Religion in the Roman Empire

Jörg Rüpke; Greg Woolf (Eds.): Religion in the Roman Empire

(Die Religionen der Menschheit, Band 16).

Stuttgart: Kohlhammer 2021.

560 Seiten.

ISBN 978-3170292246.

73 €

 

Eine neuartige religionswissenschaftliche Geschichte
der Religion im Römischen Reich

Eine Rezension von Christoph Auffarth

 

Kurz:
Eine ganz neue Art einer religionswissenschaftlichen Religionsgeschichte im Sinn der ‚gelebten Religion‘, verfasst von einem Team, das lange eigene und gemeinsame Vorarbeiten geleistet hat, die nötig waren für die Darstellung der Religion im römischen Reich.

 

Ausführlich:
In der Reihe, die alle Religionen der Menschheit darzustellen verspricht, ist nun der Band Religion in the Roman Empire erschienen. Der Titel vermeidet den Begriff Römische Religion, weil das mit dem lateinischen Begriff religio Romana verbunden ist, der aber nur einen Aus­schnitt umfasst, den der Eröffnung staatlicher Handlungen. Der Band will aber die Religion beschreiben, wie sie im Römischen Reich gelebt wurde. Das bedeutet, dass die verschiede­nen Kulte sowohl in der Stadt Rom als auch in den verschiedenen Teilen des Reiches einzu­beziehen sind, solche die eine Verbreitung an vielen Plätzen fanden als auch solche, die nur regional in den Provinzen ausgeübt wurden. Der deutsche Herausgeber, Jörg Rüpke hat schon jahrzehntelang Forschungsprojekte geleitet, die das Material zusammenstellten, vor allem aber auch alte Vorstellungen durch neue, religionswissenschaftliche Konzeptionen ersetzten. Dazu gehört das Konzept der Reichsreligion oder das der ‚gelebten Religion‘, der individualisierten Religion, das Ritual als Resonanzraum.[1] Der englische Herausgeber, Greg Woolf, war Professor für Altertumswissenschaften zuletzt in London und arbeitet jetzt an der Universität von Kalifornien.[2] Seine bahnbrechenden Bücher behandeln die Veränderung von Religion im Prozess von Migrationen (Mobility ist sein Terminus).

Ein Blick auf die vorhandenen Handbücher zur Religion der Römer war lange betrüblich, ganz in Gegensatz zu den herausragenden Büchern zur griechischen Religion, um hier nur die von Martin Nilsson, Walter Burkert und Jan N. Bremmer zu nennen. Immer noch benutzt wird das alte Handbuch von Georg Wissowa, das in der Tradition der ‚Kultusalterthümer‘ die einzelnen Gottheiten beschreibt, dann die Formen der Götterverehrung.[3] Die historische Linie konstatierte einen Einbruch fremder, nicht-römischer Elemente durch die Hellenisierung des Kultes (60-65) und den Verfall der Staatsreligion (70-72), schließlich die Zeit der Auflösung unter den Antoninen (Mitte des 2. Jh.s n.Chr.) und das Ende der römischen Religion (87-102), durch Individualisierung und das Eindringen ägyptischer und orienta­lischer Kulte. Das Buch, das Wissowas Handbuch ersetzen sollte, stand unter einem unglücklichen Stern. Der Autor Kurt Latte, ins Exil verjagt, das erste Manuskript verloren, veröffentlichte die Römische Religionsgeschichte 1960. Für die Religion im (östlichen Teil des) Römischen Reiches verwies er auf den zweiten Band der griechischen Religionsgeschichte von Nilsson. Das Verfallsschema ist gegenüber Wissowa sogar noch verstärkt, weil er von einer ursprünglichen Bauernreligion ausgeht, die durch fremde Einflüsse verdorben schließlich aus innerer Schwäche und Verlust an Sinnhaftigkeit von alleine unterging, sie war schon zu einem Ende gekommen, bevor die christlichen Kaiser Opfer und Tempelbesuch verboten. Erst der Doppelband Religions of Rome 1998 bot eine historische Darstel­lung.[4] Die acht Kapitel von Mary Beard, John North und Simon Price waren Teil der Cambridge Ancient History, also mit der historischen und kulturellen Entwicklung der römischen Geschichte verknüpft, unterschied sich von der weitgehend ahistorischen Darstellung in den deutschen Handbüchern. Besonders wertvoll ist der fast ebenso umfangreiche Quellenband mit literarischen und bildlichen Quellen. Anders als sonst meist sind Bilder und Rekonstruktionen mit Zahlen oder Pfeilen didaktisch aufbereitet, auch wenn damit das Bild ‚verunstaltet‘ ist.

