Frag uns doch!
Eine Jüdin und ein Jude erzählen aus ihrem Leben
Von Marina Weisband und Eliyah Havemann
Mit einem Vorwort von Michael Blume
S. Fischer, Frankfurt 2021, 192 Seiten
ISBN: 978-3-10-397491-1
Euro 18.-
Mehr als 100 gute Gründe!
Eine Buchempfehlung von Manfred Spieß
Vor etlichen Jahren, als ich noch in der Schule tätig war, sprach mich eine Kollegin an: „Kannst du mal in meine Klasse kommen und dort etwas über Juden erzählen? Sie haben mich danach gefragt, aber ich habe ja keine Ahnung. Du als Reli-Lehrer kannst das bestimmt beantworten!“. Daraus entstand eine interessante Doppelstunde in einer 8. Hauptschulklasse mit interessierten Schüler:innen[1]. In jener Zeit stand noch längst nicht so viel an Informationsmaterial zur Verfügung, wie heute. Ein Buch, wie das vorliegende, wäre damals wie heute eine sehr große Hilfe!
Es gibt mehr als 100 gute Gründe, sich mit dem Buch „Frag uns doch!“ zu beschäftigen! Nein, die zähle ich jetzt nicht alle auf, denn sie sind ja bereits als gute Fragen im Buch niedergelegt und mit fundierten Antworten versehen.
Es fing an damit, dass Marina Weisband über Twitter[2] eine Sammlung von Fragen zum Judentum erstellen wollte, die anschließend über Youtube öffentlich bentwortet werden sollten. Marina Weisband ist von Beruf Psychologin und ist gesellschaftlich/politisch in vielfältigen Bereichen aktiv. Die Resonanz war unerwartet groß; in kurzer Zeit stellten Interessierte ihr etwa 450 Fragen! „Es waren naive Fragen. Es waren fortgeschrittene Fragen. Es waren persönliche Fragen. Fragen zur Religion, zum Alltag, zu mir zur Geschichte“ (14).
Das Video-Projekt wurde in Angriff genommen; kompetente Unterstützung leistete Eliyah Havemann von Tel Aviv aus. Eliyah Havemann lebte bis vor etwa 10 Jahren in Deutschland, ist zum Judentum konvertiert und arbeitet beruflich im High-Tech-Bereich.
Marina bezeichnet sich als „gläubige, nicht religiöse Jüdin“. Eliyah sagt: „Ich bin ein so genannter modern orthodoxer Jude“. So stellen sie sich auch in den 5 Youtube-Videos vor, welche die Grundlage für die Buchveröffentlichung sind.
Daraus ergab sich auch die Kapiteleinteilung des Buches. Die Fragen wurden sortiert und so lauten die 5 Kapitel:
- Wer sind Juden?
Einige Fragen dazu: „Was ist das Judentum eigentlich?“ „Was ist für dich persönlich das Beste/Schönste am Judentum?“ „Habt ihr euch schon mal gewünscht, nicht jüdisch zu sein, fällt es euch manchmal schwer?“
- Religion
Einige Fragen dazu:“ Wie ähnlich oder wie unterschiedlich sind die Tora und das, was im Christentum als Altes Testament bezeichnet wird?“ Was tun die Juden während des Gottesdienstes? Singen, musizieren, tanzen sie?“ „Glauben Juden an ein Leben nach dem Tod?“ „Wie unterscheiden sich ultraorthodoxe, orthodoxe, Gläubige, praktizierende und kulturelle Juden?
- Feiertage
Einige Fragen dazu: „Was sind die höchsten Feiertage, und was wird gefeiert?“ „Wenn man im Schabbat nicht arbeiten darf, gibt es da religiöse Sonderregelungen für Ärzt:innen, Pflegekräfte und alle anderen systemrelevanten Berufe?“ Erläuterungen zu den bekannteren Feiertagen: Rosch ha-Schana, Jom Kippur, Simchat Torah, Sukkot, Pessach, Schavuot, Schabbat, Chanukka, Purim. Und zu weiteren Feiertagen, die eher in Israel gefeiert werden.
- Jüdische Kultur
Einige Fragen dazu: „Die jüdische Küche. Was sollte man unbedingt mal ausprobieren?“ „Wo findet man jüdisches Leben in Deutschland, und warum hört und liest man so wenig davon?“ „Darf man als Nichtjüdin auch mal einen Gottesdienst in der Synagoge besuchen?“ „Gibt es so etwas wie jüdischen Humor? Was zeichnet ihn aus?“
- Antisemitismus
Einige Fragen dazu: „Kriegt ihr viel Antisemitismus ab?“ „Wieso hasst man Juden?“ „Wie äußert sich Antisemitismus (subtil/unbemerkt) im deutschen Sprachgebrauch?“ „Denkt ihr, dass sich Antisemitismus in Deutschland noch weiter verbreiten wird?“
Marina Weisband und Eliyah Havemann beantworten viele Fragen gemeinsam, dabei durchaus auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Eingangs stellen sie sich mit Berichten aus dem bisherigen Leben vor. Sie sprechen sehr viel aus eigener Erfahrung, gehen in großer Offenheit auf die Themen ein. Man erfährt einerseits, wie schwer es ist, zur jüdischen Religion überzutreten. Und Eliyah lässt die Leser:innen teilhaben an der neu gefundenen religiösen Orientierung: „Ich fühle mich jetzt zu Hause, angekommen.“ (51) Man spürt auf ganz vielen Seiten, dass die Erfahrung von Antisemitismus und Rassismus in Deutschland ein Problem ist, das beiden in sehr großem Maße zu schaffen macht. Nicht zuletzt hat die Auswanderung von Eliyah und seiner Familie nach Israel hier ihren Grund. Marina Weisband analysiert mit hoher Sensibilität und großer Weitsicht die gesellschaftliche Situation in Deutschland und stellt in ‚klarer Kante‘ Forderungen und Veränderungsvorschläge auf.
Man spürt bei diesem Buch, dass es aus dem Dialog heraus entstanden ist. Die Antworten sind tiefgründig und lebendig zugleich, sie schließen die Inhalte auf und laden zu selbstständigen Urteilen ein. Die Sprache ist auch auf junge Menschen ausgerichtet.
Um auf das eingangs von mir geschilderte Erlebnis zurückzukommen: Ich halte es für unerlässlich, dass alle in der Schule Tätigen inzwischen einige Grundkenntnisse auch über das Judentum haben. Dem seit Jahren vorhandenen Schulhofantisemitismus kann man nicht wirksam nur mit einigen Religionsfachstunden begegnen. Die Situation erfordert in weit größerem Maße Aufmerksamkeit und kluge schulpädagogische Aktivitäten. Und die kann man auf jeden Fall nach der Lektüre dieses Buches – motiviert und kompetent geworden – beginnen!
Dr. Manfred Spieß, Oldenburg
E-Mail: dr.mspiess@online.de
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[1] Bei der Gender-Ausdrucksweise schließe ich mich hier der Form an, wie sie von den Autor:innen dieses Buches gewählt wurde.
[2] Marina Weisband bei Twitter: @Afelia ; Eliyah Havemann bei Twitter: @EliyahHavemann ; Manfred Spieß bei Twitter: @matjes49 ; Dr. Michael Blume bei Twitter: @BlumeEvolution
- Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, weist in seinem Vorwort mit zahlreichen Belegen und starken Argumenten auf die aktuelle Gefahr des Rassismus und Antisemitismus in Deutschland hin.