Sarah Vecera Jesus

Sarah Vecera: Wie ist Jesus weiß geworden?
Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus.

Patmos Verlag 2022/ 4. Aufl. 2024
200 S.
ISBN 978-3-8436-1352-1
Euro 19.-

 

Das Gift des Rassismus in Gesellschaft und Kirche

Eine Rezension von Manfred Spieß

Die Theologin Sarah Vecera beschreibt in diesem Buch sehr deutlich ihre Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland. In großer Offenheit berichtet sie viel Persönliches und Biographisches, z. B. vom Aufwachsen in der protestantisch geprägten Familie der Großeltern im Ruhrgebiet. Im Kindergarten, in der Schule und als Erwachsene musste sie unzählige Male die Frage nach der „Herkunft“ –  „Wo kommst du eigentlich her?“ – beantworten. „Ich hatte schnell heraus, dass die richtige Antwort die Herkunft meines Vaters war“ (21). Ohne dies als Kind so benennen zu können, waren diese Erfahrungen Teil des Alltagsrassismus, dem sie immer wieder begegnete.

In diesem Buch greifen persönliche Berichte und gesellschaftlich/kirchlich orientierte Analysen ineinander. Das berührt mich als Lesenden besonders, denn so werden mir Alltäglichkeiten und vermeintlich harmlose Wendungen bewusst, die bei Betroffenen sehr verletzlich und fortwährend schmerzend wirken. S. Vecera zählt sich zu den „PoC“ – People of Color; keine Zuschreibung von Hautfarben im biologischen Sinn, sondern ein „Sammelbegriff von und für Menschen mit Rassismuserfahrungen aufgrund ethnischer Zuschreibungen“(11). (1)

Der Inhalt des Buches kurz zusammengefasst: die enge Verflochtenheit rassistischer Zuschreibungen und Zumutungen – auch in dem vermeintlich sicheren Hafen „Kirche” –  wird unter Begriff „Intersektionalität“ erläutert. Die Geschichte und Gegenwart der christlichen Kirchen sind viel enger mit Rassismus verknüpft, als wir bislang dachten. Stichworte dazu: religiöser Monopolanspruch, Kolonisierung und Mission als grausame Geschwister, fortwährender Eurozentrismus der weltweiten Christenheit und schließlich die Erfindung des Rassismus im christlichen Europa, das sind markante Themen, die von S. Vecera aufgegriffen werden: „Wir müssen in Deutschland Kirchengeschichte neu lernen. Es gab Zeiten, in denen die Kirche zur Erfüllungsgehilfen des Kolonialismus wurde“ (69).

Insbesondere zu diesen Themen kann dieses Buch in Bildungskontexten helfen, das Gesichtsfeld der Wahrnehmung zu verbreitern, denn traditionelle Schulmaterialien sind auf diesem Auge häufig blind oder zumindest unterbemittelt.

Das Thema „Rassismus“ wurde und wird in Deutschland seit Jahrzehnten verdrängt. Allzu lange hat sich bei uns die einschläfernde Auffassung gehalten, dieser sei ja mit Ende des 2. Weltkrieges sozusagen abgeschafft worden – allenfalls wurden früher noch die USA und Südafrika damit in Verbindung gebracht. S. Vecera geht auf diese Situation mit dem Kapitel „Rassismus in Deutschland“ besonders ein und hebt lang Verdrängtes an die Oberfläche. Die häufig verwendeten Begriffe wie „Fremdenhass“ oder „Ausländerfeindlichkeit“ werden der Brisanz dieses Problems nicht gerecht, ja sie verschleiern eher. Denn Rassismus teilt Menschen in angeblich `höherwertig´ und `niedrigwertig´ ein. Darum ist das Gift des Rassismus letztendlich tödlich, wie mörderische Aktionen in Vergangenheit und Gegenwart belegen.

Die weiße Kirche hat in ihrer langen Geschichte vieles bewusst und unbewusst verinnerlicht, das vom grellen Scheinwerferlicht dieses Buches beleuchtet wird. Am Beispiel des Jesusbildes und des Gottesbildes in Publikationen wie Kinderbibeln und religionspädagogischen Werken wird offenkundig, dass die weiße Darstellung meist dominiert.[2] Selbst vor christlichen Liedern macht Rassismus nicht halt, wie diverse Beispiele zeigen. „Er steckt in unseren Kirchen wie Asbest in den Wänden“ (115).

Sarah Vecera ist es ein großes Anliegen, für künftige pädagogische Arbeit sehr genau auf diese Spuren zu achten, damit falsche Bilder sich nicht in Kinderköpfen festsetzen können. Dass diese Aufgabe der Mühe mehrerer Generationen bedarf, ist einsichtig.

Das Buch „Wie ist Jesus weiß geworden?“ ist kein belehrendes Sachbuch. Es ist auf das Gespräch hin ausgerichtet. Jedoch erfahren die Lesenden dabei viel über Vorurteile und Zuschreibungen, welche ohne diese Betroffenenberichte unterschwellig kaum wahrgenommen werden. Hilfreich sind die zahlreichen Fragen an die Lesenden, die viele Kapitel prägen. Vorwiegend Erwachsene aber auch junge Menschen sind hier angesprochen.

Mit diesem Buch stößt Sarah Vecera viele Anregungen und Zumutungen an, denn in Deutschland hat das Gespräch über Rassismus gerade erst begonnen. Auch und gerade in den Kirchen ist hier viel aufzuarbeiten. Dass dies der Autorin persönlich ein Herzensanliegen ist, wird unübersehbar deutlich.

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1 Dass die angeblich ´wissenschaftliche´ Einteilung von Menschen in Rassen ein neuzeitliches europäisches Konstrukt ist, wird im Beitrag über „Die Erfindung der Menschenrassen“ S. 71 ff deutlich.

[2] „Was ich schreibe, wird nicht immer angenehm sein. Vielleicht verderbe ich Ihnen sogar das weiße Christkind im Stall von Bethlehem“ (18)

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