Burchard über den Orient

Christiane M. Thomsen

Burchards Bericht über den Orient.
Reiseerfahrungen eines staufischen Gesandten im Reich Saladins 1175/1176.

(Europa im Mittelalter 29)
Berlin: De Gruyter 2018.
109,95 €. ISBN 978-3-11-055439-7

 

Ohne Vorurteile ins Land der Muslime – in der Kreuzfahrerzeit

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Einer der interessantesten Reiseberichte aus dem Mittelalter: Ein Gesandter Friedrich Barbarossas reist nach Ägypten und Syrien und beobachtet ohne die Vorurteile der Kreuz­fahrer das Land, seine Bewohner, die Religion der Muslime. Darin der genaueste Bericht über die Assassinen, die Al-Qaida des Mittelalters.

Ausführlich: Unter den Texten, die Latein-Europäer über den Orient verfassten, ragt einer heraus. Auf dem Höhepunkt der Kreuzzüge, ein dreiviertel Jahrhundert nach dem Ersten, 1175 reist Burchard von Straßburg im Auftrag Kaiser Friedrichs I. Barba­rossa in den Orient. Ist der Bericht echt? Wozu diente er? Wer ist Burchard? Der Text ist in der Slawenchronik des Arnold von Lübeck, im 7. Buch überliefert. Die üblichen Stereotypen hat Burchard weitge­hend vermieden: Mohammed ist nicht der wein­selige Päderast, dem der Teufel die Offenba­rungen eingeflüstert habe, ein geiler Besitzer eines Harems. Vielmehr beobachtet Burchard differen­ziert die verschiedenen Strömungen des Islam, er weiß Schiiten und Sunniten zu unterschei­den. Ein ausführlicher Bericht über die Assassinen zeigt genaue Kenntnisse über diese Elite-Truppe, die gezielt muslimische Herrscher ermordete.[1] In Ägypten beobachtet er multireligi­öse Heiligtümer, beschreibt die Marien­fröm­migkeit der Muslime,[2] die Lage der Christen unter der Toleranz muslimischer Herrschaft. Sein Bericht ist nicht voller Abenteuer und spannender Geschichten für ein Publikum einer öffentlichen Lesung am Hofe, sondern er nennt präzise Entfernungen, den besten Reiseweg, wovon und wie die Menschen des Landes leben. Auch die Städte und ihre Befestigungen sind genau beschrieben. Er über­nimmt nicht die Feindbilder der Kreuzfahrer, sondern lässt sich von Kennern des Landes informieren. Aus der nüchternen, auf Genauigkeit bedachten und von den bisherigen abweichenden Informationen ergibt sich für Christiane M. Thomsen,[3] dass die Angabe des Verfassers stimmt, er sei als Gesandter des deutschen Kaisers Friedrich Barbarossa unter­wegs gewesen. Ziel der Gesandtschaft war wohl, (1) genaue Auskünfte über den bedeuten­den neuen starken Mann in der muslimischen Welt zu bekommen, über Saladin. Sich nicht auf die gehässigen Behaup­tungen der Kreuzfahrer verlassen zu müssen.[4] (2) Möglichst auch, mit diesem eine Audienz zu bekommen. Aber weder in Kairo noch in Damaskus trifft er ihn. (3) Schließlich dürfte auch eine Rolle spielen, dass Friedrich selbst 14 Jahre später den Kreuzzug unternahm; zum zweiten Mal, da er schon am ‚Zweiten‘ Kreuzzug 1147-1149 teilgenommen hatte.[5] Die Selbst­auskunft über die Identität des Verfassers und prüft die Möglichkeit, ob er mit einem Notar dieses Namens identisch sein könnte. Das führt zu einer Wahrscheinlich­keit, dass dies nicht der Fall ist.[6]

Nachdem von dem Text keine den modernen Ansprüchen genügende Ausgabe existiert,[7] musste sich die Autorin in die hoch spezialisierte Wissenschaft des Edierens einar­beiten. Dabei versteht sie – mit der Avantgarde der Texteditoren – Textvarianten als Spuren von Rezeption, der Adaption des fluiden Textes für ein jeweils anderes Publikum. Zusätzlich gibt es noch Parallelüberlieferungen. Ein aufwändiges, aber unverzichtbares Fundament! Die Analyse des Textes beginnt bei den augen­blicklich diskutierten Fragen über fluide Texte und die Kommunikationssituation zwischen Auftrag­geber, Publikumserwartung, dass es im Mittelalter noch keinen ‚Autor‘ gab. Eigent­lich hätte Thomsen auch eine Übersetzung dazu geben sollen.[8] Breit, geradezu enzyklopä­disch kommentiert sie den Bericht im Kapitel 3 („Realitäts- und Aktualitätsbezug“ S. 67-310). Ziel ist es, die Dif­ferenz herauszuarbeiten zwischen dem, was in Europa aus Antike und neuen mittel­alterli­chen Erfahrungen über die Orte und Länder der Reiseroute bekannt war und welche Infor­mati­onen nur aus erster Hand stammen können. Insbesondere für das Wissen und die neuen Kenntnisse über Ägypten ist die Differenz enorm. „Die Darstellung des Islam ist bei Burchard in keiner Weise abhängig von den westlichen Islambildern. Es kann angenommen werden, dass dem eine Instruktion [vor Ort] zugrunde lag.“ (306). Auch sonst will Barbarossa präzise Informationen, was sich in Palästina und Ägyp­ten mit der Herrschaft Saladins verändert hat; nicht die Perspektive der verfein­de­ten Kreuz­zugskönige. Und die präzisen Informationen waren nützlich auch für den (‚drit­ten‘) Kreuz­zug Barbarossas 14 Jahre später. Die Zweifel, ob dem Bericht eine Gesandt­schaft zugrunde liegt, sind ausge­räumt. Ein wichtiger Text der Kreuzzugszeit bzw. des Hoch­mittel­alters ist in dieser herausragenden Disser­tation umfassend erklärt. 118 Seiten Bibliographie lassen die gewaltige Arbeit erkennen, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Die Betreuung durch Michael Borgolte und die Aufnahme in die Reihe voller Aufsehen erregender Bücher sind Garant für ein Meisterwerk.[9]

