Dirk Schuster: Die Lehre vom ‚arischen‘ Christentum.
Das wissenschaftliche Selbstverständnis im Eisenacher »Entjudungsinstitut«.
(Kirche – Konfession – Religion 70)
Göttingen: V&R unipress, [2017].
327 Seiten.
ISBN 978-3-8471-0716-3
Kann es ein Christentum ohne Juden, ohne Propheten und Psalmen geben?
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Wenig ergiebige Untersuchung über das Eisenacher Entjudungsinstitut, das 1939 bis 1945 das Christentum von seinem jüdischen Erbe reinigen wollte.
Ausführlich: Über die sechs Jahre, die das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, kurz das „Entjudungsinstitut“ genannt, arbeitete, ist schon viel geforscht worden. Das Material ist bereitgestellt, der Zusammenhang mit der Bewegung der Deutschen Christen in Thüringen und teils auch die weitere Karriere der beteiligten Forscher bekannt.[1] Was kann eine weitere Dissertation, wie die hier zu besprechen ist, Neues beitragen? Dirk Schuster[2] bestimmt seinen Gegenstand folgendermaßen: „Eine von der Rassenideologie beeinflusste Wissenschaft, die sich selbst als Religionswissenschaft bezeichnete, unternahm es während des Nationalsozialismus, ein »arisches«, von jüdischen Einflüssen beseitigtes [sic] Christentum zu konstruieren. Vorliegende Arbeit rekonstruiert eben diese „Entjudung“ in ihren Methoden, Argumenten und Praktiken.“ (26)
- Den Begriff Religionswissenschaft beanspruchten im frühen 20. Jahrhundert auch Theologen, berühmt durch die Stellungnahme bei Antritt des Rektorates 1901 des schon damals bekanntesten Theologen und Wissenschaftsorganisators Adolf Harnack. In der Rektoratsrede wendet er sich gegen die Forderung, theologische Institute in Institute für Religionswissenschaft umzugestalten (was in den Niederlanden auch teils auch geschah). In den Zwanziger Jahren erschien eine Sammlung autobiographischer Beschreibungen von Theologen unter dem Titel Die Religionswissenschaft in Selbstdarstellungen.[3] Religionswissenschaft als Fach bestand aus einer so kleinen Anzahl von Professuren in Deutschland, dass man keine Fachidentität diskutieren konnte. Insofern wäre die Aussage: „die sich selbst als RW bezeichnete“, Grund für eine sorgfältige Differenzierung.[4] Dies geschieht aber nicht. DS übernimmt, oft verallgemeinernd, die Forschungen von Host Junginger.
- Die Frage, wie sich die Forschungen dieses auf praktische Umsetzung „Beseitigung des jüdischen Einflußes“ hin gegründete Institut unterscheidet von den theologischen Fakultäten an den Universitäten, beschreibt DS am Beispiel der Universität Leipzig an einer speziellen Frage, wer das Lehr- und Forschungsgebiet ‚Rabbinen und talmudisches Judentum‘ zu vertreten habe. Auch hier stützt er sich auf vorhandene Forschung.
- Judentum ist, besonders seit Wellhausen scharf geschieden, in zwei ganz verschiedene Teile: (1) Der Teil, der den Protestanten besonders nahe stehe, ist das Alte Israel mit dem lebendigen Wort Gottes, das die Propheten je auf eine Situation hin empfangen. Nach einer Lücke habe Jesus wieder als Prophet das lebendige Wort Gottes gepredigt (die sog. Prophetenanschluss-Theorie). Wellhausen hatte den Kanon der Bibel umgedreht: Erst kommen die Propheten, dann das Gesetz. (2) Das gesetzliche Judentum, die Abwendung vom lebendigen Gott und der Ersatz durch Rituale und durch Gesetze bedeutet den Absturz in das ‚Spätjudentum‘, die Schriftgelehrten. Protestanten sahen sich als Erben des Prophetischen, sahen die Juden als Nachfolger des Spätjudentums.
- Und dann gibt es – radikaler – die Ablehnung des Alten Testaments als Ganzes: Auch hier hatte Adolf von Harnack nach dem Schock des Ersten Weltkriegs eine wegweisende These vorgegeben in seinem Buch über die Verwerfung des Alten Testaments im 2. christlichen Jahrhundert durch Markion:[5]
Das AT im 2. Jahrhundert zu verwerfen, war ein Fehler,
den die große Kirche mit Recht abgelehnt hat.
