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Theologisieren mit Jugendlichen

Hallo Welt!

keine Ahnung, ob nach dem Ende von Openreli 2013 noch jemand mitliest – ich hab jedenfalls immer noch große Lust, ein wenig vor mich hin zu bloggen, und manchmal gibt´s ja Anlässe. Diesmal die Frage nach „Theologie im kompetenzorientierten Unterricht“ (Reinhard zuliebe ;-)).  Ich habe gerade ein paar sehr interessante Stunden erlebt, in denen meine Schülerinnen miteinander theologisch diskutiert haben. Ich hab ja das Glück, dass „Gespräche über religiöse Fragen führen“ im Erzieherinnenlehrplan eine der Fachkompetenzen ist – das ermöglicht einen sehr direkten Anschluss.

Den Anfang der Unterrichtssequenz hab ich früher im Blog schon mal erzählt, unter „Erinnerung an eine gelungene Stunde“ oder so ähnlich. Nun würde ich gern mit Euch ein bisschen über Methoden plaudern und dann ein Ergebnis eines Gespräches „abdrucken“, das mich ziemlich geflasht hat.

Zur Erinnerung: Fragen meiner SchülerInnen (in Auswahl)

  • Wenn Gott die Menschen liebt – wie kann es die Hölle geben?
  • Wenn es die Hölle nicht gibt – wie kann es „Gerechtigkeit“ geben?
  • Liebt Gott jeden? – was wird dann aus den Opfern von Verbrechern, hat er dazu keine Meinung?
  • Warum greift er nicht ein – oder greift er ein, und alles ist vorherbestimmt?
  • Wie kann er aber dann jemanden bestrafen, denn der hatte doch gar keine Wahl?
  • Komme ich in die Hölle, weil ich nicht religiös sozialisiert bin, und wenn, was soll daran „gerecht sein“?! usw.

 Fragen aufgreifen

Das Engagement der Schülerinnen steht und fällt damit, dass die Fragestellung ihr Interesse weckt. Deshalb werde ich, wann immer es möglich ist, echte Fragen aufgreifen, die aus der Gruppe selbst kommen. Ein Gespräch, das ich initiiere, weil ich die Fragestellung interessant finde (oder weil sie im Lehrplan steht, womöglich) kann zwar Fahrt aufnehmen – wenn jemand aus der Gruppe sich mit einer Frage herumplagt und die Gruppe um Beratung bittet, ist das aber etwas ganz anderes… Das lässt sich natürlich kaum vorbereiten – muss aber ja gar nicht sein. Wenn ich die „handwerklichen“ Grundlagen der theologischen Moderation beherrsche, bin ich doch für alles gewappnet…

Auf „Moderation“ lege ich deshalb Wert, weil „Gesprächsführung“ schon als Begriff ungünstige Weichen stellt. Ich führe das Gespräch nicht – ich ermögliche es, indem ich Zeit und Raum dafür gebe, ich setze Impulse, um zu schärfen (anzufeuern, sozusagen), aber mehr nicht. Ich erteile nicht das Wort (das regeln die Schülerinnen schon lange untereinander), ich bewerte Aussagen nicht, überhaupt halte ich meine Gesprächsanteile gering. Ich höre so intensiv zu, wie ich nur kann. Ich versuche weniger, mich verständlich zu machen, als die anderen zu verstehen.

Wenn ich mich beteilige, haben sich folgende Impulse als besonders günstig erwiesen, um das Gespräch lebendig zu halten und zu vertiefen:

  • Vor dem Einstieg in die Diskussion ausdrücklich die Frage klären, um die es geht: Welches (gedankliche) Problem soll gelöst werden?
  • Zurückfragen, d. h. verstehen wollen, was gemeint ist: „Verstehe ich Sie richtig, dass…?“
  • Begriffe klären: „Das heißt, Sie verstehen unter… folgendes: …-?“
  • Hinterfragen: „Sehen das alle so?“ – „Stimmt das wirklich?“
  • Weiterfragen: „Wer hat sonst noch eine Idee dazu?“
  • Nach Alternativen fragen: „Wie könnte man das auch noch sehen?“ – „Könnte es auch anders sein?“
  • Nach Begründungen fragen: „Wie kommen Sie darauf?“ – „Was spricht dafür?“
  • Nach Beispielen fragen: „Können Sie dafür ein Beispiel nennen?“ oder ein Beispiel einbringen: „Was bedeutet das für den Fall, dass…?“
  • Nach Gegenbeispielen fragen
  • Nach Annahmen fragen, die hinter einer Aussage stehen: „Sie setzen also voraus, dass… – ?“
  • Nach Folgen fragen: „Wenn das so ist, was bedeutet es für…?“
  • Antwortversuche in Beziehung zueinander bringen – Widersprüche ansprechen, Ähnlichkeiten benennen, zum Vergleichen anregen: „Wie kann X und Y gleichzeitig zutreffen?“ – „Ist dies überzeugender für Sie als jenes? Wie kommt das?“
  • Zusammenfassen, auf den Punkt bringen, ggf. schriftlich festhalten.
  • Dabei zurückfragen: „Habe ich das richtig verstanden?“ – „Passt die Zusammenfassung, trifft das Ihren Punkt?“
  • Strukturieren, auch visuell.
  • Dafür sorgen, dass nichts unter den Tisch fällt, auch wenn nicht alles gleich aufgegriffen werden kann.
  • Für eine Auswertung am Ende sorgen.

