Die Apokalypse des Johannes (Teil 10): Offenbarung 13

Worthaus-Video mit Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Daraus sind billige Horrorstreifen gemacht: Ein Monster kriecht aus dem Meer, ein Tier mit sieben Köpfen, das womöglich nicht einmal getötet werden kann. Denn seine »Todeswunde wurde geheilt«. Dann taucht noch ein Drache auf und noch ein Tier. Das 13. Kapitel der Johannesoffenbarung ist Grusel-Vorlage für Apokalypse-Fans. Und entscheidend für das Verständnis der Offenbarung. Aber die Interpretation ist nicht leicht, warnt Siegfried Zimmer, anders als Filme es vermuten lassen. Denn Johannes sagt in seiner Offenbarung nicht direkt, was er meint. Er verwendet eine Bildersprache, die uns heute, Jahrtausende später, fremd ist. So nimmt Siegfried Zimmer sein Publikum mit zurück ins erste Jahrhundert nach Christus und erklärt, wie die Menschen damals Johannes‘ Vision verstanden haben müssen. Er erklärt die Klischees hinter der Apokalypse, das Tier, den Drachen und die Zahl. Er erklärt, warum die Offenbarung aus der Zeitgeschichte verstanden werden muss. Und warum sie uns trotzdem heute noch betrifft.








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Die Apokalypse des Johannes (Teil 8): Offenbarung 4, 4-11

Worthaus-Video mit Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Die ersten drei Kapitel der Johannesoffenbarung scheinen noch leicht verständlich. Johannes bekommt von Gott einen Auftrag und schreibt sieben Briefe an sieben Gemeinden. Drei Kapitel, in denen schon einiges steckte, was Siegfried Zimmer in den bisherigen Worthaus-Vorträgen zur Apokalypse erklärt hat. In diesem Vortrag führt Zimmer in den Hauptteil der Offenbarung ein, eines der mystischsten und bildreichsten Bücher der Bibel. Der Autor Johannes, der anfangs noch von sich selbst schrieb, tritt nun völlig in den Hintergrund, als hätte er sich selbst vergessen und lasse die Lesenden selbst durch seine Augen blicken. Was er da sieht, ist irritierend, unverständlich, für uns noch viel mehr als für die Zeitgenossen des Autoren. Zimmer erklärt, was es mit diesem Blick ins Himmelreich auf sich hat, mit den Thronen und Fackeln, den vier Wesen und den Ältesten, was die Zahlen bedeuten und wie die ersten Worte zu verstehen sind, die in dieser überirdischen Vision gesprochen werden. Er erläutert, was in dieser Vision der Begriff »heilig« bedeutet, wieso die Ewigkeit nichts mit langer Zeit zu tun hat und warum es so einmalig ist, wie Gott in dieser Vision angesprochen wird.













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Koran und Bibel

Wolfgang Reinbold

Koran und Bibel: Ein synoptisches Textbuch für die Praxis

Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage 2022
XXVIII, 940 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-525-63413-4
55.-

 

Textbuch für eine Religionsfamilie

Eine Rezension von Manfred Spieß

Nur wenige Christen lesen den Koran, nur wenige Muslime lesen die Bibel. Diese – wie ich finde – unbefriedigende Feststellung kennzeichnet sicherlich den gegenwärtigen Stand. Für den interreligiösen Dialog ist hier also noch viel ‚Luft nach oben‘. Zwar gibt es schon länger zahlreiche Dialogveranstaltungen zu Christentum und Islam in Deutschland, die sich mit vielen wichtigen Fragen des gesellschaftlichen Umgangs beschäftigen. Auch theologische Grund- und Grenzfragen werden hin und wieder erörtert; hier beteiligen sich in letzter Zeit verstärkt auch verschiedene islamische und jüdische Organisationen und Einzelpersonen.[1] Etliche Kirchengemeinden und Moscheen haben auf lokaler Ebene gute Kontakte zueinander. Einzelne ‚Leuchttürme‘, wie das Haus der Religionen[2] in Hannover und das im Aufbau befindliche House Of  One [3] in Berlin stärken und festigen auch überregional diese Bemühungen. Mit berechtigter Hoffnung kann man also für die Zukunft eine intensivere Dialogtätigkeit erwarten. Für die schulischen Religionsunterrichte und die multikulturelle Situation in den Schulen sollte in dieser Beziehung auch stärkere Unterstützung stattfinden. Gerade der zunehmende Rassismus gegen Juden und Muslime bedarf des entschiedenen Einsatzes für Menschenrechte und Demokratie.[4]

