Handbuch der Religionen (HdR): Kontinuierlich wachsende Printausgabe und Online-Zugänge

Trotz starker Digitalisierung in der Kultur des Buches ziehen es immer noch viele vor, sich Material auf der “Papierbasis” zu besorgen.
Dazu gehört seit 1997 das von dem Religionswissenschaftler  Udo Tworuschka und dem Historiker Michael Klöcker im Olzog-Verlag München herausgegebene
HANDBUCH DER RELIGIONEN (HdR)
Zugang zur Printausgabe: hier

Viele Spezialisten und für die einzelnen Themenfelder zuständige Fachgebietsleiter haben dieses Handbuch im Ringformat mit jährlichen Ergänzungslieferungen zu einem vierbändigen Werk anwachsen lassen. Inzwischen finden sich in den Ordnern mit inzwischen 37 Ergänzungsliefeungen über 4500 Seiten Text (!).
Hier wurde also ein umfassendes Lexikon der Religionen entwickelt.  Es ermöglicht einen umfangreichen Überblick über die Geschichte und Gegenwart der verschiedenen religiösen Traditionen und Strömungen in Deutschland.  Das macht allerdings die Übersicht und schnelle Auffindbarkeit bestimmter einzelner Themen nicht immer leicht.

Das Gesamtinhaltsverzeichnis bietet darum eine erste Übersicht.
Download Inhaltsverzeichnis: hier

Weiterhin können über eine Suchmaske nun alle Artikel als Volltextsuche
(einige kostenlos, die meisten gegen geringe Gebühr) online abgerufen und heruntergeladen werden:
Online-Zugang zum HdR

Dieses umfassende Werk zu den Konfessionen und Religionen  im deutschsprachigen Raum hat mit seinen Grundsatzbeiträgen eine religionswissenschaftliche Basis gelegt. Mit den Aktualisierungen zu religiösen Entwicklungen und Veränderungen dürfte es für die Recherche von Fachleuten und Interessierten aus allen gesellschaftlichen Bereichen ausgezeichnet recherchierte Zugänge für eine sachkompetente Orientierung bieten.

 

 

Religionsmonitor 2013 – Studie: “Religiosität im internationalen Vergleich”

Rz-Religionsmonitor-internationalDer Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung 2013 hat im Frühjahr erhebliche Beachtung und Diskussionen ausgelöst. 
Das gilt für den Bereich: “Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland“.
(vgl. Besprechung in den “Ein-Sichten” vom  25.06.2013).

Der kürzlich vorgelegte Teil über Religiosität im internationalen Vergleich” dürfte eine ähnliche Wirkung zeigen.
Der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel hat die Auswertung vorgenommen.

Hier der gesamte Text zum Download

Das MIGAZIN, Fachmagazin für Migration und Integration in Deutschland (25.06.2013) hat eine übersichtliche Beschreibung und differenzierte Bewertung vorgelegt. Sie zeigt, dass bei den Länderuntersuchungen Religiosität in Europa kontinuierlich abnimmt (mit einigen typischen Länderabweichungen), aber außerhalb Europas eine gesellschaftlich entscheidende Rolle spielt. Dabei ist in Europa insgesamt ein recht entspanntes Verhältnis zu Religion(en) zu beobachten. Eine Ausnahme bildet der Islam. Er wird weiterhin überwiegend  negativ eingeschätzt und gilt für viele nicht mit der Demokratie vereinbar. Nachdenklich machende und zum Teil beunruhigende Bilanzen, auf die Religionsgemeinschaften und politisch Verantwortliche unbedingt angemessen reagieren müssten!

Man darf auf die weiteren Auswertungen gespannt sein! 