Die ein oder andere methodische Idee hab ich auch noch im Handgepäck – besonders das „Gedankenbuch“ empfehle ich wärmstens. Schaut mal:

Methode Denkanstöße

Methode Frageketten

Methode Gedankenbuch

Mehr zufällig habe ich in der letzten Woche entdeckt, dass es förderlich sein kann, im Anschluss an das Gespräch ein gut strukturiertes Ergebnis festzuhalten, mit dem die Schülerinnen und Schüler anschließend weiter arbeiten können. Während des laufenden Gespräches schreibe ich Thesen und die allerwichtigsten Stichworte dazu auf Metaplankarten und lege eine Argumentationsskizze. Aus diesen Überschriften und meinen Erinnerungen erstelle ich einen Text, der möglichst viele Aspekte des Gespräches aufnimmt. Diesen Text gebe ich in der nächsten Stunde in die Klasse und lasse prüfen, ob sich jeder „wiederfindet“.

Hier unser Beispiel zur Frage:

„Ist alles wahr, was in der Bibel steht?“

Die Frage wurde als „fundamental“ empfunden, also anderen Fragen vorgelagert, weil wir eine Haltung dazu benötigen, ob wir ein Bibelzitat für ein „schlagendes“ Argument halten, wenn es um theologische Meinungverschiedenheiten geht.

Zu dieser Frage gibt es mehrere mögliche grundsätzliche Antworten:

1.    Die Bibel ist ein Sachbuch, das objektive Wahrheiten über Gott, die Menschen, die Entstehung der Welt, das Leben von Jesus, die Hölle, das Ende der Welt und viele andere Themen enthält. Die Menschen, die die Bibel geschrieben haben, wissen diese Wahrheiten, weil Gott persönlich ihnen den Text diktiert hat. Fachbegriff dafür: Verbalinspiration.

Daraus folgt: Wenn biblische Aussagen mit der modernen Wissenschaft nicht vereinbar sind, hat die Bibel recht und die Wissenschaft nicht.

Unser Beispiel: Die Welt entstand buchstäblich in 7 Tagen.

Variante: Nimmt man den Satz aus Psalm 90 hinzu „1000 Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache“, kann man die 7 Tage aus 1. Mose 1 als „7000 Jahre“ interpretieren (was die Aussage etwas realistischer macht).

Daraus folgt für theologische Gespräche: Wenn jemand ein Zitat nennen kann, das eine Frage beantwortet, ist die Frage beantwortet und das Gespräch beendet. Widersprüchliche Aussagen innerhalb der Bibel müssen irgendwie ausgeglichen werden.

 

2.   Die Bibel ist ein Sachbuch, das veraltete Informationen enthält. Menschen haben aufgeschrieben, was sie zu ihrer Zeit für objektiv richtig hielten. Wir haben uns in wissenschaftlicher Hinsicht weiterentwickelt und wissen mehr.

Daraus folgt: Wenn sich Bibel und Wissenschaft widersprechen, hat die Wissenschaft recht und die Bibel nicht.

Unser Beispiel: Die Aussage über die Schöpfung in 7 Tagen hat sich durch die Theorie vom Urknall erledigt, der Schöpfungstext aus 1. Mose 1 ist falsch und kann vergessen werden.

Daraus folgt für theologische Gespräche: Wenn es eine wissenschaftliche Antwort auf eine Frage gibt, ist das Gespräch beendet.

 

3. Die Bibel ist eine bewusste Fälschung. Menschen haben eine Geschichte erfunden und andere Menschen dazu verführt, diese für wahr zu halten.

Daraus folgt: Die Bibel hat Unrecht, egal was die Wissenschaft sagt.

Unser Beispiel: Hinter der Schöpfungsgeschichte steckt eine Täuschungsabsicht.

Daraus folgt für theologische Gespräche: Schön blöd, wer die Bibel dabei heranzieht. Jeder von uns kann eine genauso „wahre“ Geschichte erfinden… Widersprüche in der Bibel sind Zeichen für eine schlecht konstruierte Lüge.

 

4.  Die Bibel enthält verschiedene Arten von Texten: Erzählungen, Sachtexte, Lieder, Gebete, Briefe, Visionen, Prophetenworte, Predigten… Aus der Form des Textes kann man darauf schließen, welche Texte als Sachtexte über objektive Wahrheiten geschrieben wurden und welche nicht. Außerdem kann man sich fragen, wer zu welcher Zeit mit welcher Absicht den Text geschrieben hat, auf welche aktuelle Situation er evtl. reagiert, wer die Zuhörer gewesen sein könnten usw. Man kann biblische Texte mit wissenschaftlichen Methoden (vor allem aus der Literaturwissenschaft und der historischen Wissenschaft, aber eher nicht aus den Naturwissenschaften) untersuchen. Fachbegriff dafür: Historisch-kritische Methode.

Daraus folgt: Wenn biblische Aussagen mit der modernen Wissenschaft nicht übereinstimmen, schaut man erst einmal, ob der Bibeltext überhaupt als wissenschaftliche Aussage gemeint war oder ob wir eine Frage an den Text herantragen, die dieser nie beantworten wollte. Falls der Text keine objektive Wahrheit über die gleiche Fragestellung verkünden wollte, stellt sich das Problem nicht, weil beide Aussagen „wahr“ sein können.

Unser Beispiel: Ist der (so genannte!) „Schöpfungsbericht“ in 1. Mose 1 wirklich ein Sachtext? Will er die Frage beantworten „Wie lange hat Gott gebraucht, um die Welt zu schaffen?“ Oder steckt eine andere Absicht dahinter, die in dafür passende Form gebracht wurde? In welcher Zeit, mit welcher Absicht entstand der Text, welche Frage beantwortet er, wenn es nicht die „erdgeschichtliche“ ist? Im Zweifelsfall eine theologische Frage, aber welche? Kommt Ihr drauf? Oder braucht ihr weitere Informationen?

Daraus folgt für theologische Gespräche: Wenn ich die Bibel als „Beweis“ für angebliche objektive Wahrheiten heranziehen will, brauche ich sehr viele Hintergrundinformationen… Die Texte erschließen sich mir nicht durch das bloße Lesen, ich brauche Begleitmaterial, um sie zu interpretieren. Wenn ich weiß, was drinnen steht, weiß ich, was jemand zu einer anderen Zeit für aufschreibenswert hielt – das sagt noch nichts über die „Wahrheit“ (es kann aber sehr sinnvoll sein).

