Leichen, Asche, Gebeine

Martina Hartl:
Leichen, Asche, Gebeine.
Der frühchristliche Umgang mit dem toten Körper
und die Anfänge des Reliquienkultes.


(Handbuch zur Geschichte des Todes im frühen Christentum und seiner Umwelt 3)

Regensburg: Schnell+Steiner 2018.
240 Seiten. 39,95 €.

ISBN 978-3-7954-3258-4

 

Heilige Knochen: Ein Handbuch zum Märtyrerkult in der antiken Kirche

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Sehr gut dokumentiertes (Zitate aus den Quellen, Forschungsliteratur) und argumen­tierendes Handbuch über den Märtyrerkult nach dem Ende der Verfolgungszeiten der antiken Christen.

Ausführlich: Für den 3. Teil des ‚Handbuchs zur Geschichte des Todes im frühen Christen­tum und seiner Umwelt ‘ haben die Herausgeber die Dissertation von Martina Hartl[1] an der Regens­burger katholisch-theologischen Fakultät bei Prof. Andreas Merkt im DFG-Projekt „Metamorphosen des Todes in der Spätantike“[2] in Auftrag gegeben und aufgenommen. Die früher erschienen Teile des Handbuchs sind auf der gleichen Seite besprochen.[3] Eine Disser­tation zu nehmen als Handbuch-Teil  ist eine kühne Entscheidung, spricht für Aktualität der rezipierten Forschung, lässt Erfahrung in der Scheidung von wichtig und weniger bedeutend aber befürchten. Letzteres hat MH souverän gemeistert. Der Regensburger Kontext hat sich zu einem der führenden Institute weltweit entwickelt. Das Buch ist hervorragend gebunden in Faden­heftung und festem Einband, reichen Anmerkungen, einem ausführlichen Literatur­verzeich­nis, leider fehlen Indices (Quel­len, Namen, Sachverzeichnis, dafür immerhin gute Querver­weise). Das Buch ist gut gegliedert, die Argumente sorgfältig ausgebreitet, auf den Punkt gebracht und weitergeführt zum nächsten Punkt. Quellen sind ausführlich zitiert und die Zitate in beiden Sprachen Griechisch/ Lateinisch(Koptisch) – Deutsch –tadellos![4] Im Blick auf die vielen Christentümer, die in einem Handbuch zu beschreiben wären,[5] wählt MH den Weg der ‚dichten‘ Beschreibung für detailliert dokumentierte lokale Ent­wick­lungen; das ist besser, als alle nur anreißen zu können: das spät­antike Ägyp­ten für die Frage Asche-Knochen- Ein­balsamieren.[6] Ambrosius in Mailand für Reliquien lokal, Bestattung im Altar, Reliquien­teilung, Bestattung in der Nähe der Heiligen. Die Märtyrer der verfolgten Kirche werden zu Kontinuitäten zur privilegierten und schließlich einzigen Religion. Die ägypti­schen Einbal­samierer hingegen, die der ‚Kirche der Verfolgung‘ den Vorzug geben, als das Bekenntnis zum Christentum noch das Risiko des Martyriums mit sich brachte, werden von Athanasius zu Ketzern erklärt, der selber mit dem Ketzervorwurf kämpfen musste. Hier von ‚Ortho­doxie‘ zu sprechen, heißt, die Perspektive der Sieger zu übernehmen.[7] Jedenfalls han­delt es sich bei der ausnahmsweisen Einbalsamierung nicht um ein altägyptisches survival.[8] Das steht im Kapitel 2 über die Anfänge des Märtyrer- und Reliquienkultes. Das umfang­reichste dritte Kapitel untersucht, wie Reliquien in den Metropolen Mailand, Rom, Antiochi­en, Konstantinopel und Jerusalem besorgt und dafür gewaltige Kirchen gebaut wurden.

