Schöpfung

Schöpfung. Jahrbuch der Religionspädagogik (JRP)

 

Band 34 (2018)

Herausgegeben von Stefan Altmeyer, Rudolf Englert, Helga Kohler-Spiegel, Elisabeth Naurath, Bernd Schröder, Friedrich Schweitzer
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018
ISBN: 978-3-525-70259-8
263 S. ; ab 29,99 Euro

 

Die Bibel gibt keine Weltenstehungslehre her!

 

Eines steht fest: SCHÖPFUNG  ist  d a s  religionspädagogische ‚Spitzenthema‘. Das belegen Einblicke in Schulmaterialien, Bildungspläne sowie die Schlagwort-Hitliste bei RPI-Virtuell. Noch viel stärker drängt sich das Thema durch die gesellschaftliche Aktualität auf. Immer größerer Betroffenheit durch die drohende Klimakatastrophe kann kaum jemand ausweichen. Junge Menschen werden aktiv für den Klimaschutz und protestieren gegen politische Versäumnisse. Eine junge Lehrerin charakterisiert die heutigen unterrichtlichen Erfordernisse mit dem Kennzeichen: „Religionsunterricht nach Greta“.[1]

Das Jahrbuch der Religionspädagogik 2018 hat diese Dringlichkeit erkannt und bietet ein breites Spektrum thematischer Auseinandersetzung. Mit mehreren SCHLAGLICHTERN beginnt das Buch. Sie verdeutlichen, dass das Thema Schöpfung im wahrsten Sinne des Wortes ‚Ansichtssache‘ ist. So vertritt die Grundschülerin Theresa (4. Klasse) die Auffassung, dass Gott das Bestehende wachsen lässt und fördert; einen Schöpfer als Urgrund von allem kann sie sich nicht vorstellen (8-10). Die nächste Ansicht kommt von ‚oben‘, aus 10 Kilometer Höhe. Es ist die Perspektive des Piloten Klaus Froese (11-12), dem sich im Cockpit staunende Fragen stellen. Aus den Medien ist der Forscher Harald Lesch bekannt (13-14). Sein knappes Statement spricht vom Respekt des Naturforschers gegenüber dem Universum und der Natur. Seine Mahnung: Geht achtsam damit um, denn: “Das gibt es nur einmal, das kommt nicht wieder“! Zwei weitere Schlaglichter führen uns in den Wald [2] beziehungswiese an unseren ersten Anfang zurück: die Geburt [3]. Brutale Fakten des Klimawandels werden von Andreas Lienkamp komprimiert vorgestellt (24-27).

Derartige Schlaglichter – die Auswahl lässt sich erweitern – sind ein guter Weg, Einstiege und spezielle Vertiefungen für die unterrichtliche Arbeit zu bahnen.

Die folgenden Artikel gehen fachlich und umfänglich mehr in die Breite, hier genannt INTERDISZIPLINÄRE PERSPEKTIVEN. Beim Forschungsüberblick von Christian Höger „Schachmatt für die Schöpfung“ (30-34) besteht eine gewisse Gefahr, dass einem ober der Fülle der Erkenntnisse und Frage-Schwerpunkte leicht schwindelig wird. Doch ist es gut zu wissen, dass dem Schöpfungsthema in der religionspädagogischen Forschung mit viel Energie nachgegangen wird. Relevante Stichworte: Kindertheologie, Artifizialismus, Naturwissenschaftsglaube, Weltbilder. Hoffentlich prägen diese Erkenntnisse zukünftig stärker die Qualität religionspädagogischer Materialien! [4] Höger resümiert: „Zweifellos bleibt ‚Schöpfung‘ an sämtlichen religionspädagogischen Lernorten ein lebenslang relevantes Thema“ (42).
Georg Steins (45-59) kritisiert die oft ‚matten‘ Aussagen zur theologischen Bedeutung biblischer Schöpfungsrede. Kirchliche Erklärungen werden der Vielfalt und der Tiefe nicht gerecht, welche in der Bibel anzutreffen sind. Die Bibel gibt keine ‚Weltenstehungslehre‘ her! Steins regt an, weitere Aspekte in den Vordergrund zu holen: die Statthalterschaft des Menschen, die Unabgeschlossenheit der Schöpfung und die dynamisch nach vorn weisende Funktion des Lobes an den Schöpfer. Das sollte religionsdidaktisch aufgegriffen werden! Dem Verhältnis von Mann und Frau in den uralten biblischen Texten widmet sich Desmond Bell (60-70). Er macht auf Fehlinterpretationen aufmerksam; so werde bei Gen 3 auch heute zumeist noch von ‚Sündenfall‘ gesprochen, obgleich im Text überhaupt nicht von Sünde die Rede ist. Die Auslegung der 2. Schöpfungserzählung (Gen 2, 4b ff) habe die „absonderlichsten Theorien über das Miteinander von Mann und Frau“ hervorgebracht (65). Die Vielstimmigkeit der Texte lasse es kaum zu, ein ‚stimmiges Gesamtbild‘ zu erstellen (64). Eine berechtigte Warnung vor schlichten Verallgemeinerungen und Engführungen aufgrund dogmatischer Vorverständnisse!