Wenn es zu einer Fragestellung einen biblischen Bezug gibt, geht das Gespräch weiter, denn ich kann mir eine Meinung zu der Meinung bilden, nach Vergleichspunkten zwischen damals und heute fragen, verschiedene Ansichten durchdenken… und werde vermutlich nicht zu einer „objektiv wahren“ Lösung für die Frage kommen, aber erheblich schlauer sein als vorher.

Das allein ist aber zu wenig, denn was Menschen vor 2000 Jahren mal gedacht haben, könnte mir ja ganz egal sein. Ein rein (theologisch-)wissenschaftlicher Umgang mit der Bibel wird ihr auch nicht gerecht. Aspekte aus Lösung 5 sollten dazukommen (siehe unten).

5.   Die Bibel enthält eine andere Art der „Wahrheit“: Was darüber über Gott und die Menschen gesagt wird, kann sich auch in meinem Leben als „wahr“ erweisen. Ob es für mich wahr, hilfreich, tragend… ist, erweist sich in konkreten Lebenssituationen. „Objektiv“ ist diese Art der Wahrheit deshalb nicht, weil man jede Situation auch anders deuten könnte. Genauso wenig ist diese Art der Wahrheit aber objektiv widerlegbar. Letztlich ist es eine Sache der eigenen Entscheidung, ob ich für die Deutung meines Lebens annehme, dass es Gott gibt und er mit mir eine Geschichte hat, so wie er mit den biblischen Menschen (und den Schriftstellern, die über sie schrieben) eine Geschichte hat – oder ob ich annehme, dass das nicht so ist. Beides kann man nicht beweisen.

Daraus folgt: Wenn ich biblische Texte lese, frage ich: Was ist darin für mich „wahr“ – was spricht mich an, was ist relevant für mein Leben? Die meisten Texte der  Bibel wurden geschrieben, um solche Denkprozesse auszulösen, nicht um objektiv zu informieren.

Unser Beispiel: Welche Relevanz hat es für Dein Leben denn, ob es 7 Tage, 7000 Jahre oder länger gedauert hat, bis die Welt fertig geschaffen war? Ist es nicht viel wichtiger, ob…

  • … Du selber ein Produkt eines blinden Zufalls bist oder ob es jemanden gibt, der will, dass es dich gibt und dass Du individuell bist?
  • … alle Menschen mit gleicher Würde geschaffen sind – und nicht die Herrschenden als „Abbild Gottes“ persönlich gelten, während die Mehrheit der Menschen zum pausenlosen Dienen gemacht sind (so wie es die Menschen damals dachten, als der Text entstand)?
  • …  Menschen „als Mann und Frau“ geschaffen wurden, also ebenfalls gleich an Würde, wenn auch als zwei Varianten des Wesens „Mensch“?
  • … Mond, Sonne, Sterne usw. keine Götter sind, die man bei Laune halten muss (wie man damals glaubte), sondern nur so etwas wie „Lampen am Himmel“, also Gegenstände im weitesten Sinne? Wir kämen schon gar nicht mehr drauf… was auch dem Einfluss dieses Textes zu verdanken ist.

Für theologische Gespräche folgt: Wir tauschen uns über die Bedeutung von biblischen Impulsen für uns persönlich aus. Wir fragen nach dem, was uns anspricht und für unser Leben etwas bedeuten könnte. Manche Geschichten sprechen die eine an und die andere nicht, manche Texte sagen mir jetzt nicht so viel, aber das kommt vielleicht noch, und andere bleiben mir ganz fremd. Das ist ganz normal so. Jedenfalls geht es darum, dass ich in einen gedanklichen Austausch mit dem jeweiligen Text komme. Dafür muss ich nicht unbedingt alle Hintergrundinformationen haben – es hilft aber, wenn ich Deutungen ausschließen kann, die nur aufgrund von Denkgewohnheiten zustande kommen und mit der ursprünglichen Absicht nicht vereinbar sind.

Auf dieser Basis ist übrigens eine Verständigung zwischen denen möglich, die jeden Satz wörtlich nehmen und denen, die eher nach der ursprünglichen Aussageabsicht fragen: Beide können darüber nachdenken, was  ein Textausschnitt für sie persönlich bedeuten kann. Es ist aber nicht das Ziel eines Gespräches, dass wir am Ende eine Aussage treffen, die „objektiv“ für jeden wahr ist – schon weil jeder von uns in einer anderen Lebenssituation ist, andere Prägungen mitbringt usw., ist dies sehr unwahrscheinlich und eher die Ausnahme.  Dennoch ist der Austausch sinnvoll, weil er deine und meine Perspektiven erweitert.

(FSS 12 A, 15. 11. 13)

 

Diese Impulse kamen sämtlich aus der Gruppe, jeder hat mindestens eine/n Vertreter/in, ich habe von mir aus nur bei 5. ein paar Formulierungen beigesteuert und für die Struktur gesorgt. Die Thesen wurden intensiv hin und her bewegt, von allen Seiten beleuchtet und abgewogen. Die zahlreichen biografischen Bezüge und lebenspraktischen Beispiele habe ich weggelassen – der Gruppe sind sie aber deutlich im Ohr. Und in folgenden Gesprächen beziehen sich die Schülerinnen nun oft von sich aus (oder auf einen Tipp hin) auf die 5 grundsätzlichen Möglichkeiten zurück und ziehen ihre Schlüsse daraus.

