Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter

Christine Christ-von Wedel:
Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter.

Katharina von Zimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit

Unter Mitarbeit von Irene Gysel, Jeanne Pestalozzi und Marlis Stähli.
Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2019.
360 Seiten, Hardcover mit s/w und farbigen Abbildungen.
ISBN 978-3-290-18255-7.
33,90€

 

Die Reformationszeit in Zürich
aus der Sicht einer bedeutenden Frau

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz: Christine Christ-von Wedel zeigt den LeserInnen Zürichs weniger bekannte Seiten hinter den Kulissen der Reformation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, viele Orte, die man sonst nie betritt, am Leitfaden der Biographie einer bedeutenden Adeligen.

Ausführlich: Eine Äbtissin am reichsten Frauenkloster mitten in der Stadt Zürich gehört zur Oberschicht, zumal aus einer altadligen Familie, Katharina von Zimmern. Schon mit 18 zur Äbtissin gewählt, hat sie das Kloster Fraumünster 28 Jahre geleitet. Mit der Reformation Zwinglis übergibt sie das Kloster mit dem ganzen Besitz an die Stadt. Und heiratet. Ausge­rechnet einen Söldnerführer. Stoff für einen Roman! Das sollte zunächst auch daraus werden, weil doch das wenige, das man über sie wusste, veröffentlicht schien. Bei der Vorbe­reitung stießen aber Irene Gysel und Jeanne Pestalozzi auf neue Quellen und entzifferten sie mit Hilfe der Handschriftenspezialistin Marlis Stähli. Die Historikerin Christine Christ-von Wedel,[1] mit der Epoche lange vertraut, erhielt den Auftrag, doch wieder ein lesbares wissen­schaftliches Buch daraus zu machen. Da liegt es nun, fast zeitgleich mit dem Start des Kino­films „Ulrich Zwingli. Der Reformator“ (CH 2018). Beide versuchen, Wissenschaft historisch und im Detail genau zu vermitteln. Die Äbtissin ist fast noch spannender als der Reformator. Und natürlich kann das Genre wissenschaftliche Monographie viel detaillierter argumentie­ren, kann Unsicheres erschließen, ohne es alternativlos festzulegen. Da erscheint Zwingli als rastloser Reformator, der zwar nichts überstürzen will, aber seine Selbstsicherheit als Gott­vertrauen versteht und so auch in die Katastrophe der Schlacht von Kappeln stürmt. Ein Ratsherr sieht darin ‚das neue Papsttum‘.

Der Band ist aufgeteilt in die Kapitel, die der Chronologie der Biographie folgen, aber diese intensiv vernetzen mit dem Zeitgeschehen und den kulturwissenschaftlichen Fragen nach Heirat und Kinderkriegen, Söldnerwesen, Kleidern, Bildung usf. Die Besprechung ist mit Bildern anschaulich illustriert mit farbigen Abbildungen der Orte, handschriftlichen Quellen, Porträts, wobei die erwähnten Häuser oft farbig hervorgehoben sind. Auf die Quellen im Anhang ist in Marginalien hingewiesen. Die dichte Dokumentation in Fußnoten findet man ebenfalls im Anhang. Dafür spendiert der Verlag zwei Buchzeichen! Dort (S. 270-327) hat Marlis Stähli Quellen ediert und eingeführt in der Originalsprache und einem ausführlichen Regest: I Zwingli widmet der Äbtissin. II. handschriftliche Quellen zu Eberhard von Rei­schach. Teil III druckt handschriftliche Quellen zu Katharina Zimmern und ihrer Welt, 1522-1553/1608. Die Verzeichnisse der Quellen, handschriftliche wie gedruckte, Bibliographie der Forschungsliteratur, das Abbildungsverzeichnis, ein Personenregister, Stammbäume und eine Chronologie dokumentieren die Aussagen im Text. Das Buch ist sehr sorgfältig und liebevoll (zur Äbtissin, zur Autorin, zum Buch, zu den LeserInnen) gestaltet.