In der Reihe der Religionen der Menschheit hatte der erste Herausgeber Christel Matthias Schröder schon einen Band geplant und vergeben, das Ergebnis aber nicht in die Reihe aufgenommen.[5] Dann gab es den Plan, dass die beiden Lehrer von Jörg Rüpke zwei Bände schreiben wollten, die von Schröder die Herausgabe der Reihe übernahmen, Burkhard Gladigow und Hubert Cancik. Es fehlten aber grundlegende Vorarbeiten, die dann in dem von Cancik und vor allem Jörg Rüpke geleiteten SPP „Römische Reichs- und Provinzialreligion“ vorankamen.

Im Max-Weber-Kolleg in Erfurt arbeiteten die elf Autor:innen des vorliegenden Bandes immer wieder zusammen, somit also eine echte Gemeinschaftsarbeit mit gemeinsamem religionswissenschaftlichem Ansatz. Dieser ist durchgehend bestimmt von der lived ancient religion (13-17), soll heißen, dass es keine normative römische Religion und die Entitäten ‚fremder Religionen‘ gab, sondern dass es ganz verschiedene Konfigurationen in einem römischen Rahmen gab, in denen das erhebliche investment (Aufwand und Ausgaben für Tempel, Organisation von Kult, Opfergaben) zur Kommunikation mit dem, was man als ‚Heilig‘ erklärt hatte, Ausdruck fand. Von diesen sehr unterschiedlichen Möglichkeiten eigneten sich selektiv und kreativ individuelle Akteure welche an und praktizierten Religion mehr als Erfahrung (experience) denn als eine feste symbolische Handlung.[6]

Der Band zur Religion im Römischen Reich kann auf intensiven neuen Forschungen auf­bauen. Das Hauptaugenmerk liegt nicht auf der Konkurrenz von Religionen und Kulten, was die professionellen Akteure gerne betonten, um Gruppen abzugrenzen und festigen. Religionen ‚von unten‘ gesehen sind Versuche, oft von wenigen Akteuren, eine Ordnung zu schaffen und Abgrenzungen, also nicht die unvollkommene Wiederholung eines normativen Systems von Seiten der Bürger. Die Menschen, die Religion praktizierten, waren nicht per se eine Gruppe, die sich einer Gruppennorm entsprechend verhielten. Vielmehr verkörperten sie in einem bestimmten öffentlichen Kontext Normen, wie sie sie sich vorstellten (imagined norms), und bildeten so eine Gruppe entsprechend der Bedürfnisse, Allianzen zu bilden, Unterschiede hervorzuheben, Mitglied sein zu wollen und andere auszuschließen. (16). Dieser Anspruch der Gruppen­zugehörigkeit, die durch situative Praktizierung von Religion, ausgedrückt wird,[7] beobach­ten Greg Woolf und Miguel John Versluys [2] am Reich/Imperium (25-42). Trotz des Opfer­zwangs, den Kaiser Decius im Jahre 250 dekretierte, um so Christen zu verfolgen, gab es keine Reichsreligion (als Mittel von Herrschaft),[8] auch der Herrscherkult war nicht zentral organisiert.[9] William van Andringa beobachtet [3] eine Stadt (Pompeji 43-60). Götter waren anscheinend überall, in der Öffentlichkeit, den zehn Heiligtümern, am Brunnen der Nach­barschaft, an Eingängen zu Läden, in den Häusern. Dazu kamen die Ahnen, die ebenfalls Verehrung verlangten. [4] Heiligtümer waren die kostbarsten Bauten, die Rubina Raja und Anna-Katherina Rieger (61-106) beschreiben, aber auch eine Höhle: Welche neuen Tempel und Götter kamen hinzu unter der römischen Herrschaft? Auch hier wieder: die Initiative ging in der Regel von den Provinzialen aus.[10] [5] Akteure mit ihren Kompetenzen beobachten Georgia Petridou und Jörg Rüpke (107-140): Priesterschaft ergab sich bei der Karriere der römischen Ämter, ohne „Ausbildung“. Andere religiöse Spezialisten lernten hingegen lange ihre Aufgabe wie die Divination. Dazu kamen die religiösen individuellen Unternehmer. Im Christentum bildete sich das Mon-Episkopat aus, ein Bischof leitete die Gemeinden einer Stadt. [6] Zur Kommunikation mit Göttern und anderen göttlichen Wesen bietet Heidi Wendt treffende Beispiele (141-166). Sie warnt vor einer Übertragung des (christlichen) Kon­zepts von Religion auf die Mediterranen Religionen. Statt von den Priestern und Tempeln auszugehen, sei der Zugang über die kleinen und alltäglichen Begegnungen sinnvoll, ohne hier die Kategorie des ‚Privaten‘ zu benutzen.[11] [7] Richard Gordon beschreibt, wie Ritual­spezialisten Krisen zu meistern helfen (166-209): Heilmittel wie Träume und Wässer, Orakel, dann die Bestattungsspezialisten, weitere kleinere Heiler und Hausmittel zur Selbsttherapie. Versluys und Woolf stellen Werkzeuge und Objekte im Ritual vor (210-233).[12] Texte und Wissen werden bedeutsamer, teils übernehmen sie sogar die Gruppenbildung und verdrängten Rituale (wie das Opferritual),[13] wie Kalender, Reflexion über Religion, Rituale in Erzählungen und Epen, und die Konfrontation von Gruppen, wie sie spektakulär in Prozes­sen und Bekenntnissen der Märtyrer ausgetragen wurden bis zum Toleranzedikt von 313 (Petridou und Rüpke 234-261). Gordon, Raja und Rieger behandeln das Thema Wirtschaft und Religion (262-305): Dieses Thema ist mangels quantifizierbarer Daten nur zu schätzen, aber das muss gleichwohl getan werden. Der Aufbau von Infrastruktur aus Kriegsbeute, gemeinsamer Finanzierung oder als Zeichen des Reichtums einer Familie, die Priesterschaft für die jahresweise wechselnden öffentlichen Personen und das Finanzieren von Festen und Opfern waren eher kostspielig und Zuschussgeschäft;[14] dem stehen Einkommen gegenüber, etwa durch das Pilgerwesen, dazu das Thesaurieren von Geldern. Ein Index erleichtert das Auffinden von behandelten Beispielen.