Ich bin von der Ernsthaftigkeit und dem Tiefgang der Auseinandersetzung sehr beeindruckt (Kompliment an die Klasse, falls jemand mitliest!). Und stark im Zweifel, ob dies möglich gewesen wäre, wenn ich Ähnliches als „Fremdtext“ eingereicht hätte. Eine Schülerin hat es auf den Punkt gebracht: „Wir könnten unsere Schulbücher selber schreiben!“ Wohl wahr…

Ich würde gern weiter nach Impulsen suchen, die dabei helfen, in so einen gedanklichen Flow hineinzufinden. Wenn die eigenen echten Fragen erst mal auf dem Tisch liegen, läuft es fast von selber weiter… aber dass sie wahrgenommen und ausgesprochen werden, ist sicher nicht selbstverständlich.

Für die Gruppe wird es demnächst weiterführend darum gehen, einen Schritt zurückzutreten – zu reflektieren, warum uns die Gespräche so spannend erscheinen (tun sie wirklich) und wie man sie lebendig halten kann – und dann selber zu lernen, wie Moderation geht, denn das ist ja die Fachkompetenz… sehr spannend!

Die Lernsituation dazu (Beispiel aus der letzten Abschlussprüfung):

„Du sitzt mit einigen Jugendlichen im Aufenthaltsraum des Heims, in dem Du Dein Berufspraktikum absolvierst, in der gemütlichen Sofaecke. Ihr plaudert über dies und das. Im Lauf des Gespräches kommt Ihr ungeplant auch auf religiöse Themen, und zwar auf Fragen, die Jugendliche sich in der Pubertät häufig stellen.“

(Kompetenz: Religiöse Fragen und Äußerungen von Kindern/Jugendlichen verstehen, anregen und begleiten)

Wochenaufgabe 4 (Start)

Hallo openreli,

also gut, ich versuch´s mal. Inzwischen hab ich genug Kommentare, Twitterbeiträge usw. gelesen, um so ungefähr ein Bild davon zu haben, was vielleicht nützlich sein könnte. Mir schwebt vor,

  • Euch exemplarisch von unserem Unterrichts-Gedankengang in einer Klasse zu erzählen,
  • meine Vorüberlegungen, konzeptionelle Kommentare und Reflexionen einzustreuen
  • auch in Auseinandersetzung mit dem, was mir hier an Kriterien, Beispielen und Entwürfen begegnet
  • und Beispiele für hilfreiche Materialien an passender Stelle einzufügen
  • sowie ggf. auf Eure Kommentare, Rückfragen, Kritik zu reagieren. Ich hoffe, Ihr gebt mir Anlässe dazu 😉

Ich hab die Klasse heute gefragt, ob ich (in aller Vorsicht)  über unseren Unterricht bloggen darf ;-). Ich darf. Unterdessen lerne ich vermutlich, wie das mit Dateien, Fotos etc. geht.  Also los…

Zunächst das Nötigste zur Klasse: Ich erzähle aus einer Altenpflege-Mittelstufe, die ich im ersten Ausbildungsjahr nach drei Wochen abgeben musste und nun für 2 Jahre wieder übernommen habe. Der Unterricht ist geblockt, d. h. wenn die Klasse im Haus ist, haben wir 4 Wochenstunden (rechnerisch 1 Doppelstunde) , dann aber wochenlang wieder gar keinen Unterricht. Bitte nicht gleich aussteigen – was ich hier „erzählen“ werde, ging letztes Jahr vergleichbar auch in rechnerisch nur einer Wochenstunde, mit der Hälfte an „Outcome“, aber nach den gleichen Prinzipien. Die Gruppe besteht aus 31 Personen im Alter zwischen 18 und 50+ Jahren, ist religiös und konfessionell bunt gemischt und bringt vielfältige Vorerfahrungen, frühere Ausbildungen, familiäre Kontexte etc. mit … aber das kennt Ihr ja vermutlich auch, sofern Ihr an einer BBS/am Berufskolleg eingesetzt seid.

Am Dienstag hatten wir die (neu-)konstituierende Stunde (eine Einzelstunde, donnerstags haben wir einen Dreistundenblock, was ich als ungewohnten Luxus empfinde). Vorsichtig formuliert war der Empfang wenig überschwänglich, die Klasse hatte im ersten Jahr Unterricht unter verschäften Bedingungen erlebt (eine Einzelstunde je Woche an ausfallfreundlichen Tagen – da kann man kaum sinnvoll arbeiten, aber wem sag ich´s…) und brachte mir entsprechende Skepsis entgegen. Das Gefühl von „4 Stunden Reli pro Woche- was für ein Luxus!“ war also recht einseitig ;-).

Wir haben uns deshalb verhältnismäßig viel Zeit genommen, um vor allen Ausbildungsinhalten miteinander zu klären, was denn – Hilbert Meyer hin oder her – für die Schülerinnen und Schüler eigentlich „guter Unterricht“ ist.  Also ein Einstieg auf der Metaebene: Welche Bedingungen helfen uns beim Lernen, wie sollte Unterricht arrangiert sein, was erwarten, wünschen, fürchten wir, wie wünschen wir uns die Person der Lehrerin und unsere Beziehung zu ihr?

Methodisch sind wir zwei Schritte gegangen:

Nach einer ersten Kennenlernrunde haben wir für einen Rückblick auf das erste Jahr zunächst mit einem Material der Firma Metalog (kann man googeln) gearbeitet: „Moderationsbälle“. Das sind handliche bunte  Schaumgummiteile mit Symbolcharakter, mit denen man alle möglichen Einstiegs- und Reflexionssituationen gestalten kann. Ich finde sie auch deshalb toll, weil man sie werfen kann, ohne dass jemand verletzt wird – so funktionieren sie wie „Sprechsteine für Erwachsene“. Praktisch ging das so: Eine Freiwillige zieht einen Moderationsball auch einem Beutel – ich verlese den passenden Impuls – die Freiwillige äußert sich zuerst dazu, dann darf jeder, der will – der Ball wird zugeworfen, und wer ihn hat, hat das Wort. Unsere Beispiele: Der Schlüssel für „Eine Schlüsselerkenntnis war…“, das Herz für „Das habe ich erlebt/gefühlt…“, die Glühbirne für „Welcher Geistesblitz war wichtig?“ – und dann der Eisbrecher für diese Gruppe: Der Schraubenschlüssel für „Welches Handwerkszeug möchte ich mitnehmen?“ es gibt noch etliche andere Bälle, aber der hier hat uns zum Kern gebracht, und danach waren wir heftig im Gespräch über „Was bringt Religion an der BBS/ in der Altenpflegeausbildung?“. Wunderbar… wenn auch immer noch verhaltener, als ich es gewöhnt bin.