Das Buch ist, auch als Handbuch, gelungen und vorzüglich präsentiert. Sehr leserfreundlich die Argumentationsbögen in Einleitungen und Überleitungen. Knappe Kontextualisierung der Forschung, ohne Polemiken und lange Auseinandersetzungen. Reichlich Zitate mit Über­setzungen direkt aus den Quellen. Fußnoten sehr präzise auf der Seite, wo man sie sucht. Umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis. Karten und Abbildungen wären ein zusätzlich erklärendes Element für die Leser. Indices fehlen empfindlich für ein Hand­buch Eine vorzügliche Grundlage für weitere Forschung. So wird eine Epoche plastisch, in der nach dem Ende der Untergrund­kirche und der Verfolgungszeit zwei Bewegungen das ‚wahre‘ Christentum für sich bean­spruchen: das Mönchtum flieht aus den Städten, wo nun alle Einwohner sich Christen nennen. In den Städten aber werden Reliquien ein wichtiges Element der Mobilisierung und Besetzung von Öffentlichkeit durch die neue Religion. Damit steht sie aber in Konkurrenz mit den vorhandenen religiösen Medien und Kommunikations­formen (und anderen christlichen Formen, wie der Marienfrömmigkeit).

Die folgenden Bemerkungen benennen die Reichweite der hier eingenommenen Perspek­tiven der Forschung (nicht nur des vorliegenden Buches), und was ein Religionswissen­schaft­ler erwartet. 1. Die Bedeutung des Totenmahls für das frühe Christentum ergibt sich zum einen vor allem aus der Gemein­samkeit von Familien mit christlichen und nicht-christ­lichen Mitgliedern. Die religiöse Dif­ferenz trennt in diesem Ritual nicht. Zum andern sorgten die christlichen Kultvereine für eine Erdbestattung (und dann in den Katakomben) auch der ärmeren Mitglieder (und die waren in der frühen Zeit des Chris­­tentums die Regel), ohne dass es den Familien­verband dafür gab. Die armen (nicht-christlichen) Einwohner Roms hingegen wurden in Gruben entsorgt.[9] Eine Brandbestattung mit Totenmahl und Sarko­phag war kost­spielig. Diese soziale Differenz fehlt in der Bewer­tung M.H.s. 2. Ein Abbruch dieses Rituals leitet Ambrosius ein, indem er die familiäre Totensorge verbietet und stattdessen den lokalen Märtyrer kultisch verehren lässt.[10] Die Situation in der Ausgrabung unter St. Peter in Rom und das Fest cathedra Petri wären hier einschlägig. 3. Es ist richtig, dass das frühe Chris­tentum (wie auch das sich formierende Diaspora-Judentum) eine vorwiegend städtische Religion war. Insofern ist die Frage, wie sich Metropolen durch Reliquien Reputa­tion anzu­eignen versuchten, eine zentrale Frage. Die Reliquien auf dem Lande und die Wall­fahrten dorthin jedoch, oft einzigartig und nur lokal verehrt, nimmt MH nur bei Antiochien in den Blick; MH schaut nur auf die großen Apostel etc. Die lokalen Heiligen werden aufge­sucht für besondere Nöte.[11] 4. Die Einrich­tung des Altars innerhalb der Kirchen sowohl für das unblu­tige Opfer[12] wie als Grab im Heiligtum[13] knüpfen an die religiöse Kom­munika­tion der klassi­schen Religion an.[14] Und zwar an den Heroenkult. Die Forschungen der Usener-Schule (nicht der ‚Reli­gions­geschichtlichen Schule‘! S. 39) sind nicht einfach durch die Forschung wider­sprochen (und damit ad acta gelegt), sondern sind wissenschaftsgeschichtlich ein Teil der Religionsge­schichte um die Jahrhun­dert­wende:[15] Die evangelischen Forscher um Hermann Usener und seinen Nach­folger Albrecht Dieterich griffen um die Jahrhundert­wende 1900 den ‚katholi­schen‘ Heiligen­kult, einen der fundamentalen Unterschiede der Konfessionen, heraus und führten ihn auf vor­christ­liche survivals zurück. Andrerseits wagten nur sehr wenige katho­lische Forscher, wie die von MH genannten Hippolyte Delehaye und Franz Josef Dölger, Kontinuitäten zu be­nennen, vom päpstlichen Antimodernismus bedroht.[16] 5. MH kann mit Diversität und Vielfalt, ob innerhalb einer Gesellschaft mit nicht-christlichen Minderheiten oder innerhalb der christlichen Kirche wenig anfangen. „So standen Reliquien wieder im Dienst von Bemü­hungen um religiöse Unität“ (199). 6. Auch religiöse Vielfalt ist ihr fremd. Eine so interessan­te Sache wie der jüdische Reliquienkult in Antiochien um die Makkabäer und die Polemik des Johannes Chrysostomos adversus Iudaeos lässt MH sich ent­gehen.