Es im 16. Jahrhundert beizubehalten, war ein Schicksal,
dem sich die Reformation noch nicht zu entziehen vermochte;
Es aber seit dem 19. Jahrhundert als kanonische Urkunde im Protestantismus noch zu konservieren,
ist die Folge einer religiösen und kirchlichen Lähmung.
- Hier müsste man die Forderung anschließen, die Notker Slenczka seit 2013 erhebt, dass die Worte des Alten Testaments nicht an die christliche Gemeinde gerichtet seien und folglich auch nicht in einer Predigt im christlichen Gottesdienst zur Grundlage gelegt werden können.[6] Es geht also nicht um eine Entgleisung, sondern um ein strukturelles Problem christlicher Selbstdefinition.
- Zur Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Neuen Wissenschaft im NS urteilt DS gegen den Vorwurf der Pseudowissenschaft 118f: Doch der Unterschied einer Wissenschaft sine ira et studio, also die analysiert, vergleicht, und Ergebnisse formuliert, die auch mit Argumenten widerlegbar sein müssen, und einer wissenschaftlichen Rhetorik, die auf Aktion, auf rassistische ‚Ausmerzung‘ und letztlich auf Vernichtung aus ist, muss man unterscheiden können.[7]
- Kurz: die Dissertation bringt wenig Neues, Nichts Neues zum Institut, wenig über die Mitarbeiter, ohne Kenntnis der theologischen Fachgeschichte, der Christentumsgeschichte der Jahrhundertwende, der Wissenschaft in der NS-Diktatur, um die Arbeit im Institut einordnen zu können.[8]
30.April 2018 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Grundlegend und mit viel Material aus den Archiven die Arbeit von Oliver Arnhold, Kirche im Abgrund. 2 Bände. 2010. Meine Rezension “Entjudung” – Kirche im Abgrund. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2011/08/04/entjudung-kirche-im-abgrund-von-oliver-arnhold/ (4.8.2011). – Susanna Heschel: The Aryan Jesus. Elisabeth Lorenz: Ein Jesusbild im Horizont des Nationalsozialismus. Studien zum Neuen Testament des ‚Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben‘ (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II 440) Tübingen: Mohr Siebeck 2017.
[2] Dirk Schuster arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft an der Universität Potsdam. Im Folgenden kürze ich seinen Namen mit den Initialen ab.
[3] Hrsg. von Erich Stange. 5 Bänce. Leipzig: Meiner 1925-1929. Keiner der 30 Wissenschaftler ist als Teil der Fachgeschichte zu verstehen.
[4] So wäre für Religionswissenschaft im engeren Sinne die Abwehr der den Rassismus legitimierenden und praktizierenden Wissenschaft entgegenzusetzen, Baetke ist gerade genannt, Christel Mathias Schröder, Rasse und Religion fehlt.
[5] Adolf von Harnack: Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott. Leipzig: Hinrichs [1921] ²1924, 217.
[6] Notker Slenczka: Vom Alten Testament und vom Neuen. Beiträge zur Neuvermessung ihres Verhältnisses. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt [2017].
[7] Beispielsweise Christoph Auffarth: Vernichtungskrieg! Der Beitrag von Fritz Taeger zum Vorzeigeprojekt des ‚neuen NS-Bildes der Antike‘ Rom und Karthago 1943. In: Tassilo Schmidt; Michael Sommer (Hrsg.): Rom und Karthago 1943. Wissenschaftsgeschichte der Altertumswissenschaft im NS. Darmstadt: WBG 2018.
[8] Die Arbeit in den Archiven bringt kaum etwas, was nicht schon bekannt wäre. Dabei sind auch Missverständnisse zu finden. Ich nenne nur als Beispiel die (angebliche) Bewerbung von Walter Grundmann auf die NT-Professur in Leipzig: Wenn Grundmann an den Berufungsverhandlungen beteiligt war, dann nicht als Kandidat für die Liste. Leipoldts Artikel ‚Antisemitismus‘ ist zwar im Reallexikon für Antike und Christentum erschienen mit dem Titelblatt für den Gesamtband 1950. Die Lieferung war aber schon vor 1945 gedruckt und ausgeliefert. Sie kann also nicht für Fortsetzung der ‚Lehre vom arischen Christus‘ nach dem Ende des Instituts angeführt werden (265f).