Am Donnerstag haben die Schülerinnen und Schüler in Gruppen Plakate unter der Überschrift „Guter Unterricht“ vervollständigt. Diese Phase haben einzelne Gruppen bereits genutzt, um mir etwas konkreter ihre Einstellung zum Reliunterricht zu erläutern. Die Ergebnisse haben wir anschließend verglichen, erklärt, mündlich mit Beispielen angereichert usw. und so nach und nach einen Klassen-Konsens hergestellt. Für mich war das gleichzeitig eine Gelegenheit, eine Unzahl an Fragen zu meinem „Stil“ zu beantworten (O-Ton am Dienstag: „Was haben Sie denn für Unterrichtslaster?“ – gemeint waren die typischen Lieblings-Methoden…) und viele kleine Verabredungen auszuhandeln.

Falls jemand mal gucken will (und falls ich es technisch gebacken kriege) hier unsere Plakate … nö, klappt nicht, da hab ich jetzt keine Geduld für – schade!!!Ha, jetzt doch… am Ende dieses Beitrags solltet Ihr das anklicken können, und es öffnet sich ein Dokument. Hoffentlich. Die Bilder an sich wollten nicht eingefügt werden.

Also, für alle Fälle: Das stand drauf:

Guter Unterricht…

  • ist informativ
  • ist gut strukturiert
  • ist verständlich
  • macht Spaß
  • ist abwechslungsreich  – aber ohne Rollenspiele, ohne Plakate,  ohne Einzelreferate, mit wenig Gruppenarbeit
  • bedeutet faire Benotung
  • ist von respektvollem, angemessenem Umgang miteinander sowie Meinungsfreiheit geprägt
  • bezieht alle mit ein
  • lebt von passendem Zeitmanagement (keine überlangen Präsentationsphasen, genug Zeit zum Verstehen und zur Reflexion, Klarheit bei Abgabeterminen)

Ausdrücklich gewünscht werden…

  • Gelegenheit zu selbstständigem Arbeiten
  • Möglichkeit der Mediennutzung im Unterricht
  • vielfältige, auch kreative Arbeitsanregungen
  • Aufgaben mit Ausbildungs- bzw. Praxisbezug, wenn möglich mit praktisch einsetzbaren Handlungsprodukten
  • Wahl von Präsentationsmöglichkeiten
  • gemeinsame Feiern
  • Exkursionen

Die Gesprächsschwerpunkte und Verabredungen:

Zur Aufgabenkultur: Hier haben wir die Wünsche aus der Klasse eher noch erweitert. Es wird vielfältige Aufgabenstellungen und Angebote geben, aber immer auch den „Joker“ („Stellen Sie sich selbst eine Aufgabe“). Wir entscheiden gemeinsam, welche Aufgaben alle aus der Gruppe lösen sollten und wo Spezialisierungen möglich sind. Der Arbeitsplan wird gemeinsam entwickelt. Berufsbezug ist selbstverständlich, es darf aber auch um eigene Fragestellungen gehen. Hauptsache (O-Ton): „Echte Probleme, realistische Situationen“ – keine künstlich konstruierten Beispiele, sondern entweder wirklich erlebte Situationen oder solche, in die wir vermutlich tatsächlich kommen werden. Die Klasse ist außerdem bereit, auch schrägere Ideen, Methoden und Vorgehensweisen zu erproben und mir dazu Rückmeldungen zu geben. Blog inklusive.

Zu den Sozialformen: Auch hier wird in aller Regel eine freie Wahl möglich sein – wenn die Aufgabe nicht aus sich heraus Kooperation erfordert, ist Einzelarbeit okay, Partner- und Gruppenarbeit ebenfalls. Plenumsphasen wird es geben, wenn sie passen, aber nicht als Regelfall. Wichtig sind uns Phasen wechselseitigen Lehrens und Lernens (sie ersetzen oft die üblichen „Präsentationen“ und Referate).

Zu den Noten: Die Klasse lässt sich auf mein pädagogisches „Experiment des Jahres“ ein und erprobt mit mir statt der klassischen Noten ein Punktesystem. Dies bietet viele Vorteile (wie mir die Schülerinnen übrigens von sich aus erläutert haben, ohne dass ich großartig werben musste) und erweitert die kreativen Möglichkeiten enorm. Dazu blogge ich sicher später mehr, aber besser erst, wenn ich die Anschauungsmaterialien für diese Gruppe fertig habe 😉

Zur Stimmung/Umgang/Beziehungen: Da war ich verblüfft – hinter dem häufig genannten „Respekt!!!“ verbarg sich weniger der Wunsch, respektiert zu werden, als der dringende Wunsch, es mit einer „Respektsperson“ zu tun zu haben. Aaaah ja… ??? Das Bedürfnis dahinter hat mir dann völlig eingeleuchtet: Man erwartet von mir, einen Rahmen für konzentrierte Arbeit schaffen und aufrechterhalten zu können – vor allem aber authentisches Auftreten: keine unechte Strenge, aber auch kein unechter Humor, keine künstlichen Versuche, mich beliebt zu machen (oder unbeliebt), kein Versuch, die Tagesform zu verbergen oder sonst irgendwie eine Rolle zu spielen. Überblick, Fairness, Klarheit. Viel Verständnis, aber nicht „weichgespült“. Dazu möglichst ein Gefühl dafür, wann strukturierendes Eingreifen passend ist und wann Freiraum für eigene Wege gelassen werden sollte (möglichst oft, aber nicht so, dass man sich verliert).

