Rig-Veda-Das heilige Wissen 6-7

Rig-Veda – Das heilige Wissen. Sechster und siebter Liederkreis.

Aus dem vedischen Sanskrit übersetzt und herausgegeben
von Eijirō Dōyama (Buch VI.1-52) und Toshifumi Gotō (Buch VI.53-75 und Buch VII).

Berlin: Verlag der Weltreligionen 2022.
717 Seiten.
ISBN 978-3-458-70058-6.
68 €

 

Früheste indische Poesie und Gebete

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Der dritte Band der Übersetzung und Kommentierung des Rig-Veda ins Deutsche lässt auf die Vollendung dieses bedeutenden Werkes hoffen.

Ausführlich:

Zehn Jahre nach dem zweiten Band[1] erschien jetzt der dritte Band der sorgfältigen, dem Wortlaut des Originals nahe übersetzten Version der ältesten Poesie Indiens ins Deutsche. Zwei Japanische Gelehrte verantworten die Übersetzung.[2] Das ist ein gehobenes, poetisches, etwas altertümliches Deutsch, aber damit wird erreicht, dass auch in der Zielsprache das hohe Alter des zugrunde liegenden über dreieinhalbtausend Jahre alten Textes durchscheint. Der vorliegende Band enthält auf etwa 300 Seiten die Übersetzung, der Stellenkommentar, der die vielen erklärungsbedürftigen Ausdrücke, Sprachbilder, Metaphern erläutert, ist im Umfang noch etwas länger (S. 299-640), daran schließt sich ein sehr wertvolles ‚Glossar‘ an, in dem die immer wieder auftauchendes Götternamen erklärt werden und die Stellen angegeben sind, wo sie in den Liederkreisen des Bandes vorkommen. Dabei werden die Namen auch in Umschrift des Originals wiedergegeben. Und dankbarerweise werden die Erkenntnisse des Kommentars von Karl Friedrich Geldner aufgenommen und im Lichte neuer Forschungen weitergeführt.[3] Einen zusammenfassenden Kurzkommentar, wie er in den anderen Bänden der Editionen den Stellenkommentaren vorangestellt ist, ist hier nicht gegeben. Einen guten Ersatz dafür leistet Thomas Oberlies, der aus den Zyklen von Gedichten eine Religionsgeschichte rekonstruiert, die seine Trilogie abschließt.[4]

Glücklicherweise wird das Projekt weitergeführt, nachdem der Verlag der Weltreligionen (im Suhrkamp Verlag) keine neuen Ausgaben mehr herausbringt.[5] Man kann nur hoffen, dass das Werk vollendet werden kann, nachdem noch die Liederkreise acht bis zehn ausstehen.

Die Lieder richten sich zunächst an Agni, den Gott, der im Feuer bei den Menschen ist, sowohl als Herdfeuer im Haus als auch im Opferfeuer im Tempel. Sein Name ist indo-europäisch stammverwandt mit lateinisch ignis – Feuer. Seine Eigenschaften im Rig-Veda sind im Glossar mit Stellenangaben aufgeführt. Agni ist einerseits eine Art Trickster, der aus dem Himmel das Feuer mitgenommen und es den Menschen geschenkt hat. Aber er ist den Göttern nicht wie der griechische Prometheus verhasst, sondern die Götter schicken ihn auch als Boten zu den Menschen. Sonst ist Indra der im Rig-Veda am meisten geliebte Gott, dem etwa ein Viertel der gesamten Lieder gewidmet sind. Ihm verdanken die Menschen das lebenswichtige Wasser vom Himmel wie in den Flüssen (s. Glossar s.v.[6] Wasser). Seine Kraft verleiht ihm Soma, der himmlische Göttertrank (VI 72, vgl. Oberlies 240). Indra gelingt es auch, die Rinder aus der Höhle der feindlichen Pani zu befreien, so dass sie als Sonnen­strahlen jeden Morgen das Leben und Wachstum ermöglichen (Glossar s.v. Pani mit den Stellen, vgl. Oberlies 213f). Dem Kämpfer gegenüber stehen gegenüber die drei Götter „Sie – Mitra, Aryaman, Varuna – sind ja die Bestrafer des vielen Unrechts. Sie sind aufgewachsen im Hause der Wahrheit. Sie lassen sich nicht betrügen.“ (RV 7,60-66, hier 60,5; vgl. Glossar s.v. Adityas: „Sie gehen vermutlich auf die gemeinindoiranische Zeit zurück. Sie stellen personifizierte Gesellschaftsprinzipien dar: Varuna das Königsrecht, Mitra der Vertrag, Aryaman [Gewohnheitsrecht]“).[7] Oft werden in den einzelnen Hymnen mehrere Gottheiten zusammen angerufen, und es gibt einzelne Hymnen, die sich an alle Götter wenden (Beispiele: RV 7,34 – 55). Der „erste Mensch“ Manu (also gewissermaßen Adam) ist im Rig-Veda mit der Weltflut verbunden. Eine ambivalente Rolle spielt Maya, die Wunderkraft, die aber nur wenigen Spezialisten verfügbar ist, weshalb man sie auch als Betrug verstehen kann. – Das Glossar dient als Einführung in die sonst nicht so leicht zu verstehenden Gedichte.