Was glauben eigentlich Muslime bezüglich der Schöpfung? Was findet man im Koran? Fahima Ulfat [5] fragt nach Verbindungen zwischen Bibel und Koran (71-84). Fast bedauernd hebt sie hervor, dass der Koran über „keinen chronologischen Schöpfungstext“ verfüge. Jedoch spricht der Koran an sehr vielen Stellen von der Schöpfung Gottes und dem Auftrag des Menschen. Die Funktion „Statthalter“ auf Erden zu sein, wird besonders betont (76f. 84). Leider fehlen in ihren Ausführungen jegliche Bezüge zur Religionspädagogik.[6] Im Jahrbuch finden sich auch keine weiteren Beiträge aus islamischer Perspektive! Angesichts der sehr virulenten Lage des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland ist dies ein schmerzliche Lücke!

„Mitgeschöpflichkeit“ ist ein wichtiges Stichwort der Diskussion um das Verhältnis zu den Tieren. Peter Riede (85-94) stellt die Probleme und die Chancen der gegenwärtigen Situation vor: Artenschutz, Nutz- und Haustiere, Versuchsobjekte. Der Erkenntnisstand ist ernüchternd: „Dass das ‚Verbrauchsmaterial‘ Tier kaum seiner Bestimmung als Mitgeschöpf entspricht, steht außer Frage“ (94).

Interessante neue Aspekte bieten die Artikel „Schöpfungsglaube im Anthropozän“ [7] und die „Verantwortung des Menschen in Zeiten der Künstlichen Intelligenz“ [8]. Mit der Kernfrage „Quo vadis Menschheit“ wird der Blick auf die großen Erdzeitalter gerichtet. Aber auch bezüglich der KI stellen sich fundamentale Orientierungsfragen. Ein spannender Stoff, der auch schulisch aufgegriffen werden sollte.

‚Das musste einfach mal gesagt werden!‘ Andreas Benk (229-248) knöpft sich die zahllosen Religionsmaterialien zum Thema Schöpfung vor und untersucht diese auf fachliche und didaktische Substanz. Sein Urteil ist größtenteils vernichtend! Er stellt eine gewisse Themenkonzentrierung in den Schulstufen fest: Zu Beginn der Grundschule: Staunen, Lob und Dank; gegen Ende der Grundschulzeit kommt die „Verantwortung für die Schöpfung“ hinzu (231). In den Sekundarstufen erweitert sich das Spektrum um das Verhältnis zu Naturwissenschaften – Evolution. Er vermisst schmerzlich eine umfassende Gesamtschau, die theologisch verantwortbar ist. Benk stört sich an vielfach vorhandenen Appellen zum Umweltschutz, die direkt aus den biblischen Texten abgeleitet werden, an krassen Umdeutungen wie etwa dem Entdecken einer „Evolutionstheorie“ in Gen 1 und einer verklärenden Sicht von Natur, welche die Realität ausblendet: „Zwischen Natur und Schöpfung wird nicht differenziert, beide Begriffe werden austauschbar verwendet“ (241). Die Beispiele ließen sich noch vermehren! Auch für Oberstufenmaterialien gilt die Erkenntnis: “Gen 1 will keine philosophische Antwort geben auf die metaphysische Frage nach dem Ursprung der Welt …“ (242). Für zahlreiche Materialien auf dem Büchermarkt kann Benk sich nur einen guten Ort vorstellen: „Ich wünsche mit derartige Materialien in die Giftschränke der Bibliotheken verbannt!“ (234).