Zur Metakognition: Das alles werden wir erproben und regelmäßig miteinander abgleichen, was wirkt, was nicht wirkt und was unerwünschte Wirkungen hat – ob das mit den Punkten funktioniert – welches Maß an Struktur für uns passt – wer wem mit welchem Verhalten auf den Keks geht etc. pp. Und wir werden darüber sprechen (Wunsch aus der Gruppe, ich schwöre!), wer welche Bedingungen zum Lernen braucht, wer sich selber was vornimmt, welche Lernwege und Aufgaben zu wem passen, wer welches Expertenwissen oder welche Kontakte zu Experten einbringen kann und wer welche gezielte Unterstützung benötigt.

Insgesamt hat es drei Unterrichtsstunden gekostet, diesen Punkt zu erreichen. Die Stimmung hat sich im Lauf des Gespräches nach meiner Wahrnehmung völlig gedreht, die Beteiligung ist sprunghaft angestiegen, der Grad der Konkretheit hat zugenommen. Und aufwändig war das nicht: Es hat vier Impulse auf der Symbolebene gekostet (die Moderationsbälle, die man auch durch Bilder oder sonstwas ersetzen könnte) und fünf vorstrukturierte Plakate (die ich nachher bestimmt noch als Foto eingebaut kriege…) – die zu malen war eigentlich die einzige echte „Vorbereitung“. In der Stunde hab ich nur moderiert und Fragen beantwortet – das war überhaupt nicht anstrengend, sondern sehr anregend.

„Kompetenzorientiert“ – ja, klar: Sich selber überlegen, was am Ende herauskommen soll, was wir können wollen und wie wir da am besten hinkommen ist ja quasi Kompetenzorientierung in Reinkultur… Solche Phasen auf der Metaebene sind mir sehr wichtig, in vieler Hinsicht.

Ich erzähle das alles so ausführlich, weil ich gedanklich immer noch an der Aufgabe hänge, das Drübecker Modell „einzuschätzen“ und Hilbert Meyers Kriterien zu bedenken. Manches deckt sich mit dem, was meine Schülerinnen sich für „guten Unterricht“ wünschen, zumindest als Ausschlusskriterien: Wenn der Lehrer wirres Zeug redet, die Hälfte der Stunde für Organisatorisches draufgeht oder gleich ganz im Chaos versinkt, kann das kein „guter Unterricht“ sein.  An einigen Stellen sind die Schülerinnen meiner Ansicht nach aber einen Schritt weiter (und damit zu meiner großen Freude näher an meinem eigenen Konzept als an den Kriterien, die mir zur Einschätzung aufgetragen sind…).  Ich persönlich glaube, dass der Unterschied, dieser eine Schritt weiter,  den Knackpunkt ausmacht, an dem sich entscheidet: Ist Kompetenzorientierung ein weiterer Anspruch, den ich zu den 10 Kriterien hier und 12 Kriterien dort nun auch noch zusätzlich erfüllen soll – oder kann die neue Orientierung mich und die Lerngruppen entlasten und die Dinge in einen natürlichen Fluss bringen.

Aber dazu später mehr, ich will jetzt noch was anderes arbeiten…

Guter Unterricht Plakate

Für alle, die auch solche Plakate wollen: Hier die Vorlage zum Abzeichnen. Schrift und Rahmen leben davon, dass man gar nicht erst versucht, das gerade und ordentlich hinzukriegen – locker aus dem Handgelenk reicht völlig. Die Farbe (mit 2 Grundfarben + Akzentfarbe für jeden Buchstaben) hält dann alles zusammen… Viel Spaß!

Plakatvorlage

… ach ja: Hier noch ein erstes Muster einer Aufgabe, die die Klasse als „ganz nett“ in Erinnerung hatte – wenn nicht die 31 Präsentationen gewesen wären (das kann man alles auch in 45 Minuten „Ausstellung“ zur Kenntnis nehmen, und sogar noch andere Klassen dazu einladen, damit es Sinn macht!). So sahen meine Arbeitsblätter vor ca. 2 Jahren aus. Später mehr…

Lernsituation B 1 Herrn Schulzes Schatzkiste

 

Wochenaufgabe: Kompetenzorientierter Unterricht

Hallo Openreli,

nun brüte ich schon seit Tagen über der Frage, wie ich meine Überlegungen zum kompetenzorientierten RU in knappe Worte fasse (knappe Worte sind nicht meine Stärke, fürchte ich)… und weil mich das inzwischen bei den anderen Dingen aufhält, die es hier auch noch zu entdecken gäbe, habe ich mich zu einer „schnellen“ Lösung entschieden. Mit dem  folgenden Text  zitiere ich mich quasi selbst, es handelt sich um einen leicht überarbeiteten Auszug aus einem Beitrag für das BRU-Magazin 55/2011 („Geht nicht“ gibt´s nicht – Religion und Handwerk, S. 28 f.).

Ist zwar schon eine Weile her, aber am Prinzip hat sich nichts geändert, ich unterschreibe das auch heute noch 😉 Wenn manche Stellen nicht haargenau passen, verzeiht Ihr mir das sicher, oder? Außerdem sieze ich meine LeserInnen – und ich hab gerade keine Lust, das alles zu ändern, okay?

Der Originalartikel enthält übrigens auch noch ein Unterrichtsbeispiel und allerlei Arbeitsblätter. Die lasse ich hier weg – demnächst beginnt ja die Produktionsphase, da gibt´s dann passgenaue Beispiele für die Openreli-Lernsituation.