Das besondere Miteinander von Bibel und Koran ist in der Öffentlichkeit allenfalls diffus, zumeist aber noch gar nicht wahrgenommen worden. Zwar erschien mit „Die Bibel im Koran“ von Karl-Josef Kuschel[5] 2017 ein umfassendes Werk, das viele Überschneidungen aber auch Unterschiede aufzeigt. Noah, Abraham, Joseph, Moses, David, Maria und Jesus erscheinen durch Lektüre im Koran auf spannende Weise in neuem Licht. Das Gespräch zwischen Muslimen und Christen darüber ist aber kaum über Anfänge hinausgekommen. Dass es sich bei Juden, Christen und Muslimen um eine „Religionsfamilie“ handelt, wie Wolfgang Reinbold deutlich konstatiert[6], wird noch längst nicht von vielen so gesehen.

Mit dem synoptischen Textbuch zu Koran und Bibel, das Wolfgang Reinbold vorgelegt hat, erschließen sich nun neue Möglichkeiten. Das umfangreiche Buch stellt die 114 Suren des Koran in der deutschen Übersetzung von Adel Theodor Khoury vor – jeweils in der Mitte der Seite angeordnet. Darunter findet sich die Transliteration der arabischen Verse und die Angabe von weiteren Koranstellen[7]. In den Spalten rechts und links wird der Blick auf inhaltlich verwandte Texte aus der Bibel (sog. „Altes“ und „Neues Testament“) und aus anderen antiken Quellen gelenkt: jüdische Schriften mit prohetisch-apokalyptischen Inhalten, Babylonischer Talmud und Mischna, christliche nichtkanonische Evangelien und Erzählungen über Jesus und Maria.[8] Zahlreiche Verbindungen zu den „Hadithen“, den Erzählungen vom Leben und den Aussprüchen des Propheten Muhammad, werden textlich belegt.
Es zeigt sich ein großer Reichtum an Beziehungen zwischen Bibel und Koran. Wir finden sehr viele Anklänge an die ‚5 Mose-Bücher‘ (Pentateuch), an Psalmen[9] und an prophetische Literatur; Jesaja und Ezechiel ragen bei letzterer besonders hervor. Das synoptische Textbuch bietet diese Parallelen in prägnanten Auszügen an. Wer weiter forschen will, kann aufgrund der Quellenangaben (Quellen und Sekundärliteratur: 927-931) tiefer eindringen.[10] Die synoptische Anordnung in drei Spalten macht die Koransuren (in mittlerer, breiterer Spalte) und die Verweise anschaulich lesbar. Leserinnen und Leser werden eingeladen, auch die anderen Stimmen neben den koranischen Texten anzuhören. Für viele wird es Neuland sein, durch Hadithe Erzählungen über den Prophten Muhammad kennen zu lernen. Dass im syrisch-arabischen Raum der Spätantike zahlreiche christliche Schriften beliebt und im Umlauf waren, obgleich sie nicht im Kanon zu finden waren, wird deutlich. Auch die enge Bezogenheit auf biblische und außerbiblische jüdische Überlieferungen fällt ins Auge.