Die DIDAKTISCHEN KONKRETIONEN des Jahrbuchs „Schöpfung“ enthalten folgende weitere Artikel, auf die ich aus Zeit- und Raumgründen jetzt nicht detaillierter eingehen kann:

Martin Rothgangel: Schöpfung und Evolution – eine Beziehung voller Missverständnisse, 123-134 [9]

Peter Kliemann, Friedrich Schweitzer: Schöpfung aus curricularer Sicht: Was lernen Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht laut Bildungsplan und was sollten sie lernen?, 136,147

Veit-Jakobus Dieterich: Jugendliches Denken über Schöpfung und Evolution. Empirische Forschungen – religionspädagogische Herausforderungen, 148-160

Guido Hunze: »Ich widerspreche alles, weil eigentlich überall Gott drin steht.« Theologische Herausforderungen und schöpfungsdidaktische Stolpersteine (nicht nur für den Religionsunterricht), 161-170

Stefan Altmeyer, Daniel Dreesmann: Grenzgänge zwischen Natur und Schöpfung – Grundlagen und Vorschläge für fächerverbindendes Lernen in Biologie- und Religionsunterricht. 171-183

Heike Lindner: »Im Anfang war der Klang …« Schöpfung fächerverbindend mit Musik unterrichten – didaktische Entfaltungen und Konkretionen. 184-194

Matthias Wörther: Die Axt am Baum des Lebens – Überlegungen zu schöpfungstheologischen Aspekten in Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen. 195-206

Elisabeth Naurath: Werte-Bildung auf dem Erlebnisort Bauernhof. 207-217

Thomas Weiß: Theologisch argumentieren üben am Beispiel Schöpfung. 218-228

 

Generelle Problemstellungen beim Thema Schöpfung

Im Beitrag von Guido Hunze bin ich auf markante Problemstellungen gestoßen, die immer wieder in religionspädagogischen Schöpfungsmaterialien zu finden sind.

  1. „Die Welt um uns herum ist nicht aus sich heraus Schöpfung, sondern Schöpfung ist eine Kategorie der (Glaubens-) Erfahrung und (Glaubens-) Deutung von Welt“ (164).
    Wird dies als Basiserkenntnis umgesetzt, dann beugt man Fehlschlüssen und Kurzschlüssen weitgehend vor!
  2. „Es ist erstaunlich, wie oft die beiden Texte am Anfang der Bibel noch immer als ‚Schöpfungsberichte‘ bezeichnet werden“ (165). Das ist nicht nur ‚erstaunlich‘, sondern sogar skandalös fehlerhaft. Sollte auch so benannt werden! [10]
  3. Eine „Entschärfung geschieht, wenn beim Thema ‚Schöpfung‘ zunächst an ‚Natur‘ gedacht wird … Natur erfahren, Schöpfung erleben“ (166). Angesichts des inflationären Vorkommens dieses Unterrichtsansatzes ist der kritische Begriff ‚Entschärfung‘ eine viel zu wohlwollende Untertreibung!

 

Bilanzierendes …?

 Dafür hat Rudolf Englert schon im Band gesorgt (250-263). In seinen Einschätzungen spürt man eine deutliche Sorge, dass unser Thema künftig nicht mehr einen großen Stellenwert habe. Seine Hoffnungen auf große theologische Entwürfe teile ich so nicht; dazu gibt beispielsweise die Systematische Theologie keinen Anlass. Aber ich kann mit ihm die unaufgebbare Zuversicht teilen, dass Freude, Dankbarkeit und staunendes Innehalten vor den Wundern des Lebens zu den Schlüsselelementen des Religionsunterrichts angesichts der Schöpfung zählen! [11]

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[1] https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/religionsunterricht-nach-greta-weniger-rechtfertigen-mehr-machen

[2] Bodo Marschall: Am Beispiel des Waldes die Welt erklären (15-16)

[3] Hanna Strack, Theologie der Geburtlichkeit (17-29)

[4] Mit der oft fehlenden Qualität religionspädagogischer Schöpfungsmaterialien setzt sich im Jahrbuch besonders Andreas Benk auseinander:229-248. Mehr dazu unten.

[5] Juniorprofessorin für Islamische Religionspädagogik an der Universität Tübingen.

[6] Ulfat geht intensiv auf verschiedene Positionen islamischer Gelehrten ein, ein wirklicher Vergleich zur Bibel findet jedoch nicht statt. Die Titelfrage „Verbindet oder trennt die Schöpfungstheologie?“ ist wohl eher rhetorisch zu verstehen. – Zu dieser Thematik ist besonders zu empfehlen: Karl Josef Kuschel: Die Bibel im Koran. Grundlagen für das interreligiöse Gespräch, Düsseldorf 2017!

[7] Alexander Loichinger, 96-108

[8] Thomas Christaller, 109-122

[9] Anders als im Buch eingeordnet, rechne ich diesen Artikel zu den Didaktischen Konkretionen. Mein Didaktik-Verständnis lässt das zu.

[10] Das geschieht erfreulich deutlich in Martin Rothgangels Beitrag „Schöpfung und Evolution – eine Beziehung voller Missverständnisse“ (123-134).

[11] vgl. 261

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Dr. Manfred Spieß, Oldenburg
27.08.2019

 

 

 

 

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