Also, los geht´s:

„Wozu brauche ich an der Berufsschule Religionsunterricht? Was bringt mir das, was wir hier machen? Was hat das mit mir und meinem Leben zu tun?“ Haben Ihre Schülerinnen und Schüler Sie das auch schon gefragt?

Mir begegnen diese Fragen häufiger, vor allem zu Beginn in einer neuen Lerngruppe – ausgesprochen oder nur von den Stirnen abzulesen, mit eher neugierigem oder eher abwehrendem Beigeschmack, je nachdem. Und ich finde: mit welchem Unterton auch immer – die Fragen sind völlig legitim. Natürlich will ich als Schülerin zu Beginn wissen, wo die Reise hingeht, natürlich investiere ich nur Energie, wenn sich das für mich spürbar „lohnt“, natürlich muss es Antworten geben, die über „Ihr braucht das für die gute Note!“ hinausgehen, damit ich mich engagiere, statt nur die Zeit irgendwie herumzubringen.

Das ist kein neuer Gedanke, denn haben wir uns im Religionsunterricht nicht immer schon an den Fragen und Themen unserer Schülerinnen und Schüler orientiert? Haben wir nicht immer schon gemeinsam gefragt „Was können wir hier lernen?“? Was ist daran „kompetenzorientiert“?

Die Orientierung des Unterrichts  entscheidet sich meiner Ansicht nach bei der anschließenden, konkreteren Frage. Diese lautet nämlich nicht “Worüber möchten Sie gern sprechen? Was interessiert Sie?“, sondern entweder „Was möchten Sie am Ende des Unterrichts gern besser können als heute?“ oder „In welche Lebenssituationen werden Sie kommen, in denen Ihnen der Religionsunterricht weiterhelfen könnte?“.

Wenn wir gemeinsam so fragen,  zielt die Antwort nicht nur auf Themen ab, über die man gut 45 oder 90 Minuten lang miteinander sprechen kann, ohne sich allzu sehr zu langweilen. Sie zielt auch nicht auf einen „Schatz des Wissens“ ab, den wir fortan im Kopf mit uns herumtragen und zu dem wir bei Bedarf eine Meinung äußern können. Natürlich geht es im Unterricht auch um Inhalte, um Kenntnisse, um religiöse Sachfragen und um Meinungen – aber dieses Wissen steht in engem Zusammenhang mit Fähigkeiten, mit einer Erweiterung der eigenen Denk- und Handlungsmöglichkeiten in realen Situationen des beruflichen, persönlichen und gesellschaftlichen Lebens. „Was kann ich am Ende besser, und wozu kann ich das gebrauchen?“ ist die zentrale Frage des kompetenzorientierten Unterrichts.

Und wie lauten die Antworten? Was ist das, was unsere Schülerinnen und Schüler anschließend besser können? Was kann jemand, der „religiös kompetent“ ist?

Unser neuer Lehrplan für den BRU in Rheinland-Pfalz orientiert sich an „Grundlegende Kompetenzen religiöser Bildung“ aus dem Comenius – Institut (Münster 2006), siehe auch BRU-Magazin 46, S. 17. Diese Kompetenzen beschreiben, was jemand können kann, der religiös kompetent ist: die eigene Überzeugung begründet vertreten, mit religiöser Sprache umgehen, sich mit anderen religiösen Überzeugungen auseinandersetzen und vieles mehr, insgesamt 12 grundlegend wichtige Fähigkeiten, die im Religionsunterricht entwickelt werden können.

Die vollständige Übersicht finden Sie unter http://ci-muenster.de/biblioinfothek/open_access/oa_bildung22.php

Eine solche Auflistung allein beantwortet allerdings die Ausgangsfrage nur unzulänglich. Die Frage „Was nutzt mir diese Kompetenz – wozu brauche ich sie?“ ist noch immer offen. Sie muss beantwortet werden, denn Kompetenz gibt es nicht „an sich“, und sie ist nicht „an sich“ nützlich – Kompetenz ist immer die Kompetenz zum Lösen eines Problems, zu kompetentem Verhalten in einer konkreten Situation. Deshalb überzeugt mich der Vorschlag, solche Situationen des beruflichen, persönlichen und/oder gesellschaftlichen Lebens zum Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt des Religionsunterrichts zu machen.  Dabei  geht es um (wahrscheinlich) tatsächlich auftretende Probleme, die von den Schülerinnen und Schülern möglichst kompetent gelöst werden müssen. Diese „Lernsituationen“ sind nicht nur der Aufhänger zu Beginn einer Unterrichtsreihe, sondern sie tragen den gesamten Gedankengang vom ersten bis zum letzten Schritt und vor allem im Kern.

Dabei ändert sich meine Rolle als Lehrkraft: Nicht ich stelle die Aufgaben, weil ich mein Wissen unter die Leute bringen möchte. Das Leben stellt die Aufgaben, die Schülerinnen und Schüler lösen sie bzw. bereiten sich darauf vor. Wir sind als Lehrerinnen und Lehrer dabei mit ihnen verbündet und tragen mit unserer Begleitung, bei Bedarf auch mit unserer Lebenserfahrung und unseren Kenntnissen zu ihrem Lernprozess bei.