Wolfgang Reinbold verzichtet ausdrücklich darauf, die angeführten Texte zu kommentieren oder sie historisch einzuordnen. Diese bewusste Zurückhaltung ist verständlich, denn aufgrund der Fülle des Materials wäre ein solches Vorhaben dem Anliegen eines praxisorientierten Textbuches nicht dienlich.[11]

Viele Möglichkeiten des Einsatzes tun sich auf. Bei der Ausbildung von Lehrkräften im schulischen und im kirchlichen Bereich kann das Textbuch Koran und Bibel helfen, die interreligiösen Kenntnisse zu vertiefen. Die traditionelle monokonfessionelle Ausbildung bedarf in dieser Hinsicht – wie inzwischen öfter gefordert – einer fundierten Ausweitung. Im schulischen Religionsunterricht christlicher bzw. islamischer Prägung, oder auch religionsübergreifend (wie in Bremen und Hamburg) können, je nach Situationserfordernis, die Quellentexte dieses Buches eine wichtige Rolle spielen.
Für dialogisch interessierte Menschen aus christlichen und muslimischen Gemeinden bieten sich hier ausgezeichnete Möglichkeiten, neue Entdeckungen zu machen. Und einfach neugierige Menschen, die sich informieren wollen, was im Koran zu lesen ist, erhalten mit diesem Buch eine sehr ansprechende Möglichkeit, ihr Interesse zu befriedigen. Denn, so habe ich festgestellt, fängt man an zu lesen, so steigt die Lust, Seite um Seite weiter zu forschen. Neuland kann so spannend sein!

Dr. Manfred Spieß
Oldenburg. Februar 2022

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[1] Hier ist besonders die „Alhambra-Gesellschaft“ mit ihren vielfältigen Aktionen zu nennen. Eine neue jüdisch-islamische Initiative „Schalom Aleikum, Deutschland“ wurde im Jahr 2022 gestartet: https://www.denkfabrik-schalom-aleikum.de/

[2] https://www.haus-der-religionen.de/ . Dr. Wolfgang Reinbold ist 1. Vorsitzender dieses Hauses. Und Professor für Neues Testament an der Universität Göttingen sowie Beauftragter für Kirche und Islam im Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

[3] https://house-of-one.org/de

[4] Beispielhaft sei hier verwiesen auf https://www.claim-allianz.de

[5] Karl-Josef Kuschel: Die Bibel im Koran. Grundlagen für das interreligiöse Gespräch, Patmos-Verlag 2017. – Dieses Buch ist eine ideale Ergänzung zum synoptischen Textbuch „Koran und Bibel“. Denn hier werden die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge vorgestellt, auf die W. Reinbold im Textbuch ausdrücklich verzichtet.

[6] „Das merkt jeder Leser und jede Leserin sofort, die einmal die Bibel und den Koran nebeneinandergelegt hat“ (937).

[7] Die innerkoranischen Querverweise helfen bei der thematischen Erschließung. Viele Themen werden in verschiedenen Suren, die unterschiedlichen Kontexten zugeordnet werden können, erneut aufgenommen, manchmal dabei auch situationsorientiert modifiziert. Da die Anordnung der 114 Suren im Koran keiner zeitlichen Abfolge der Verkündigung entspricht, sondern meist nach der Länge der Suren sortiert ist, helfen die Querverweise bei der Orientierung.

[8] Register II (917-925) belegt beispielsweise „Apokalypse Abrahams“, „Apokalypse des Mose“, „1. Henoch“, Buch der „Jubiläen“, das „Protevangelium des Jakobus“ und viele andere mehr. Gerade hier zeigt sich die Verflochtenheit der koranischen Verkündigung mit der bewegten Religionswelt der Spätantike, insbesondere im syrischen, byzantinischen und arabischen Raum (Hedschas).

[9] Das Register „Bibel“ (IX – XXVII) weist für Psalmen mehr als 300 Bezüge zu koranischen Versen auf!

[10] Zahlreiche Quellen, besonders zu den außerbiblischen Schriften, sind auch im Internet auffindbar.

[11] Diesbezüglich wird im Vorwort auf das große Projekt „Corpus Coranicum“ verwiesen: https://corpuscoranicum.de/de .Dort wird der Koran Vers für Vers historisch-literarisch untersucht und chronologisch eingeordnet. Bereits jetzt liegen Ausarbeitungen zu vielen Suren im Internet zugänglich vor. Eine Initiatorin des Corpus Coranicum ist Angelika Neuwirth. Ihr Werk „Der Koran als Text der Spätantike“ (1. Aufl. 2010) prägte die Grundlagen dieser religionshistorischen Forschung. „Solche Bücher werden nur alle hundert Jahre geschrieben“, lobt der Religionswissenschaftler Christoph Auffarth in seiner Rezension.