Damit ist dem Team nach vielen eigenen und gemeinsamen Vorarbeiten eine ganz neue Art gelungen, Religion im römischen Reich darzustellen. Nicht mehr Römische Religion gegen Provinzialreligion, öffentliche Religion gegen Magie und verbotene Rituale, nicht mehr römische Religion gegen Orientalische Religionen und Mysterienreligionen, nicht mehr Monotheismus setzt sich gegen Polytheismus durch, nicht mehr Offenbarungsreligion gegen Natur- oder Bauernreligion, nicht mehr die Verfallsgeschichte (eine starke Widerlegung S. 247), sondern praktizierte Religion als situative Gruppenbildung der Zugehörigkeit und Abgrenzung, aufwändige Kommunikation mit Gegenüber, die man als ‚heilig‘ erhöht über das Alltägliche – oder auch bestreitet. Das ist eine theoriegeleitete religionswissenschaftliche Religionsgeschichte, vorbildlich auch für andere historische Darstellungen.

Christoph Auffarth, Religionswissenschaft,

Universität Bremen

Januar 2022

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

 

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[1] Jörg Rüpke (*1962), in Tübingen bei den beiden Protagonisten einer altertumswissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Religionswissenschaft ausgebildet, promoviert und habilitiert, bei Hubert Cancik und Burkhard Gladigow, ist seit 1999 Professor an der Universität Erfurt und dort am Max-Weber-Kolleg in der Leitung immer neuer Forschungsprojekte mit international eingeladenen Forscher:innen. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist unglaublich umfangreich. Unter seinen Büchern sei nur genannt Die Religion der Römer. München: Beck 2001. Fasti sacerdotum. 3 Bände, Stuttgart: Steiner 2005. Die römische Religion in republikanischer Zeit. Rationalisierung und ritueller Wandel. Darmstadt: WBG 2014. Pantheon. Geschichte der antiken Religionen. München: Beck 2016.

[2] Greg Woolf (*1961) ist seit Juli 2021 Prof. an der UCLA in Los Angeles. Zuletzt leitete er als Direktor das Institute of Classical Studies in London. Unter seinen Büchern nenne ich nur Becoming Roman: the origins of provincial civilization in Gaul. Cambridge: CUP 1998. The life and death of ancient cities: a natural history. Oxford: OUP 2020.

[3] Georg Wissowa (1859-1931): Religion und Kultus der Römer. (Handbuch der klassischen Altertums­wissenschaft V.4) München: Beck 1902, ²1912. Wissowa war auch der verantwortliche Herausgeber der 83-bändigen Realenzyklopdie der Classischen Altertumswissenschaften, 1893-1978.