Damit die Schülerinnen und Schüler im Unterricht tatsächlich die Möglichkeit haben, ihre religiösen Kompetenzen zu entwickeln, steht die Lösung des Problems im Zentrum des Unterrichts. Die Lernsituation ist also nicht nur der Appetithappen zu Beginn, sondern vor allem der Mittelpunkt. „Was kann ich tun, um in der vorgestellten Situation (in der ich mich befinde oder bald befinden könnte) möglichst gut zurechtzukommen?“ ist die Kernfrage. Andere Fragen sind dieser zentralen Frage zugeordnet: „Welche Informationen brauche ich zur Lösung des Problems, welche Vorgehensweisen sind möglich, welche davon wähle ich aus?“ – das sind die Fragen, die vor der Problemlösung geklärt werden müssen. Die ausgewählte Lösung wird so weit wie möglich umgesetzt, also mindestens präsentiert und diskutiert, besser noch tatsächlich praktisch erprobt. Anschließend folgen „Wie kann ich einschätzen, ob meine Problemlösung erfolgreich war?“ und „Was habe ich bei der Bearbeitung des Problems gelernt, und in welchen weiteren Lebenslagen kann ich die Fähigkeiten sonst noch gebrauchen?“

Die so entstandene Schrittfolge ist „natürlich“ – im Leben außerhalb der Schule handeln wir ständig so, bewusst oder nicht. Ich lese das Rezept, beschaffe die Zutaten, entscheide über die Reihenfolge der Arbeitsschritte – dann schnipsele ich,  werfe alles in Topf und Pfanne, rühre um, würze etc. – und anschließend probiere ich, ob das Ergebnis schmeckt und überlege, was ich beim nächsten Mal besser machen kann. Ich lese die Bedienungsanleitung, entwickle ein inneres Bild von dem, was zu tun ist, ich entscheide über die Vorgehensweise – dann schließe ich das Gerät an oder baue das Möbelstück auf oder was auch immer – und anschließend teste ich, ob alles funktioniert wie gewünscht. Dann bin ich zufrieden oder um eine Erfahrung reicher, aus der ich beim nächsten Kauf meine Schlüsse ziehen werde. Und fertig! Die Handlung ist „vollständig“, wenn alle Schritte durchlaufen sind.

Dass diese Abfolge für Handwerker wichtig ist, für Pflegekräfte, für alle praktischen Alltagstätigkeiten, bei denen ein Ziel verfolgt und ein Ergebnis hergestellt wird, das leuchtet vermutlich auf Anhieb ein. Ein Handwerk lerne ich selbstverständlich nicht, indem ich einem Vortrag darüber lausche, wie man´s macht. Theoretisch die Arbeitsschritte aufzählen zu können ist das eine, aber das reicht bei weitem nicht. Schwimmen lerne ich nicht durch Beschreibung von Bewegungsabläufen. Die muss ich kennen, schon klar, aber sie sind nicht der Kern, denn eigentlich geht es darum, mich praktisch über Wasser halten zu können. Kochen lerne ich nicht, indem ich ein Kochbuch lese. Die Rezepte gehören dazu, und es ist gut, sie zu kennen. Aber sie im Kopf zu haben macht mich nicht zur Köchin – ich lerne kochen, indem ich etwas tue, indem ich ausprobiere, abschmecke, auch mal ein Gericht versalze… und so auf der Basis von  selbst gemachten Erfahrungen immer kompetenter werde.

Die Orientierung unserer Unterrichtsplanung an diesen Schritten der „Vollständigen Handlung“ ist für uns ReligionslehrerInnen möglicherweise zunächst befremdlich.        Dass es beim Erlernen eines Handwerks um Kenntnisse, Planung, Ausführung und Ergebniskontrolle geht, ist leicht vorstellbar. Dass auch religiöse Kompetenz auf diese Weise entwickelt wird, ist weniger offensichtlich.  Dass auch Religion auf Tätigkeit abzielt, dass auch die Konstruktion einer Vorstellung von Welt, Mensch, Gott, gutem Leben etwas „herstellt“ (ein Weltbild, ein Menschenbild, eine Idee von Gott, Entscheidungen, praktische Konsequenzen) und auf Lebenspraxis hinausläuft, liegt nicht ganz so klar auf der Hand. Die Gegenstände, mit denen wir uns befassen, sind weniger handgreiflich als andere, und doch muss es auch in unserem Unterricht um den Umgang mit brauchbarem „Handwerkszeug“ gehen, wenn er  nachhaltig sein soll.

Dabei handelt es sich nicht um eine Reduktion, als sei die Theologie auf das zusammenzukürzen, was sich „verwerten“ lässt. Meiner Erfahrung nach geht es eher um eine notwendige Erweiterung, die einer Reduktion der Theologie auf das rein Informative, womöglich „Richtige“, jedenfalls auf „Reden über…“ entgegenwirkt.

Von mir kann ich das jedenfalls so sagen: mein eigener (auch vorher sicher nicht schlechter) Unterricht hat sich durch die Orientierung an dieser Schrittfolge noch einmal spürbar verbessert. Ich habe, seit ich mit diesem Modell arbeite, selber viel gelernt. Mir erschließt sich mehr und mehr, wie organisch der Gedankengang ist, wie viele Spielräume er eröffnet und wie die Schülerinnen und Schüler davon profitieren. Außerdem wird meine Planung entlastet, weil sich aus der Kombination  der Lernsituation mit den Schritten der vollständigen Handlung vieles von selbst ergibt, über das ich früher lange gegrübelt habe. Inzwischen verbringe ich nicht mehr viel Zeit damit, beinahe perfekte Arbeitsblätter zu erstellen (obwohl das eigentlich ein Hobby ist…), sondern entwickle vieles im gemeinsamen Tun mit der Lerngruppe, folge ihrer Dynamik und ihren Ideen, unterstütze und berate. Schließlich geht es ja darum, dass die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Ausbildung die auftretenden „Situationen“ auch ohne meine Anleitung kompetent bewältigen können – also arbeiten wir gemeinsam darauf hin, ihnen dies zu ermöglichen. Das ist übrigens auch mein Kriterium für die Methodenauswahl – noch so ein Hobby, über das ich drei Tage am Stück bloggen könnte… aber nun reicht´s erst mal!

Es hilft sowieso nichts, davon nur zu berichten. Auch was unsere eigene religionspädagogische Kompetenz betrifft, gilt ja: wir lernen nur dazu, indem wir selber etwas tun. Also: Ich freue mich auf die „Produktionsphase“…

Schöne Grüße in die „Welt“

Marion