Neuwirth: Spätmittelmekkanische Suren

Hg.: Angelika Neuwirth

Der Koran. Band 2.2: Spätmittelmekkanische Suren.
Von Mekka nach Jerusalem. Der spirituelle Weg der Gemeinde
heraus aus säkularer Indifferenz und apokalyptischem Pessimismus.

Handkommentar mit Übersetzung von
Angelika Neuwirth und Dirk Hartwig.

Berlin: Verlag der Weltreligionen 2021

ISBN 978-3-458-70057-9

52 €

 

 

Der Kampf um Jerusalem:
Historische und ideologische Eroberungen,
gespiegelt im Entstehungsprozess des Koran

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Dringend nötig war ein guter Kommentar zum Koran. Aber dieser von Angelika Neuwirth ist so exzellent, wie ihn niemand erwarten konnte. Basierend auf der umfassenden Grundlagenforschung des Corpus Coranicum, zu dem sie viele kreative Beiträge geleistet hat, setzt sich dieser dritte Band mit der Zeitgeschichte auseinander. Während die Sassaniden 614 Jerusalem physisch erobern, gewinnt der Koran Jerusalem als sein (erstes) geistiges Zentrum.

Ausführlich: Lange erwartet erscheint jetzt der dritte Band des Handkommentars zum Koran, das international herausragende Werk, das den Koran wissenschaftlich erschließt, genau zu dem Zeitpunkt, da der Bedarf nach solch einem Grundlagenwerk sehr hoch ist, und trotz wichtiger anderer Werke alle bei weitem überragt.

Angelika Neuwirth hat das Grundlagenwerk des Corpus Coranicum konzipiert, die arbeitsteilige Forschung aufgestellt, fähige MitarbeiterInnen gefunden und öffentlich zugänglich gemacht als noch nicht abgeschlossenes, aber in ständiger Bearbeitung und Erweiterung begriffenes Instrument. Für solche Großprojekte, die die Arbeitskraft einer Einzelforscherin überschreiten, waren die Akademien der Wissenschaft gegrün­det worden. Das Corpus stellt die Forschungen zum Koran auf eine neue, stabile Grundlage der historisch-kritischen Forschung, wie sie für die Hebräische Bibel und ihre griechische Übersetzung zwar schon lange im Gang ist, aber gerade neu unternommen wird.[1] Für die kritische Textgrundlage des Neuen Testaments hat die Arbeit Kurt Aland vor langer Zeit angestoßen, die Ergebnisse erschei­nen jetzt gedruckt nach und nach. Das heißt, auch für die beiden Teile der Bibel ist die Arbeit an einer kritischen Ausgabe (wieder) in vollem Gange. – Die Ergebnisse des Corpus Coranicum sind sofort über das Internet abrufbar. Dort heißt es einleitend: „Das Vorhaben macht [1] die frühen Handschriften in Bild und Text zugänglich. Parallel zur schriftlichen Textüberlieferung wird [2] die islamische Lesarten­literatur systematisch dargestellt. Damit liefert Corpus Coranicum erstmals eine historisch gesicherte Textbasis. Aufbauend auf der historisch-kritischen Erschließung der Textgeschichte erstellt das Vor­haben [3] einen chronologisch-literaturwissenschaftlichen Kommentar, unter Verwendung der Datenbank [4] „Texte aus der Umwelt des Korans“ (TUK); so wird erstmalig die Entwicklung der islamischen Urgemeinde als Interaktion zwischen dem Propheten und ersten Adressaten in Mekka und Medina rekonstruiert.“