  1. Juli 2018 Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Uni Bremen

auffarth@uni-bremen.de
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[1] Bernard Lewis hat in seinem Buch die Assassinen als Vorläufer der Al-Qaida und der religiös fanati­sierten Terroristen beschrieben. Bei weitem die genauesten Informationen stammen aus Burchards Bericht. Das Buch von Lewis erschien englisch 1967, auf Deutsch Die Assassinen: Zur Tradition des religiösen Mordes im radikalen Islam. Frankfurt am Main: Eichborn, 1989. 2006 erschien eine arabische Übersetzung.

[2] Da hat MT sehr genau hingeschaut: Meint Burchard vielleicht die Kopten. Aber die Gestalt der Maria und die jungfräuliche Geburt sind koranisch. Das Palmwunder auch in der islamischen Überlieferung. In der Bibliographie ist die Koranübersetzung von Max Henning angegeben, verwendet ist aber auch Rudi Paret.

[3] Das Buch ist als Dissertation an der Humboldt Universität Berlin bei Michael Borgolte erarbeitet und erscheint in der Reihe, die Borgolte herausgibt, die zahlreiche innovative Bücher umfasst. Über die Autorin habe ich sonst keine Informationen finden können.

[4] Besonders der verschlagene Rainald von Chatillon, den Saladin gefangen genommen und dann auf Treu und Glauben wieder freigelassen hatte, verbreitete Lügen.

[5] 1187 nach der die im Lande lebenden Kreuzfahrer vernichtenden Schlacht von Hattin und der Eroberung Jerusalems durch Saladin. Friedrich Barbarossa war zu der Zeit des ‚Dritten‘ Kreuzzugs schon etwa 66 Jahre alt. Er starb auf dem Hinweg im Fluss Saleph in der Türkei. Umberto Eco hat das im Baudolino (italienisch 2000; deutsch 2001) erzählt. – Die Zählung der Kreuzzüge nennt nur die großen Ereignisse, nicht die vielen kleineren Expeditionen, die in der Zwischenzeit loszogen.

[6] Es gibt einige, angesichts der riesigen Textmenge sehr wenige Fehler: Glaube statt richtig Heinz Gaube. Auffahrt statt Auffarth. 176 A. 545 Joseph statt Josephus. 175f Homelie statt Homilie. 332 Ägypter statt Ägypten. 150 miserere statt misere.

[7] Johann Martin Lappenberg (ed.): Chronica. = Monumenta Germaniae Historica, SS [Scriptores] 16 (1869), 283-379 , nachdem er 30 Jahre zuvor schon berichtet hatte „Über die bevorstehende Ausgabe der Chronik des Arnold von Lübeck“. im Archiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche Geschichtkunde zur Beförderung einer Gesammtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters 6 (1838), 326-356. Alles Weitere bei Thomsen, Burchard 2018, 478-, bes. Anm. 9. Die Klassifizierung der Handschrif­ten der Chronica hat der designierte Herausgeber der Neuausgabe im Rahmen der MGH vorgestellt Helmut G. Walther:  Die handschriftliche Überlieferung der Chronica des Arnold von Lübeck. In: Stephan Freund; Stephan Schütte (Hrsg.): Die Chronik des Arnold von Lübeck. Frankfurt: Lang 2008, 7-24.

[8] Angekündigt ist eine Übersetzung des Gesamtwerks der Slawenchronik des Arnold von Lübeck (auf der Grundlage der veralteten Ausgabe Lappenbergs) in der zweisprachigen Quellen-Reihe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft. Vgl. Oliver Auge: Probleme der Übersetzung von Arnolds Chronik. Ein Werkstattbericht. in: Stephan Freund; Stephan Schütte (Hrsg.): Die Chronik des Arnold von Lübeck. Frankfurt: Lang 2008, 25-44.

[9] Vom Verlag ange­messen (Namen­register, fadengeheftet, fester Einband, teuer, aber für ein Werk dieser Qualität nicht zu teuer) veröffent­licht.

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