Shihāb al-Dīn al-Suhrawardī: Philosophie der Erleuchtung = Hikmat al-ishrāq. Herausgegeben von Nicolai Sinai


Shihāb al-Dīn al-Suhrawardī: Philosophie der Erleuchtung = Hikmat al-ishrāq
Aus dem Arabischen übersetzt und hrsg. von Nicolai Sinai.
Berlin: Verlag der Weltreligionen, 2011. [469 S.]
ISBN: 978-3-458-70032-6

 

 

 

Von der islamischen Aufklärung in die Mystik

Dieser erstmals in Deutsche übersetzte und sorgfältig kommentierte Text „Die Philosophie der Erleuchtung“ Hikmât al-išrâq[1] ist eine Überraschung: Sein Verfasser Šihâb al-Dîn al-Suhrawardī – er lebte 1152-1191 – gehört zu der Generation in der arabischen Philosophie, die von ihren Lehrern die Entdeckung der Logik und Rationalität des Aristoteles und seiner Schule, den Peripatetikern, aufgenommen und für die islamische Philosophie umgesetzt haben. Bislang ging man davon aus, dass dies eine kurze Episode war, die 1198 mit dem Tod des Averroes (Ibn Rushd) endete.[2] Ein für den Islam fast folgenlos gebliebenes „Durchgangsstadium der Weltgeistes auf dem Weg von Athen nach Paris.“[3] Al-Suhrawardi scheint in doppelter Weise diesem Bild zu entsprechen. Zum einen wurde der Autor 1191 auf Befehl Saladins in Damaskus hingerichtet. Zum anderen wurde sein Werk nicht wie das des Avicenna und des Averroes ins Lateinische übersetzt und damit Grundlage der Aristoteles-Rezeption in der westlichen lateinischen Scholastik im 13. Jahr­hundert. Doch sein Werk wurde in der arabischen Welt intensiv und nachhaltig rezipiert. So bleibt ein Stück Aufklärung erhalten, nimmt aber eine andere Richtung.

Der Herausgeber und Übersetzer Nicolai Sinai (Mitarbeiter am Corpus Coranicum, lehrt jetzt in Oxford) hat nicht nur einen Text erstmals im Deutschen zugänglich gemacht, sondern erweist sich als hervorragender Kenner der aristotelischen Philo­sophie sowohl in der Übersetzung der präzisen Terminologie wie in der Kommentie­rung. Er befreit zugleich den Autor von der Vereinnahmung, die Henry Corbin für seine esoterische Lesart des Islam in Suhrawardi 1971 gefunden zu haben glaubte. Er „verwandelte ihn sich an“ und machte ihn zum ‚Theosophen’ (229). Corbin ist die maßgebliche Ausgabe zu verdanken, aber seiner Interpretation widerspricht Sinai mit einer überzeugenden These. Die aristotelische Philosophie lebt im Islam weiter, allerdings im Gewand der Mystik.

Bereits in der Einleitung sagt Suhrawardi von sich, im Unterschied zu seinen anderen Abhandlungen, wo er sich der peripatetischen Methode bediente, gründe sich seine Philosophie der Erleuchtung auf mystischer Erfahrung und göttlicher Eingebung munâzalât. An die Stelle des ‚ersten’ Philosophen Aristoteles rücken Platon, Hermes [Trismegistos], Pythagoras und Empedokles, die Griechen (und Ägypter) also, sowie die eigene iranische Tradition. Im Iran geboren, beteiligt sich al-Suhrawardi an der arabischen Philosophie, schreibt also nicht das heimische Persisch, sondern das Arabisch der Gelehrsamkeit.[4] Im Teil 1 widmet er sich der Widerlegung des avicennischen (auf Aristoteles aufbauend) Systems der Logik, in der alles restlos entschieden werden kann in Ja oder Nein. Teil 2 entwirft eine Ontologie des Lichts im Rahmen einer großen Kosmologie. Dabei kommt er auf­grund philosophischer Überlegungen über die Optik zu der Annahme einer eigenen Welt, wo sich die Abbilder in der Schwebe befinden. Wo zum Beispiel bleiben die Spiegelbilder. Dort aber könnten auch die Abbilder der Toten existieren. Al-Suhrawardi leugnet die leibliche Auferstehung, auf die der Koran so große Betonung legt (§ 244-248, erläutert S. 294 f). Wichtig ist: Suhrawardi ändert nicht im Sinne einer Konversion seine wissenschaftlich-rationale Grundlage und wird religios, sondern er argumentiert weiter mit aristotelischer Logik.[5]

Der Band ist hervorragend ausgestattet. Nach der Übersetzung von knapp 220 Seiten folgt der Kommentar mit der Einleitung auf 76 Seiten, die das Werk, den Autor, seine Zeitgeschichte und Gesprächspartner vorstellt, dann der Stellenkommentar, der die Besonderheiten der einzelnen Stellen erklärt. Es folgen Verzeichnisse, nämlich ein Glossar, das auch die arabischen Begriffe erläutert und mit der peripatetischen Terminologie zusammenbringt, ein Literaturverzeichnis, die Regeln der Umschrift arabischer Laute, und ein ausführliches Register mit Personen, Orten und Sachen. Auch die äußere Ausstattung des Buches macht deutlich, dass man da einen Schatz in Händen hält. Der Verlag der Weltreligionen hat in seinem Almanach viele neue Texte versprochen. Dieser hier ist der Entdeckung wert. Nicolai Sinai eröffnet mit diesem Werk und seinem Kommentar dazu eine neue Bewertung der arabischen Philosophie. Einmal mehr ein gelungenes Wagnis des Verlags der Weltreligionen.

…………………………………………………………………………………………………………………………..

[1] Der Verlag der Weltreligionen verwendet eine anglisierende Umschrift das Arabischen, nicht die der DMG. Da die genauen Zeichen hier nicht verfügbar sind, sei nur angemerkt, dass Hikmat mit anlau­tendem Ch zu sprechen ist (in der Umschrift also einen Punkt unter dem H haben sollte).

[2] Siehe meine Rezension auf dieser web-Seite von Ibn Rushd: Maßgebliche Abhandlung (2010).

[3] So Nicolai prägnant S. 226 in Anspielung auf Hegels Fortschritt in der Weltgeschichte.

[4] Nicolai Sinai verwendet ‚Arabische [nicht: islamische] Philosophie’, weil sich auch Nicht-Muslime an den Debatten beteiligten; das Gemeinsame aber ist die Verwendung der arabischen Gelehrtensprache.

[5] Vgl. die umfassende Einordnung bei Sabine Schmidtke: Rationale Theologie im Islam. In: Verkündigung und Forschung 53(2008), 57-72.

—————————-
25. September 2011
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

 

Schreibe einen Kommentar