Wie die früheren Bände (die ich auf dem gleichen Blog besprochen habe.)[2] umfasst der Band nach der Einleitung (19-59) und erschlossen durch eine sehr genaues Register einschließlich eines analytischen Sachregisters für beide Bände 2/1 und 2/2, dem Literaturverzeichnis, einer Liste der sekundären Zusätze für jede der elf Suren dieses Bandes folgendes: Wie in den vorausgehenden Bänden wird jede Sure erst einmal in (wissenschaftlicher) Umschrift des arabischen Textes präsentiert, dann in ein klares modernes Deutsch übersetzt (was schon viele Entscheidungen zur Interpretation voraussetzt). Ein Abschnitt Textkritik, dann eine Gliederung der Sure ‚Komposition‘. Die Proportionen der Verse, der kursorische Verskom­mentar. Und eine zusammen­fassende Analyse und Deutung. Die sprachlichen Erklärungen einzelner Begriffe und Wörter sind jetzt integriert in den Kommentar.[3] Abschließend eine surenspezifische Bibliographie.

Die These von AN mit dem Begriff des Prätextes ist ja, dass der Koran „in einem gemeinsa­men Denkraum der Spätantike“ entstanden ist, in dem neben altarabischer Dichtung vor allem die religiösen Gottesdienste der monotheistischen Gemeinden der Ausgangpunkt waren, aus dem dann die neuen Texte des Islam formuliert wurden. Diese Intertextualität beruht also nicht, wie der Koran an einigen Stellen vorgibt und in fundamentalistischen Interpretationen absolut gesetzt wird, einzig auf dem Propheten Mohammed, der unmittel­bar Offenbarungen empfing und (wie?) niederschrieb, sondern ist die ‚Fortschreibung‘ von Rezitationen und Gesängen monotheistischer liturgischer Gebete, Psalmen, Sprüche, also kreative Arbeit der Gemeinde; der Prophet als ‚Autor‘ rückt in den Hintergrund.[4]

In den mittelmekkanischen Suren, die AN jetzt noch einmal unterteilt in frühe und späte, setzt eine ‚Biblisierung‘ des altarabischen Weltbildes ein, also eine intensive Aufnahme, Übernahme, Korrektur, noch nicht so sehr eine Abgrenzung, wie sie dann in Medina einsetzt.[5] Die späteren mittelmekkanischen Suren nehmen die aktuelle Zeitgeschichte auf, nämlich die grundstürzende Machtverschiebung, als es den sassanidischen Persern gelang, im Jahre 614 Jerusalem zu erobern und die Reliquie des Heiligen Kreuzes als Beute weg­zuschleppen. Darauf reagierten viele Christen mit der Vorstellung, die Apokalypse sei nunmehr im Gange (und 20 Jahre später setzten sie dieses Interpretationsmuster nach der islamischen Eroberung fort).[6] In Mekka hingegen lehnte man diese pessimistische Diagnose der Gegenwart ebenso ab wie den Messianismus. Die Suren der Zeit zeichnen vielmehr das Bild des gerechten Herrschers (David, Salomon, Alexander der Große) als Auftrag an den aktuellen byzantinischen Kaiser Herakleios.