Die Spätantike ist ein so vielfältiges Feld, dass die hier eingenommene Perspektive zu Chris­ten­tums-zentriert und auf Orthodoxie und Metropolie eingeengt erscheint. Märtyrerkult lässt sich nicht als rein innerchristliche Entwicklung beschreiben. Das tut dem Urteil nicht Abbruch, dass MH auf dem Niveau der Forschung ein gelungenes Handbuch für weitere Forschung geschrieben hat.

  1. Juli 2018 Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Im Folgenden verwende ich als Abkürzung die Initialen der Autorin MH.

[2] Das Projekt ist hier beschrieben. Es steht noch aus die Dissertation Das christ­liche Grabrecht im lateinischen Westen, 2.-8. Jahrhundert von Tatjana Bink.

[3] Wie Christen bestattet wurden – anders als in der klassischen Religion der Spätantike? Handbuch zur Geschi­chte des Todes im frühen Christentum und seiner Umwelt. Band 2: Jutta Dresken-Weiland: Bild, Grab und Wort. 2010 – Band 1: Jutta Dresken-Weiland, Andreas Merkt und Andreas Angerstorfer: Himmel, Paradies, Schalom. Tod und Jenseits in antiken christlichen und jüdischen Grabinschriften. 2012. http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2013/02/27/wie-christen-bestattet-wurden/ (27.2.2013).

[4] In den griechischen und lateinischen Zitaten fand ich keine Fehler. Übersetzungen sind meist über­nommen, öfter auch aus den veralteten Bibliothek der Kirchenväter-Übersetzungen. Dann bleiben solche ‚from­men‘ Fehler stehen wie semiustum corpus [halbverbrannte Leiche] übersetzt als ‚Heiliger Körper‘. Das stammt aus Gregor dem Großen, zu dessen Jenseitsvision s. Christoph Auffarth: Gregors des Großen Dialogi – Rezeption antiker Jenseitsvisionen und Präfiguration der Visionen des Mittelalters. In: Ilinca Tanaseanu-Döbler, Anna Lefteratou, Gabriela Ryser Konstantinos Stamatopoulos (Hrsg.): Reading the way to the Netherworld. (BERG 4) Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2016, 445-473.

[5] Christoph Auffarth: Die frühen Christentümer als Lokale Religion. Zeitschrift für Antikes Christentum 7(2003), 14-26.

[6] Religionswissenschaftlich die Arbeiten von Karl Meuli: Gesammelte Schriften. Basel 1975, dazu ders.: Knochen und Kessel.

[7] Die wechselseitige Ausgrenzung als Ketzer – spezifisch für das antike Christentum, nicht etwa für das Judentum – beschreibt als ‚häresiologisches Ethos‘ Michel-Yves Perrin: Civitas confusionis. De la participation des fidèles aux controverses doctrinales dans l’Antiquité tardive (début IIIe s.-c. 430). Paris: Nuvis 2017.

