen Kultbauten und ihrer Ausstattung 101-179, mit einem Schwerpunkt auf Rom und Ravenna, aber auch den Pilgerheiligtümern in Palästina, Syrien und Ägypten und dann den Bauten in der neuen Hauptstadt Konstantinopel. Danach kommt er zu den Profanbauten, etwa den Deckenbildern in Trier (180-183). Das Schlusskapitel gilt den kleinen Formaten: der Buchmalerei, Metallarbeiten, Elfenbeinschnitzereien, Glas, Ton, den Ikonen und Textilien. Dem Schlusswort folgt der Anhang mit einer systematisch aufgegliederten Bibliographie und den Indices mit Personen und Orten.
Durch die Gliederung nach Materialien und nach Werkstätten für Reliefs, Münzen, Schauteller, Fresken in Katakomben etc. (wie das Kapitel „Kunst und Kunsthandwerk im Kleinformat“) ist zu befürchten, dass Dinge, die am gleichen Ort und von den gleichen Benutzern im Ensemble gebraucht wurden, verstreut sind über verschiedene Kapitel. Das ist auch so an manchen Stellen, wie eben am Jona-Motiv gesehen oder bei den Pilgerampullen, einmal unter Konstantins Kirchen im Heiligen Land 112f, dann wieder unter der Pilgerarchitektur behandelt 169. JE macht aber deutlich, dass seine Wahl dabei unterschiedliche Funktionen der Kunst unterscheidet, ja dass er von den Auftraggebern her denkt. Wenn man sich klar macht, dass viele Familien und der Freundeskreis Christen wie Nicht-Christen umfasste, sind solche doppelt lesbaren Bilder nicht einmal ein Kompromiss, sondern für beide Seiten aussagekräftig. Bei bildwissenschaftlichen Fragestellungen stößt man an Grenzen.[5]
Beeindruckend sind die Bildinterpretationen mit vielen erhellenden Erklärungen. So habe ich etwa neu gelernt, dass im Triumphbogen von Santa Maria Maggiore in Rom (etwa 433-440 n.Chr.) im obersten Register rechts biblische Szenen im Innern des Jerusalemer Tempels (der 70 n.Chr. zerstört wurde) spielen, als Außenfassade der Tempel der Roma dargestellt ist (im Giebelfeld thront die Göttin und Personifikation der die Welt beherrschenden Roma; ringsum ist das Gebälk mit Medusenhäuptern umgeben: S. 120). Die Heilsgeschichte ist von Jerusalem nach Rom gewandert.
Zusammen mit der herausragenden Qualität der Abbildungen machen besonders die prägnanten Erklärungen im Text unmittelbar daneben das Buch zu einer lesbaren und lesenswerten Studienfahrt durch die Spätantike. Kunst als Medium will alle ansprechen, selten eine Grenze zwischen Heidnisch und Christlich setzen. Dies zu verdeutlichen und auf der Höhe der Wissenschaft nicht nur die allbekannten Beispiele zu erklären, ist das Verdienst dieses ebenso schönen wie erhellenden Buches. Eine Summe eines erfahrenen Meisters, der sich ein Leben lang mit diesen Objekten beschäftigt hat. Statt großer Thesen lieber die Erklärung, was man auf den Bildern sieht und was das bedeutet.
28.2.2015 Christoph Auffarth
Universität Bremen,
Religionswissenschaft
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Der Kürze halber meist mit den Initialen abgekürzt JE. An der Universität Bonn wurde die Arbeit des katholischen Theologen und Archäologen erst spät (62-jährig) gewürdigt mit einer neu geschaffenen Professur, die aber in der philosophischen Fakultät, nicht in der katholischen Fakultät angesiedelt wurde. JE war lange Jahre Mitherausgeber des Reallexikon für Antike und Christentum, dem international wichtigsten Lexikon zu dem ganzen Bereich.
[2] Eine sehr gute Einführung in die international intensive Forschung s. Reiner Sörries: Spätantike und frühchristliche Kunst. Eine Einführung ins Studium der christlichen Archäologie. Köln: Böhlau 2013.
[3] Um Martin Wallraffs Buch diesen Titels gibt es eine lautstarke Kontroverse, s. demnächst meine Rezension zu Klaus Rosens Konstantin-Biographie auf dieser Web-Seite.
[4] Umfassend Jutta Dresken-Weiland: Bild, Grab und Wort. Untersuchungen zu Jenseitsvorstellungen von Christen des 3. und 4. Jahrhunderts. 2010. Jutta Dresken-Weiland, Andreas Merkt und Andreas Angerstorfer: Himmel, Paradies, Schalom. Tod und Jenseits in antiken christlichen und jüdischen Grabinschriften. 2012. Vgl. Rezension Auffarth
[5] Die Bibliographie ist ordentlich aktuell und in den vielen Sprachen, in denen die Forschung spricht. Das Handbuch von Demandt, Spätantike sollte in der deutlich aktualisierten 2.Auflage 2007 verwendet werden. – Bildwissenschaftliche Fragestellungen von Jás Elsner oder Herbert Kessler oder religionswissenschaftlich vom Rezensenten: The Materiality of God’s Image: Olympian Zeus and the Ancient Christology. In: Jan N. Bremmer; Andrew Erskine (ed.): The Gods of Ancient Greece: Identities and Transformation. (Edinburgh Leventis Studies 5) Liverpool 2010, 465-480 wird man nicht erwarten.