Blumenberg-Jonas Briefwechsel

Hans Blumenberg und Hans Jonas:
Briefwechsel 1954-1978 und weitere Materialien.

Herausgegeben von Hannes Bajohr.

Berlin: Suhrkamp 2022 [340 Seiten, fest gebunden]

ISBN 978-3-518-58777-5

 

Großtaten und Gefahren der Technik:
Gegenwartsdiagnosen von Hans Blumenberg im Gespräch mit Hans Jonas

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Zwei der bedeutendsten Philosophen beschäftigen sich mit Grundfragen der Gegen­wart. Auf den Briefwechsel folgt Blumenbergs wachsende Skepsis gegenüber Jonas‘ Aufruf, die Gefahren der Technik ernst zu nehmen im Blick auf das Leben kommender Generation.

Ausführlich: Die beiden Philosophen schätzten sich und schickten sich gegenseitig ihre Aufsätze und Bücher. Ihre Interessen konvergierten nicht zuletzt auch, weil sie beide durch den Nationalsozialismus angegriffen wurden, aber sich aus diesen Einschränkungen ihrer Entfaltungsmöglichkeiten befreiten. Sie stellten neue Fragen, die bis dahin kaum als Themen der Philosophie wahrgenommen worden waren: die moderne Welt, die Bedeutung der Technik, die Körperlichkeit und Gefährdung der Menschen.

Der Jüngere, Hans Blumenberg (1920-1996),[1] entdeckte den erst spät als Universitätsprofes­sor etablierten Hans Jonas (1903-1993) [2]  auf einem Internationalen Kongress der Philosophen in Belgien und machten dessen neue Themen in deutschen Zeitschriften bekannt. Er band Jonas in Themenhefte ein, die nicht mehr mit der lähmenden Aufarbeitung der NS-Zeit, sondern mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu tun hatten. Wie andere (v.a. Rudolf Bultmann) bemühte sich Blumenberg, Jonas einen Ruf an eine deutsche Univer­sität zu verschaffen und endlich gelang es auch, Pensionsansprüche für Jonas durchzusetzen (304).[3] Als 20 Jahre nach dem ersten Band der Gnosis der zweite erschien, setzte sich Blumen­berg in einer Sammelrezension zur Geistesgeschichte der Spätantike[4] mit dem berühmten Erstlingswerk auseinander: Gnosis und spätantiker Geist.[5]  Sie trägt schon den für Blumenberg bezeichnenden Titel Epochenschwelle und Rezeption. Denn Blumenbergs erstes großes ver­öffentlichtes Buch 1966 (da war er 46 Jahre alt) behandelte die Epochenschwelle zur Neuzeit unter dem Titel Die Legitimität der Neuzeit.[6] Denn große Philosophen hatten die Neuzeit für ‚illegitim‘ erklärt, weil sie der mittelalterlichen Welt Gott gestohlen hätte und alles dem Menschen zuschrieb.[7] Blumenberg schickte das Buch an Jonas, der sich nicht einmal bedank­te und erst, als Blumenberg ihn verärgert darauf hinwies (149f), es sieben Jahre später lobte als das „von mir geschätzteste Buch deutscher Philosophie in mehr als einem Jahrzehnt“ (151). Blumenberg und Jonas trafen sich auch in familiärem Kreis („Grüße von Haus zu Haus“) zum letzten Mal 1976. Danach entfernte sich Blumenberg zunehmend, was er aber nur seinen Karteikarten anvertraute, die der Herausgeber wiederum aus den Materialien (im riesigen Nachlass Blumenbergs) veröffentlicht – eine sehr wichtige Beilage. Jonas erkannte nämlich die drohende Gefahr der Selbstvernichtung der Welt und formulierte besonders in seinem Buch 1979 Das Prinzip Verantwortung die Pflicht zur Erhaltung echten Lebens auf der Erde als neuen kategorischen Imperativ. Man müsse vom schlechtesten Verlauf der Folgen einer Großtat der Technik ausgehen, wie der Kernspaltung in den AKWs, nicht vom besten. Blumenberg dagegen fand, dass die Menschheit ein viel zu kleiner Faktor in der Welt sei, als dass sie weder zur „Bewahrung der Schöpfung“ noch diese zu ‚erlösen‘ in der Lage sei. Diese theologischen vorgeprägten Vorstellungen widersprächen der Autonomie der neuzeitlichen Menschen und werteten die Gegenwart ab. Ein Beitrag 1985 (264-266) und eine nicht datierte lange Karteikarte Hans Jonas, der Prognostiker der wiedergefundenen Gnosis (275-280) wider­sprechen Jonas‘ Prinzip Verantwortung und fordert ein Recht der Gegenwärtigen, also die Gegenwart nicht durch die Zukunft(s-Angst) zu erdrücken.