Am Rig-Veda hat sich eine Kontroverse entzündet: Die Gedichte repräsentieren eine Sprach­stufe, die noch älter ist als das Sanskrit. Die These, dass der Rig-Veda die Älteste Poesie in einer indo-europäischen Sprache darstellt, beweise auch die Herkunft jeder höheren Kultur aus Indien (‚Out-of-India‘). Die wird gerne in der mächtigen Bewegung des Hindu-Nationa­lismus aufgegriffen gegen die Vielfalt der Kulturen in der indischen Union (und von den Hindus in den USA propagiert). In der politisierten Wissenschaft in den USA widersprachen Sprachwissenschaftler. Die Kontroverse ist knapp geschildert in dem Wikipedia-Artikel zu Michael Witzel (Professor an der Harvard-Universität). Das Thema der „Urheimat der Indogermanen“ ist allerdings seit dem 19. Jahrhundert immer wieder umstritten diskutiert worden, immer auch mit politischen Interessen.[8]

Dass dieses schwierige Werk in einer deutschen Übersetzung und (v.a. sprachwissenschaft­lichen) Kommentierung zugänglich gemacht wird, ist eine Großtat. Man kann nur hoffen, dass das Werk noch vollendet wird.

 

Bremen/Wellerscheid, Oktober 2023                                                        Christoph Auffarth

Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Die Rezension des zweiten Bandes Christoph Auffarth: Älteste religiöse Poesie aus Indien: Die Hymnen des Rig-Veda mit Erklärungen neu übersetzt – Rig-Veda – Das heilige Wissen. Dritter bis fünfter Liederkreis. Aus dem vedischen Sanskrit übersetzt und hrsg. von Michael Witzel (Buch 3), Toshifumi Goto (Buch 4), Salvatore Scarlata (Buch 5). Berlin: Verlag der Weltreligionen 2013. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2015/05/15/rig-veda-das-heilige-wissen-dritter-bis-fuenfter-liederkreis/ (15.5.2015).

[2] Zu Prof. Toshifumi Gotō, der in Erlangen promovierte, dann u.a. in Freiburg und Wien lehrte, s. Univercity Guide | Tohoku Univercity (24.10.2023). Eijirō Dōyama ist Professor für Indologie an der Universität Osaka in Osaka/Japan.

[3] Karl Friedrich Geldner: Der Rig-Veda. Aus dem Sanskrit ins Deutsche übersetzt und mit einem fortlaufenden Kommentar versehen. 3 Bände. Cambridge, MA: Harvard 1951-1957. Geldner war schon 1929 gestorben, nachdem er 1923 den ersten Band der Übersetzung herausgebracht hatte. Die Harvard Universität ermöglichte die Edition der Gesamtübersetzung und des Kommentars.

[4] Meine Rezension: Götter und wie die Welt funktioniert, eine dreitausend Jahre alte indische Sicht. Thomas Oberlies: Der Rigveda und seine Religion 2012. http://buchempfehlungen.blogs.rpi-virtuell.net/2013/06/02/thomas-oberlies-der-rigveda-und-seine-religion/ (2. Juni 2013).

[5] Das ehrgeizige Unternehmen, das in dem Almanach Die Religionen der Welt. Ein Almanach zur Eröffnung des Verlags der Weltreligionen. Frankfurt: VdWR 2007 skizziert und von der Udo Keller-Stiftung mitfinanziert wurde, wurde abgebrochen. Die Ankündigung der vorliegenden Übersetzung (S. 19-23) ging von 4 Bänden aus, wobei Band 3 den sechsten bis neunten Liederkreis umfassen sollte.

[6] S.v. ist die Abkürzung für lateinisch sub voce – „unter dem Stichwort“.

[7] S. 641. Das Wort Gewohnheitsrecht habe ich anstelle des dort gewählten Wortes „Volkssitten“ gesetzt. Mitra ist im Iranischen/Persischen der Gott des Vertrages, der in gewandelter Form als Gott Mithras in der Römischen Kaiserzeit prominent wurde.

[8] Ruth Römer: Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland. München: Fink ²1989. Felix Wiedemann: Am Anfang war Migration. Wanderungsnarrative in den Wissenschaften vom Alten Orient im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Tübingen: Mohr Siebeck 2020. Siehe meine Rezension: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2021/12/03/am-anfang-war-migration/ (3.12.2021).

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