Der dritte Band des Handkommentars fasst sehr prägnant zusammen, was in der großen Forschungsarbeit und mit vielen Mitarbeitern im Corpus Coranicum erarbeitet wurde. Aber, viel mehr noch, in Entwicklung der Konzepte des Koran aus dem ‚gemeinsamen Denkraum der Spätantike‘ hat AN die Aufeinanderfolge der Suren erklärt: Sure 17 ist eine der großen ‚Programm setzenden Suren‘ (55), deren Themen dann in den folgenden Suren in anderen Schwerpunktsetzungen differenziert werden. Die „Nachtreise“ lässt in einer Vision den Propheten von Mekka aus das ‚ferne Heiligtum‘ sehen ‚im gelobten Land‘. Später wird die Episode ausgemalt als Wunder-Reise auf einem Reittier mit Menschengesicht, das in einer Nacht Mohammed die fast 1500 km hin und die gleiche Strecke zurück trägt. In Jerusalem warten die Stifter der anderen Religionen schon, damit er, der Jüngste, als Vorbeter das Ge­bet anleite. In der gleichen Nacht wird die Religionsgeschichte mit einer letzten Offenbarung vollendet, indem Gott dem Mohammed alle Geheimnisse des Himmels und der Erde zeigt. Vor der Gottesaudienz steigt Mohammed auf einer Stufenleiter (mirağ) über alle sieben Himmel auf, besucht und spricht mit den dort aufgenommenen Helden der älteren Religi­onen. Aber nur ihm, als einzigem Menschen wird der direkte Zugang zu Gott gewährt.[7] In der Sure 17 ist das alles ohne die Materialisierung in Vorstellbar-Unvorstellbares gestaltet. Die Sure 17 ist eine der bedeutendsten Suren, in der sowohl der Eintritt des Islam in die Weltgeschichte der Religionen und sein Anspruch als die letzte und höchste Offenbarung unter den monotheistischen Weltreligionen ausgesprochen wird: Jerusalem als erstes Zentrum des Judentums, des Christentums, ja als Nabel der Welt, wird nun auch das Zentrum des Islam. Erst später werden sich die Muslime zum Gebet nach Mekka wenden; Jerusalem ist die erste qibla (Gebetsrichtung). Die Entrückung erfolgt „nach dem fernen Heiligtum masjid al aqsa in dem von Gott gesegneten Land“. Diese Umschreibung, die später auf die Al-Aksa-Moschee und den Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem im Heiligen Land festgelegt wird, versteht AN als zugleich irdisches und transzendentes Heiligtum, das oszilliert zwischen Himmel und Erde (46; vgl. 796; in der Sure selbst sieht AN 87 in der An­fügung der Verse 82-111 eine kritische Diskussion). Die Differenz zu dem steingebauten Tempel/ Moschee macht die Sure 17 deutlich, indem der jüdische Tempel als Ruine vorge­stellt wird (55; Q 17:7, S. 105f).[8] Nicht weniger als 140 Seiten umfasst die Kommentierung dieser programmatischen Sure, die Jerusalem zum ersten Zentrum der neu entstehenden Religion setzt. Als Titel wählt AN, anders als in der Einleitung, wo sie „Nachtreise“ genannt wird, „Der Auszug“, um an Moses, den Aufstieg zum Sinai, die Übergabe des Dekalogs (Q 17:22-39, S 189-200) anzuschließen, also an die Geburtsstunde der jüdischen Religion (99-102; 186-189).

Ein gutes Beispiel für den ‚gemeinsamen Denkraum‘ ist die etwas isoliert dastehende Sure 18, ‚die Höhle‘ (S. 751-860; also noch einmal 110 Seiten), in der es um Wunder geht. Die Sure gibt Rätsel auf, welches der durchgängige Faden sei – oder ist sie ein Textglomerat? Anders als die vielen Bearbeitungen dieser Sure folgt AN ihrem Prinzip der Verbindung der Sure mit vorausgehenden und folgenden Suren (779. Alttestamentler würden sagen kanonische Leseweise). Außergewöhnlich ist, dass hier nicht biblische Gestalten vorgestellt werden, sondern aus der Alexanderlegende (844; der Name wird nicht genannt, sondern sein Bei­name, der „Zweigehörnte“, also Alexander der Große, der sich mit dem Ammon-Orakel in Ägypten identifiziert als Zeus Ammon mit Widderhörnern) und die Siebenschläferlegende.[9] Diese Geschichte wird gar nicht ganz erzählt, man muss sie eigentlich schon kennen:[10] [In Ephesos] werden die Christen in der Christenverfolgung des Kaisers Decius mit dem Tode bedroht. Sieben junge Männer verstecken sich in einer Höhle (daher der Name der Sure) und werden dort eingemauert. Als sie wieder aufwachen, geht einer von ihnen Brot kaufen. Als er bezahlen will, weist die Bäckerin das Geld zurück: Das Geld ist völlig veraltet, genau gesagt, sie haben 187 Jahre (so die christliche Legende) bzw. 309 Jahre (Q 18:25) in der Höhle geschlafen. Gott hat die Monotheisten gerettet und sie wiederauferweckt, wie das Christen, Juden und Muslimen verheißen ist als Leben im Paradies. Man baut eine Märtyrerkapelle über ihnen. Die Aufnahme der Legende im Koran (788-799) ist polemisch, ironisch und bei der Zahl der Eingeschlossenen geradezu eine Persiflage (Q 18:22) „der Hund mitgezählt oder nicht?“ Die Sure depotenziert die christliche Wundergeschichte mit allen übertriebenen Mirakeln (cadjaba 798) und fordert die Solidität, die ‚Geradeausgerichtetheit‘ der Schrift (als Buch kitab). Übrig bleibt das Wunder der Auferweckung der Toten. Der durchgehende Erzählfaden der Sure ist die Eschatologie, in die auch die Reitervölker aus dem Norden, Gog und Magog, gehören (846-856), die Alexander (in der Legende) in einem Tal eingesperrt hat, aber die Mauer (oder eisernen Tore) werden am Ende doch nicht halten. So wichtig mächtige Kaiser sind, sie haben doch nicht die apokalyptische Qualität eines Endkaisers.[11]