[8] Survival ist der (religionswissenschaftliche) Begriff für alte Elemente, die trotz der Weiterentwick­lung einer Kultur, noch weiter verwendet werden. Er stammt aus der viktorianischen (englischen) Anthropologie, die noch von Evolution und Fortschritt ausging. Der deutsche Begriff „Überlebsel“ hat sich nicht durchgesetzt.

[9] MH weiß das, erwähnt es aber nur in einer Anmerkung 122, S. 35.

[10] Wie Ambrosius Monnica zurechtweist, als mit einem Korb voll Essen ans Grab gehen will, hat Augustinus, confessiones 6.2,2 erzählt. Immer noch lesenswert Frits van der Meer: Augustinus der Seelsorger. Köln: Bachem 1952, 547-609. Zum Totenmahl archäologisch Sarah Braune: convivium funebre. Gestaltung und Funktion römischer Grabtriklinien (Spudasmata 121) Hildesheim: Olms 2008.

[11] Für die kleinen Orakel-Heilkulte auf dem Lande der griechischen Religion(en) hat dies herausge­arbeitet Annette Hupfloher: Heil-Kultstätten in der Provinz Achaia. in: Christoph Auffarth (Hrsg.): Religion auf dem Lande. Entstehung und Veränderung von Sakrallandschaften unter römischer Herrschaft. (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 28) Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009, 221-246.

[12] Christoph Auffarth: Gift and Sacrifice. In: Steven Engler; Michael Stausberg (eds.): The Oxford Hand­book of the Study of Religion. Oxford: University Press 2016, 541-552. Ders.: Teure Ideologie – billige Praxis: Die ‚kleinen’ Opfer in der römischen Kaiserzeit. In: Evtychia Stavrianopoulou; Axel Michaels; Claus Ambos (Hrsg.): Transformations in Sacrificial Practices. From Antiquity to Modern Times. (Perfor­manzen 15) Münster: LIT 2008, 147-170.

[13] Dieses Tabu, keine Toten im Heiligtum, (s. Robert Parker: Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion. Oxford 1983, 32-73) ist nur im Heroenkult ausgenommen.

[14] Allerdings nicht, wie MH S. 39 im Anschluss an Theofried Baumeister sagt, “christlich maskierte Gott­heiten des polytheistischen Pantheons“, sondern der Heroenkult ist die Brücke.

[15] Hans Joachim Mette: Nekrolog einer Epoche: Hermann Usener und seine Schule. Ein wirkungsge­schichtlicher Rückblick auf die Jahre 1856-1979. In: Lustrum 22(1979/80), 5-106. Roland Kany: Mnemosyne als Programm. Geschichte, Erinnerung und die Andacht zum Unbedeutenden im Werk von Usener, Warburg und Benjamin. Tübingen Niemeyer 1987, 11–128. Renate Schlesier: Arbeiter in Useners Weinberg. Anthropologie und antike Religionsgeschichte in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. In: Dies.: Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthro­pologie der Antike seit 1800. Frankfurt am Main: Fischer 1994, 193-241. Jan Bremmer: Usener, Hermann. In: Classical Scholarship. A biographical encyclopedia. New York: Garland 1990, 462-478. Christoph Auffarth: [Mittelmeerforschung in der] Religionswissenschaft, in: Mahram Dabag; Dieter Haller; Nikolas Jaspert; Achim Lichtenberger (Hrsg.): Handbuch der Mediterranistik. Systematische Mittelmeer­forschung und disziplinäre Zugänge. (Mittelmeerstudien 8) München: Fink 2015, 417-430.

[16]  Dazu Andreas Holzem: Katholizismus. Europäischer Ultramontanismus und das Erste Vatikanische Konzil. in: Jens Holger Schjørring; Norman A. Hjelm (Hrsg.): Geschichte des globalen Christentums. Band 2: Das 19. Jahrhundert. (RdM 33) Stuttgart: Kohlhammer 2017, 202-233, bes. 223-229.

 

 

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