Nun also die aufregende Biographie! Ganz jung zur Äbtissin geworden, kümmert sich Katharina um das Kloster. Genauer handelt es sich um die Chorfrauen, die kein lebenslanges Gelübde abgelegt und nicht zum Leben im Kloster verpflichtet sind, aber sich an die benediktinische Lebensweise halten. Zwar war zwischenzeitlich das gemeinsame Leben, Beten, Essen und Schlafen angeordnet worden, aber Katharina lebte meist allein im großen Haus. Sollte ein junger Mann mit seinem Anspruch recht haben, dann gebar die Äbtissin wohl auf einem längeren ‚Urlaub‘ eine Tochter, ihr späterer Mann könnte der Liebhaber gewesen sein. C.vW. hat den Grabstein des Enkels in der Heidelberger Peterskirche aus­findig gemacht; auf dem sind die Namen der Familien Zimmern und Reischach eingemeißelt (118). Zwingli, wie auch Luther hatten der mönchischen Lebensweise abgesprochen, dass man durch ein heiliges Leben mit Sicherheit das Heil erwerbe und mit ihrer Askese allen anderen christlichen Lebensformen überlegen sei. Die Schätze der Klöster weckten Begehr­lichkeiten, die Abgaben an sie empörten die Bauern. Das bekamen mehr noch die Klöster auf dem Lande zu spüren, so Königsfelden und die beiden adeligen Nonnen Truchsessinnen von Waldburg. Katharina, die von Zwingli und anderen reformatorische Schriften im Bücher­regal hatte, entschied sich, das Kloster mit allen Schätzen der Stadt zur Verfügung zu stellen. Ihre Vorstellungen als junge Frau kommen im Schmuck zum von ihr geplanten Anbau zum Ausdruck, den C.-vW. genau anschaut und erklärt: das Liebespaar, die Badszene und den segnenden Jesus, der als ‚Ros entsprungen‘ ist, die Melusine (134-143).[2] Mit der Übergabe, die dann noch einmal rechtlich in Frage gestellt wird (20-77; 173-175), beginnt ein riskantes Leben an der Seite eines Haudegens, des zwanzig Jahre älteren Eberhard von Reischach. Für mehrere Seiten unterwegs, vor allem auch für den vertriebenen Herzog Ulrich von Württem­berg, hatten auch die Zürcher einerseits immer wieder auf den Söldnerführer zurückgegrif­fen, andererseits mit der Reformation scharf das Söldnerwesen, und in einem Zuge ihren früher verbündeten Söldnerführer zum Tode verurteilt. Der hielt sich fern von der Stadt. Das vermögende Paar suchte sich außerhalb Zürichs ein Anwesen, zunächst in Schaffhausen, dann in Diessenhofen, von wo man über die Rheinbrücke ins Württembergische kam. Bald aber, als Zürich sich selbst in der Eidgenossenschaft isolierte, waren sie wieder auf ihn angewiesen. Zwei Kriege führten die Zürcher, der zweite war so schlecht vorbereitet, dass tausend Mann fielen, darunter Zwingli, Reischach und sein Sohn. Seine Freunde und Nach­folger glorifizierten Zwingli und sein Werk; C.-vW. zitiert aber einen Ratsherren, der zwar die Reformation voll bejaht, aber Zwingli kritisiert, dass er, statt die Situation auszuloten, den schlecht vorbereiteten Krieg unternahm. Ein sehr wichtiger Abschnitt (217-220)! Katharina jedenfalls musste ihr Leben neu organisieren und sie tat das mit Geschick und Selbstbewusstsein, um den Kindern ein ansehnliches, geordnetes Erbe zu hinterlassen.

Das Buch zeichnet die Reformation in Zürich aus neuen Perspektiven. Die Autorin, im Blick geschärft durch das Wirken des Erasmus von Rotterdam (lange Zeit im nahen Basel tätig) und den ‚Bibelhumanismus‘, zeigt nicht nur die kritischen Seiten der Zürcher Reformation, sondern führt auch ins Kloster, in die Schulen und Druckereien, interessiert sich für den Adel und das Kriegsführen, ordnet den Kampf der katholischen Habsburger mit den evangelischen Schwaben und Zürichern ein. Zusammen mit dem Grundlagenwerk von Alfred Ehrensperger[3] ist die Zürcher Reformationszeit jetzt hervorragend erforscht. Die Fortsetzung mit Heinrich Bullinger wird bald ähnlich genau erforscht sein. Die Geschichte der Äbtissin hat Christ-von Wedel mit einer immensen Kenntnis und sorgfältiger Recherche weit über das Biographische hinaus zu einer Kulturgeschichte verwoben. Ein bedeutendes Buch, das sich nicht auf Reformation beschränkt, sondern anschaulich die Zürcher Renais­sance, Humanismus, Familienleben, Kriegshandwerk, Räume für Frauen und Männer, Adelsfamilien und Arme, die sich als Söldner verdingen mussten, zeigt. Ein großartiges Buch, das ganz andere Seiten und Orte der Reformationszeit eröffnet!

 

 Bremen/Wellerscheid, 5. November 2019                                           Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Christine Christ-von Wedel *1948, ist mit einem Buch über Erasmus von Rotterdam promoviert. Sie war für die Basler Mission tätig und hat daneben kontinuierlich an der Reformationsgeschichte gearbeitet.

[2] Die Melusine (Meerjungfrau), so erzählt man, heiratet unter der Bedingung, dass ihr Mann ihr nicht nachspionieren darf. Sie sind glücklich, reich; aber der Mann kann seine Neugierde nicht zügeln. Als er ihr Geheimnis, den Fisch-Unterkörper, entdeckt, verliert er sie. Die Geschichte ist im Mittelalter viel erzählt und mit der Kreuzfahrerdynastie der Lusignan verbunden worden. Das Schlusswort nimmt das Bild noch einmal auf.

[3] Alfred Ehrensperger: Geschichte des Gottesdienstes in Zürich Stadt und Land im Spätmittelalter und in der frühen Reformation bis 1531. Zürich: TVZ 2019. Meine Rezension hier: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2019/11/20/geschichte-des-gottesdienstes-in-zuerich/

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