Wissenschaft der Extraklasse erklärt den Koran auf sehr prägnante Weise, fast nebenbei die arabischen Begriffe, ihre Gegenbegriffe im Hebräischen und im Griechischen der beiden anderen monotheistischen Religionen. Aber faszinierend, wie die innere Entwicklung der Entstehung des Koran nicht nur mit den Schwesterreligionen zusammen geführt wird und schließlich die Zeitgeschichte der Eroberung Jerusalems reflektiert wird, dabei aber auch entdramatisiert gegenüber Apokalyptik und Messianismus.

 

Bremen/Wellerscheid, 23. Februar 2022                                                   Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail:
auffarth@uni-bremen.de 

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[1] Dazu etwa meine Rezension Mehrsprachigkeit in der Migration: Das Beispiel der griechischen Übersetzung (Septuaginta) der Hebräischen Bibel. Eberhard Bons; Jan Joosten (Hrsg.):  Die Sprache der Septuaginta. (Handbuch zur Septuaginta Band 3) [LXX-H 3] Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus [2016]. In: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2017/08/24/die-sprache-der-septuaginta/ (24.8.2017). – Hans Ausloos, Bénédicte Lemmelijn (Hrsg.): Die Theologie der Septuaginta / The Theology of the Septuagint. (Handbuch zur Septuaginta 5) Gütersloh: GVH 2020. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2021/05/16/theologie-der-septuaginta/ (16.5.2021).

[2] Den Bänden des Handkommentars ging voraus das Buch, das viele Grundzüge der Forschung schon vorstellte, gewissermaßen als Einführung: Der Koran – als historisch-spätantiker Text gelesen und erklärt:

– Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike 2010.  http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2011/03/01/der-koran-als-text-der-spatantike-von-angelika-neuwirth/ (1.März 2011). –

– Endlich: ein Kommentar zum Koran. Der Koran – Handkom­mentar mit Übersetzung von Angelika Neuwirth. Bd. 1: Frühmekkanische Suren: Poetische Prophetie. Berlin: Verlag der Weltreligionen 2011  (4.Dezember 2011) : https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2022/03/24/fruehmekkanische-suren/ 

Der Koran 2.1: Frühmittelmekkanische Suren. Angelika Neuwirth. Berlin: Suhrkamp 2017. https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2019/03/12/neuwirth-fruehmittelmekkanische-suren/  (12.3.2019).

[3] Wie sich der Kommentar jetzt von den beiden vorausgegangenen unterscheidet, weniger arabistische Worterklärung, mehr Wert auf den argumentativen Kontext, wodurch auch die Deutung der Einzel­wörter begründet wird, S. 26-30. Zum Mitarbeiter-Team, darunter dem Judaisten Dirk Hartwig als Koautor S. 29.

