Elisa Klapheck, Bruno Landthaler, Rosa Rappoport:
Deutschland braucht jüdischen Religionsunterricht
Verlag Hentrich & Hentrich
Machloket‚Streitschriften Bd. 4, Berlin 2019, 80 S.,
ISBN: 978-3-95565-342-2
9,90 Euro
Im Herbst 2019 über jüdischen Religionsunterricht in Deutschland zu reflektieren, kann nicht unberührt sein von den steigenden Anfeindungen und Angriffen, denen Menschen jüdischen Glaubens hier ausgesetzt sind. Der Mordanschlag von Halle am 9. Oktober ist ein erschütterndes Signal und zeigt seine Auswirkungen in vielfältiger Hinsicht.
Kurz zu den Autoren: Elisa Klapheck ist liberale Rabbinerin in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a. M., Bruno E. Landthaler ist jüdischer Theologie und Pädagoge, Rosa Rappoport ist Religionslehrerin und Mitarbeiterin bei der Entwicklung von Lehrplänen in NRW[1]. Das Büchlein ist folgendermaßen aufgebaut: Auf ein Vorwort von Rabbinerin Elisa Klapheck folgt der Beitrag von Bruno Landthaler[2]: Jüdischer Religionsunterricht und säkulare Gesellschaft. In einem ausführlichen Fachgespräch unterhalten sich die jüdische Religionslehrerin Rosa Rappoport und die liberale Rabbinerin Elisa Klapheck über den kompetenzorientierten Religionsunterricht, unter dem Leitaspekt „Respekt vor dem Anderssein“. Weiterführende Literatur wird vorgestellt, dazu Zitate aus dem Talmud zur Schulpflicht sowie ein kleines Lexikon jüdischer Begriffe zum Kanon.
Jüdischer Religionsunterricht ist kein neues Schulfach, das eingefordert würde, etwa um Antisemitismus einzudämmen. Diesen Unterricht gibt es, durch grundgesetzliche Absicherung[3] und in Absprache mit den Schulministerien, schon lange. Allerdings in kleinem Umfang, und zumeist findet er in den jüdischen Gemeinden statt. Die gesellschaftlichen, religiösen und schulischen Kontexte haben sich gewandelt. Das Christentum ist nicht mehr die „selbstverständliche Religion der Mehrheit“ [4]. An einigen Standorten in Deutschland findet an den öffentlichen Schulen auch jüdischer RU statt, darüber hinaus in einigen Städten an jüdischen Schulen. Bruno Landthaler stellt in seinem Beitrag die gesellschaftliche Verortung jüdischen Glaubens in den Vordergrund. Er kritisiert die bisherige Fokussierung jüdischer Katechese auf die „Vermittlung religiöser Riten und Bräuche“ (16) und plädiert für eine stärkere Orientierung an Situationen der säkularen Lebenswelt. Die Didaktik der bisherigen Religionsvermittlung orientiere sich stark an traditionell-orthodoxen Glaubensinhalten, liberal-konservative Positionen seien zu wenig erkennbar.
Landthaler untersucht drei Kerncurricula für jüdischen RU: Baden-Württemberg (BW), Hessen (HE) und Nordrhein-Westfalen (NRW). Starke Kritik über er an Vorgaben des Bildungsplanes von BW. Unreflektiert werde dort von „Lehren von Gott im Judentum“ gesprochen, die Tora werde nicht als historische literarische Schrift wahrgenommen, sondern lediglich im traditionellen Muster autoritativ vorgestellt. Im hessischen Kerncurriculum dominiere eine katechetische inhaltliche Struktur, die im Kontext einer staatlichen Schule befremdlich wirke: „Das Fach vermittelt das Wissen, das zur Ausübung von Tradition, Ritus und Kultus sowie zur Einhaltung der Religionsgesetze befähigt“ (28). Deutlich positiver wird der Plan des Landes NRW eingeschätzt. Hier werde ein offener Umgang mit der Tradition angesetzt, und die Auseinandersetzung mit Kultur, Geschichte und Religionen aus heutiger jüdischer Perspektive angestrebt (vgl. 31-35).
Landthalers Ausführungen haben mehrere Zielrichtungen:
- gleichberechtigter Stand jüdischen Religionsunterrichts im Schulwesen,
- Ausbau einer modernen Fachdidaktik für die Ausbildung und für Curricula
- Stärkung der öffentlichen Präsenz und Wahrnehmung jüdischer Religion in der pluralistischen Gesellschaft.
„Gerade Schule als öffentlicher Raum bietet Gelegenheit, die eigene Religion in einer Weise zu versprachlichen, die nicht nur nach innen verstehbar ist“ (42).
Im Gespräch zwischen E. Klapheck und R. Rappoport werden viele interessante Themen angesprochen. Ganz konkret tauschen sie sich über die eigene Biografie und über das Verhältnis zu Orthodoxie bzw. Liberalem Judentum aus. Verschiedene Perspektiven zum interreligiösen Dialog werden vorgestellt. Der Austausch über Gemeinsamkeiten und Differenzen – mit dem „Respekt vor der Differenz“ (66) – sei die Bedingung für interreligiöse Erfahrungen. Es wird auch darauf eingegangen, dass aus jüdischer Sicht gewisse Erschwernisse im Dialog sowohl mit Christen als auch mit Muslimen vorkommen. Die religionsdidaktische Frage nach Bildung der religiösen Identität für jüdische Schülerinnen und Schüler wird ebenfalls erörtert.
Die drei Autorinnen und Autoren haben zahlreiche Anknüpfungspunkte vorgelegt, die sowohl für die Diskussion innerhalb der jüdischen Gemeinden als auch bei den Fragen schulischer religiöser Bildung von großer Bedeutung sind. Über den schulischen Religionsunterricht wird in Deutschland gegenwärtig stark debattiert. Dass die jüdische Stimme auch gehört wird und innerhalb des pluralistischen Systems einen wichtigen Beitrag leisten kann, ist ein bedeutender Ertrag dieser Schrift.[5]
Dr. Manfred Spieß
Oldenburg
14.11.2019
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[1] Den Kernlehrplan für NRW kann man hier finden: https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/80/KLP-SI-Juedische_Religionslehre.pdf
[2] Bruno Landthaler und Hanna Liss haben im Jahre 2018 didaktische Materialien für den Schulunterricht herausgegeben: „Wie das Judentum mit der Tora lebt. Weisung von ganz oben“. Cornelsen/Scriptor. Mehr dazu hier in der Rezension: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2018/05/28/aus-erster-hand-das-judentum-im-religionsunterricht/ – Beide veröffentlichten 2016 auch eine fünfbändige Kindertora: „Erzähl es deinen Kindern“; https://www.ariella-verlag.de/erzaehl-es-deinen-kindern-die-torah-in-fuenf-baenden-gesamtedition/
[3] Der schulische Religionsunterricht der Religionsgemeinschaften ist in Art. 7, Abs. 3 des GG geregelt.
[4] So Elisa Klapheck in der Vorbemerkung, 9. – Weitere Veröffentlichungen von E. Klapheck sind hier zu finden: https://www.hentrichhentrich.de/buch-deutschland-braucht-juedischen-religionsunterricht.html
[5] Wenngleich der Reihentitel „Streitschrift“ heißt, so ist die hier vorliegende Art des Streitens m. E. eine absolut würdige und fruchtbringende Form!