Ernst Bloch: Geist der Utopie

Ernst Bloch: Geist der Utopie.

Berlin: Suhrkamp 2018
437 Seiten
ISBN: 978-3-518-58722-5

20.-

 

Die Utopie wird kein Traum mehr sein, sondern Praxis

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Das Buch im Zorn gegen den Ersten Weltkrieg, gegen die kriegsbetrunkenen Deutschen geschrieben und 1918 veröffentlicht: Es verweist auf die not-wendige Utopie.

Ausführlich: Das Buch Geist der Utopie schrieb der Feuergeist Ernst Bloch während des Ersten Weltkriegs vom Bayerischen Voralpenland aus. Nach dem Erscheinen reist er ins Schweizer Exil. Den jüdischen Kommunisten hatte seine Zeitung zu seiner eigenen Sicherheit aus dem kriegsbegeisterten und kritikfeindlichen Deutschland weggeschickt, freilich ohne materielle Absicherung. Schweizer Freunde halfen dem Fremden und seiner kranken Frau mit monatlichen Beiträgen, die die Existenz knapp absicherten. Schreiben brachte etwas ein, aber das Leben war prekär.[1] Zornig wendet sich der Autor gegen den Militarismus der Preußen, gegen Kapitalismus gegen Industrialisierung, die aus den Arbeitenden Handlanger der Maschine macht, sie zur Nachtarbeit zwingt und die Befriedigung eines vollendeten Werkstücks vorenthält. Er weiß, dass man die Industrialisierung nicht zurückdrehen kann. Er ist nicht romantisch. Aber doch ist er überzeugt von der „heraufkommenden Welt vom neuen bäuerlicher, frommer, ritterlicher Menschen. Es ist ein „Zeitalter der Gottesferne“.

Das Buch aus sehr diversen Kapiteln hat etwas von dem expressionistischen Stil, den Blochs Ästhetik (Die Erzeugung des Ornaments 19-54) als den angesagten Stil lobt, der der Zeit angemessen sei, und der dann auch den Impressionismus der Jahrhundertwende ablöste, den empfindsamen Farbregen durch die fast brutalen Pinselstriche mit brutalen Farben, Provokation. Im Jahr des Bauhausjubiläums 1919-2019 kann man verstehen, warum Bloch mit einer Ästhetik beginnt, erst der bildenden Kunst, dann einer Philosophie der Musik (Mit einem eigenen Inhaltsverzeichnis 81-233) mit ihrem „Transzendentalen Kontrapunkt“ 221-226 und endend mit „Das Geheimnis“. Eine Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Philosophen (Bergson, Husserl, Hartmann, dann Nietzsche) unternimmt er im Kapitel Über die Gedankenatmosphäre dieser Zeit 235-338. Darin auch ein „Symbol: Die Juden“.[2] „Wenigs­tens bei den Jüngeren scheint die ausgeprägt händlerische und zugleich formalistische Neigung keinen Boden mehr anzutreffen. Man sieht hier ein Warten vor sich, das schon einmal bei diesem Volk Früchte getragen hat.“ (316) Aber „Warum haben wir uns abgewen­det?“ 319: von Jesus. Anspielung auf den ‚Gottesknecht‘ beim Jüdischen Propheten Jesaja 53. Nein, das Christentum ist nicht die Erfüllung: „Die Neuzeit ist letzthin nicht jesuanisch durchtränkt.“ 327 (vgl. den Abschnitt „Jesus“ 369-377). Und Jesus ist Prophet, nicht Vollen­dung. Die kommt vom ‚Geist‘ als dritte Person Gottes. Proklamation „für den praktischen Messianismus“ 333. Doch da stellt sich für den Kommunismus-affinen Philosophen die Frage nach Marx: Ist sein Programm der praktische Messianismus? 385-437. Das Kapitel eröffnet Bloch mit der Frage „Wie aber. Ist das nicht alles schon viel zu viel? Denn ich muß sterben. Aber vorher will ich essen und trinken, denn morgen bin ich tot.“ Weiß jede Leserin und Leser, dass das eine Antwort auf Paulus ist, der 1. Korinther 15, 32 den Gottlosen eben das vorwirft? Gegen die Selbstüberhebung des Krieges wettert Bloch zunächst. Marx wirft er vor, nur die Industriefrage behandelt zu haben, die Bauern aber und die Lebensmittel vergessen zu haben. Die Utopie ist nicht nur theoretisch möglich, sondern notwendig 434. „Aus der Natur der Sache a priori [habe ich] postuliert und demnach auch wirklich, das heißt [die Utopie ist] von utopischer, intensiver Neigung genau gegebener, essentieller Realität. Der Gedanke kann so zum Stichwort werden, mit dem sich die gottesträgerische Seele ihren Traum, den Traum der Ahnung aufschließt als welcher zuletzt die Wahrheit der ganzen Welt sein wird.“ 436.

Soweit ein paar Leitlinien des Werks. Aber: Dieses Buch in seiner Ersten Fassung wieder zu drucken ohne jede Leseanleitung, geht nicht. Bloch schrieb voraussetzungsreich, war auch für die Leser damals anstrengend. Und auch dies müsste angemerkt sein (nicht nur „Erst­fassung“ auf dem Titelblatt): Das Buch wurde erneut verlegt im Paul Cassirer Verlag, Berlin 1923. Es enthält auf der der Titelseite folgenden leeren Seite exklusiv diese Vorbemerkung:

Dieses Buch liegt hier zum zweiten Mal vor. Es wurde begonnen April 1915, beendet 1917, er­schienen 1918. Die damalige Ausgabe ist jedoch lediglich als vor­läufige Fixierung, als gedrucktes Konzept zu betrachten. Mit der hier vorliegenden neuen Ausgabe erst erscheint der „Geist der Utopie“ in endgültiger, systematischer Form. (v)

Suhrkamp hat also zum hundertsten Jahrestag die ‚vorläufige Fixierung‘ gedruckt. Ohne weitere Erklärung. Ohne die vorausgehende Diskussion mit Georg Lukacs, ohne die zeit­genössische Rezeption, ohne die Weiterarbeit zur zweiten Auflage, ohne den Zwillingsband Durch die Wüste (gewissermaßen die Anti-Utopie), ohne den weiteren Weg Blochs, ohne das Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung (3 Bände, 1954-1959), das Bloch 1938 bis 1947 im amerikani­schen Exil schrieb und das mit dem Geist der Utopie begann. Der Streit um den Messias, den Bloch mit Gerhard/Gershom Scholem austrägt. Und die praktische Utopie der Deutschen Demokratischen Republik, die Bloch verbot, so dass er ausreisen durfte.

Bei aller Suhrkamp Purizität: Das geht nicht.

 

 Bremen/Much, 1. Juni 2019

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de


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[1] Ich habe mir besorgt und fand informativ Peter Zudeick: Der Hintern des Teufels. Ernst Bloch – Leben und Werk. Moos; Baden-Baden: Elster 1985, zum Geist der Utopie 39-98.

[2] Man müsste den Abschnitt lesen im Zusammenhang mit der jüdischen Selbstkritik bei Walter Rathenau Von kommenden Dingen 1917 und dem Stern der Erlösung von Franz Rosenzweig 1921. In der zweiten Auflage gibt es diesen Abschnitt nicht mehr.

 

 

 

 

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