Der Herausgeber hat all die Anspielungen (die die Briefpartner natürlich kannten und nicht erläutern mussten) sehr gut entschlüsselt und präzise nachgewiesen, dazu Querverweise zu anderen Briefen. Da waren auch härtere Nüsse zu knacken. Unterstützung erhielt er unter anderem auch von den anderen Herausgebern Dietrich Böhler und Bernadette Herrmann. Denn der Briefwechsel wird noch einmal ediert werden in der Kritischen Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas.[8] Dort werden allerdings die für das Verhältnis der beiden Philoso­phen wichtigen „Materialien“, besonders die Blumenbergs nicht enthalten sein. Ohne diese Funde im Nachlass würde man viele Facetten nicht verstehen. Darin liegt ein besonderer Gewinn dieser Ausgabe. Das Nachwort des Herausgebers Hannes Bajohr fasst das Verhält­nis der beiden großen Philosophen ausgezeichnet zusammen, Blumenbergs zunehmende Kritik am späten Jonas und seinem Prinzip Verantwortung wird hier erstmals ausführlich dokumentiert. Das hielt Blumenberg aber nicht davon ab, nach Jonas‘ Tod das Ruhmeslied in der Gnosisforschung anzustimmen, dessen Konjektur des gnostischen Mythos 1936 durch die Funde von Nag Hammadi 1945 glänzend bestätigt wurde, sondern auch trotz der Skepsis gegenüber der „Heuristik der Furcht“ ihn zu einem der ganz großen Philosophen zu erklären (der Text bricht ab 281-283, dazu Bajohr 327). „Selbstbehauptung oder Selbstbeschränkung“, auf diese Formel bringt der Herausgeber die Alternative (315-327).

Wie der Fund der Gnosis-Bücher von Nag Hammadi Jonas‘ Konstruktion des gnostischen Grundmythos, so hat die Umweltkatastrophe („Klimakrise“) Das Prinzip Verantwortung bestätigt: Die Menschheit ist in der Lage, das menschliche Leben auf der Welt zu zerstören. Aber die Aufgabe lässt sich nicht durch Rückwärtsbewegung mit Verzicht auf Technik angehen, sondern durch bessere Technik (so Blumenberg), die dann aber auch wieder die Folgen-Abschätzung verlangt für das Prinzip Verantwortung.

 

Bremen/Wellerscheid, Oktober 2022                                            Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Zu seiner Biographie (und meine Rezension): Wie Weltbilder umstürzen. Und die Gottesbilder mit ihnen: Rüdiger Zill: Der absolute Leser. Hans Blumenberg – eine intellektuelle Biographie. Berlin: Suhrkamp 2020. + Hans Blumenberg: Ursprung der mittelalterlichen Ontologie [1947] Berlin: Suhrkamp 2020.  https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2020/11/21/hans-blumenberg/ (21. November 2020). Kurt Flasch: Hans Blumenberg: Philosoph in Deutschland. Die Jahre 1945 bis 1966. Frankfurt am Main: Klostermann 2017, ²2019.

[2] Hans Jonas war nach seiner Dissertation, noch bevor er sein erstes Buch veröffentlicht hatte, ausge­wandert; in Deutschland hatte er als Jude keine Zukunft. Aber als Wissenschaftler konnte er auch nicht in Israel arbeiten, Kriegsteilnahme, Dozent in Kanada unter schwierigen Bedingungen. Erst die Berufung an die Universität New School of Social Research in New York 1955 machten ihn zum etablierten Wissenschaftler.

[3] Zum Briefwechsel mit Bultmann s. die Ausgabe (und meine Rezension) Rudolf Bultmann – Hans Jonas: Briefwechsel 1928-1976. Mit einem Anhang anderer Zeugnisse. Hrsg. Andreas Großmann. Tübingen: Mohr Siebeck 2020. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2020/12/07/bultmann-jonas-briefwechsel/ (7.12.2020).

[4] Die 38 Seiten umfassende Rezension von 1958 ist in den Beilagen abgedruckt S. 211-248.

[5] Teil 1 Die mythologische Gnosis erschien in der von Rudolf Bultmann, seinem eigentlichen Doktor­vater, herausgegebenen Reihe Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 1934, Der zweite Teil Von der Mythologie zur mystischen Philosophie 1954, die erste Hälfte, 1993 die zweite Hälfte hrsg. von Kurt Rudolph.

[6] Die Dissertation und Habilitation waren nur als Schreibmaschinenexemplare archiviert. Als Vorbe­reitung des Neuzeit-Buches war zuvor ein schmaler Band mit Aufsätzen Die kopernikanische Wende veröffentlicht. Danach folgte Buch auf Buch und viele Texte, die nach seinem Tod veröffentlicht wurden und werden.

[7] Im Zusammenhang ist das beschrieben in Karl-Heinz Ott: Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens. München: Hanser 2022.

[8] Kritische Gesamtausgabe. Hrsg. Dietrich Böhler, Michael Bongardt, Holger Burkhart, Christian Wiese und Walther Zimmerli. 5 Abteilungen mit 11 Bänden in 13 Teilbänden. Freiburg: Rombach; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010 ff. Band V.1 Briefe und Erinnerungen ist für 2023 angekündigt. Die Übersicht Hans Jonas KGA Online | Appendix zur Kritischen Gesamtausgabe der Schriften von Hans Jonas (hans-jonas-edition.de) (21.10.2022).

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