[4] Mary Beard, John North und Simon Price: Religions of Rome. Volume 1: A History. Volume 2: A Sourcebook. Cambridge: CUP 1998.

[5] Eine klare Haltung behielt CMS im Fall der Darstellung der Römischen Religion, die der französische Forscher George Dumézil geschrieben hatte, in dem nicht nur manche spekulative Behauptung über die indogermanische Herkunft, sondern auch seine rechte politische Haltung zum Ausdruck kam: La religion romaine archaïque, avec un appendice sur la religion des Étrusques (Payot) 1966. Schröder nahm das von ihm initiierte Buch nicht in die Reihe auf. Zu Dumézil hat die Zeitschrift für Religionswissenschaft ein Themenheft publiziert (1998).

[6] Replacing the reproduction of traditional religious norms (a process usually judged as incomplete and faulty) by the selective and creative ‘appropriation’ of indivdual actors is central. Its focus is on experience rather than on symbols. (15) A second focus is on culture in interaction rather than on habitus, organisation or culture as text. Religion in the making. (16) investment (11).

[7] Ein Meisterstück der Interpretation in diesem Sinne stellt der Abschnitt über das im 2. Jh. neu eingerichtete Orakel von Abonuteichos dar. Die fiktive Gerichtsrede des Lukian ist zwar auch böswillige Satire, aber auch Beschreibung von Möglichkeiten von doing religion und ihrer enormen Resonanz, die sich durch zahlreiche Belege des Kultes als realitätnah erweist (247-250).

[8] Der Satz – ohne meinen Zusatz – ist zu apodiktisch (S. 29). Zu den Anpassungsleistungen, die erforderlich waren, um Einzug halten zu können in die Religion (Spektrum von Religionen) des Reiches s. Auffarth: Mit dem Getreide kamen die Götter aus dem Osten nach Rom: Das Beispiel des Serapis und eine systematische Modellierung. in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 20(2012), 7-34.

[9] Das Problem das der Titel stellt, Religion im Singular, beißt sich mit dem Satz in diesem Kapitel: „There was, in short, no Imperial religion, no Reichsreligion and no Religionspolitik“. (29) Das ist zu differenzieren mit Jörg Rüpke: Reichsreligion? Überlegungen zur Religionsgeschichte des antiken Mittelmeerraums in römischer Zeit. In: Historische Zeitschrift 292(2011), 297-322. Es ist richtig, keinen bestimmten Artikel zu setzen (“die Religion“). Die Strukturen und Zensuren im Römischen Reich gaben Mobilität und Spielräume, aber auch Begrenzungen, so dass man von einer Religion im Römischen Reich (eine gemeinsame ‚Sprache‘) sprechen kann, aber nicht als Herrschaftsinstrument.

[10] “One had assumed for a long time that the Capitoline Triad of Iupiter, Iuno and Minerva was exported from Rome to the cities (new or old coloniae and municipia), today we rather see the local conditions of various elite groups striving to combine the old with the new” 74.

[11] Die Betonung religiöser Bedürfnisse seitens bestimmter sozialer Gruppen bei Wendt, Whose Roman Religion? 149. Die Götterbilder auf Münzen hatte schon Burkhard Gladigow beachtet: Präsenz der Bilder – Präsenz der Götter. Kultbilder und Bilder der Götter in der griechischen Religion. in: Visible Religion 4/5(1985/86), 114-133.

[12] Auch für diese Fragestellung waren erst neue Studien nötig, die dann zu einem Companion führten, das Raja und Rüpke 2015 herausgaben. Grundlegend zuvor der Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum (ThesCRA) 8 Bände, Los Angeles: Getty 2004-2012 jeweils mit einem Abschnitt zum Römischen.

[13] Zur Mutation der Religionen in der Spätantike s. Guy Stroumsa: The End of Sacrifice – revisited. In: G.S.: The Crucible of Religion in Late Antiquity. Selected Essays. (STAC 124) Tübingen: Mohr Siebeck 2021, 151-162. Auffarth, Opfer. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2022.

[14] Für Weihrauch (frankincense), der v.a. auch im Kaiserkult (statt Tieropfer) zum Beweihräuchern der Kaiserbilder gebraucht wurde, mussten hohe Preise bezahlt werden, s. Walter W. Müller: Weihrauch. Realencyclopdie der Classischen Altertumswissenschaft-Supplement 15(1978), 700-777, hier 734f (Preis); 757-761 (bei den Römern).

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