[4] Während Reinhard Schulze den „Ruf“ (so versteht er das Wort Koran) als Ausgangspunkt erkennen will (vgl. meine Rezension Die Entstehung des Koran und die Genealogie des Islam. Reinhard Schulze, Genealogie des Koran 2015, in: http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2017/01/07/schulze-der-koran-und-die-genealogie-des-islam/ (7.1.2017), umgeht AN diese These der Inspiration weitgehend und übersetzt Koran mit „Rezitation“. Da sie die Diskussionen in ihrem Studium und Vorlesungen in der arabischen Welt in Beirut, Jeru­salem, Kairo sehr genau kennt, enthebt sie sich der hitzigen, aber fruchtlosen Auseinandersetzung, indem sie für ihre Forschung „einen europäischen Blick“ beansprucht, gleichzeitig aber auch an die muslimischen Kommentare und an ältere Arbeiten islamischer Gelehrter anknüpft. Vgl. den FAZ-Artikel von ihr u.a. „Corpus Coranicum“: Koran, aber im Kontext – Eine Replik – Debatten – FAZ.

[5] Während der Koran in der Rezension des Uthmar eine Reihenfolge im Wesentlichen nach der Länge der Suren vornimmt, haben Theodor Nöldeke (1836-1930), Friedrich Schwally (1863-1919) und Gotthelf Bergsträsser (1886-1933) eine historische Reihenfolge erkannt und begründet, die sich bis heute weitgehend bewährt hat. In der zweiten Auflage der Geschichte des Qorâns von Theodor Nöldeke, zuerst Göttingen: Dieterich 1860, Teil 3 ; Die Geschichte des Korantexts. Leipzig: Dieterich ²1938. Ein OCR Digitalisat Geschichte des Qorāns: Die Geschichte des Qorāntexts (muhammadanism.org) (7.6.2021).

[6] Zu [Methodios‘] Apokalypse im 7. Jh. und ihrer Übertragung nach Latein-Europa durch Adso im 9. Jh. siehe Christoph Auffarth: Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem, Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Sicht. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2002, 86-90. Vgl. AN 850f.

[7] Das wird in der Hebräischen Bibel dem Henoch zugeschrieben (Genesis 5,18-24), im Koran heißt er Idris. Seine Entrückung in den Himmel zu Gott hat eine reiche Literatur von Henochschriften hervor­gerufen, die aber in der christlichen Tradition zensiert wurden und nur an den Rändern (äthiopisch, slawisch) überliefert wurden. Die erzählerische Ausmalung der Nachtreise und der Himmelsleiter (auch ‚Himmelfahrt Mohammeds‘ genannt, aber das ist nicht vergleichbar) in der Biographie des Propheten von Ibn Ishaq (gestorben 787/88): in der deutschen Übersetzung von Gernot Rotter (1981, München: Goldmann 1988), 78-83 Nachtreise; 83-86 Himmelsreise.

[8] Die Zitierweise setzt sich durch: Q [für Qoran] Zahl der Sure, Doppelpunkt, Zahl des Verses (wie englischsprachig auch bei Bibelstellen üblich). – Das Projekt eines Wiederaufbaus des (jüdischen) Tempels negativ prophezeit in Q 27:4-8, S. 596.

[9] AN bezieht sich auf Hannelies Koloska, die einen weiteren (nicht genannten) Beitrag geschrieben hat in Tobias Georges (Hrsg.): Ephesos. Die antike Metropole im Spannungsfeld von Religion und Bildung (COMES Civitatum Orbis MEditerranei Studia 2) Tübingen: Mohr Siebeck 2017, 361-374.

[10] Hermann Kandler: Siebenschläfer. Enzyklopädie des Märchens 12(2007), 662-666. Legenda aurea Nr. 101 (ed. Bruno Häuptli, FC, Freiburg: Herder 2014, 1306-1315) mit dem Streit, wie lange sie geschlafen hätten. Märtyrerkapelle. Der griechische Text ist in den Texten aus der Umwelt des Koran im Original. Übersetzung und Kommentar zu finden, wenn man Sure 18,9 eingibt: Corpus Coranicum (21.2.2022).

[11] Zu dieser Figur Hannes Möhring: Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung. (Mittelalter-Forschungen 3) Stuttgart: Thorbecke 2000, der auch den Mahdi mit behandelt 375-414.