Buch des Monats Juli 2013: Reformer im Islam

Rz-Amirpur-Islam-neuKatajun Amirpur: Den Islam neu denken. 
Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte
Beck`sche Reihe: bsr 6075. München: C.H. Beck 2013. 256 S. Abb.
— ISBN 978-3-406-64445-0

Ausführliche Besprechung: hier

Die Autorin, inzwischen Professorin für Islamische Studien in der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, hat sich schon längst einen Namen gemacht, nicht nur als Journalistin zum Thema Islam, sondern auch als kompetente Islamwissenschaftlerin. So nimmt man mit Spannung ihre neue Publikation zur Hand, weil schon der Titel ahnen lässt, dass es hier um ein dem Islam gemäßes und zugleich modernes Verständnis dieser oft diskreditierten Religion geht. Das Vorurteil eines nicht der Moderne fähigen und unaufgeklärten Islams möchte Katajun Amirpur nicht nur allgemein begegnen, sondern dies auch konkret an ReformerInnen des Islams nachweisen.

Für ihre beeindruckende Vorstellung  islamischer Neudenker  hat die Autorin aus der großen und allgemein wenig beachteten Vielzahl von Reformern die folgenden ausgewählt: Nasr Hamid Abu Zaid, Fazlur Rahman, Amina Wadud, Asma Barlas, Abdolkarim Soroush und Mohammed Mojtahed Shabestari.

Bilanz
Die hier zusammen gestellte Auswahl progressiver islamischer Denkerinnen und Denker bestätigt, dass es „den Islam“ nicht gibt, sondern auch innerislamisch intensiv um ein angemessenes heutiges Verständnis des Korans und islamischer Lebensgestaltung gerungen wird. Gerade angesichts der vielen Vorurteile gegenüber der geistigen Unbeweglichkeit des Islam ist dieses Buch eine notwendige Klarstellung. Auch weil es gut recherchiert und übersichtlich zu lesen ist, wäre zu wünschen, dass diese hier vorgestellten Muslime einer breiten Öffentlichkeit bewusst werden.

Dieses Buch gibt damit wertvolle Impulse, die Reformgedanken muslimischer Theologen gesellschaftlich und praktisch umzusetzen.

Reinhard Kirste

 Rz-Amirpur-Islam-neu, 30.06.12   

Buch des Monats Mai 2013: Macht und Ohnmacht der Religionen

Rz-Boberski-WeltmachtHeiner Boberski / Josef Bruckmoser: Weltmacht oder Auslaufmodell.
Religionen im 21.Jahrhundert
.
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2013, 222 S.
— ISBN 978-7022-3239-9 — auch als E-Book erhältlich

Ausführliche Beschreibung: hier

 Die beiden Journalisten und zugleich theologisch kompetenten Sachbuchautoren Heiner Boberski (Wiener Zeitung) und Josef Bruckmoser (Salzburger Nachrichten) nehmen sich in leicht lesbarer, aber keineswegs populistischer Form den Schwankungsfeldern von Religion an. Sie konstatieren für die Gegenwart Ablehnung von (organisierter) Religion einerseits und neue religiöse, oft seltsame Phänomene andererseits. Ihre Einschätzungen sichern sie immer wieder mit statistischen Belegen ab. Hinzu kommen medienwirksame Auftritte religiöser Persönlichkeiten wie die des Dalai Lama und der Päpste. Darum lohnt sich ein genaueres Nachschauen, denn: „Die religiöse Weltkarte ist … im Lauf der Geschichte nie über längere Zeit stabil geblieben … “ (S. 20).

Letztlich wirken Religionen am intensivsten und überzeugendsten mit ihrer dialogischen Friedensmacht, immer wieder geprägt durch Vorbilder des engagiert gelebten Glaubens. So gesehen sind sie keineswegs ein Auslaufmodell. Wichtig aber bleibt, dass nicht immer wieder religiös motivierte Brutalität, diese Versöhnungskräfte diskreditiert. Das vorliegende Buch stellt angenehmerweise nicht nur Fragen oder referiert Gesellschaftsanalysen, sondern zeigt, wie Religionen als Brücken einer gerechten und solidarischen Zukunft der Menschheit dienen können – eine schöne Verbindung und ein wichtiger Aufruf zu respektvoller Verbindlichkeit gegenüber allen Andersglaubenden. Es ist ein Buch, dem man viele Leser wünschen möchte.

Reinhard Kirste 

Rz-Boberski-Weltmacht, 27.04.13

 

 

Buch des Monats März 2013: Jesus im Koran

Rz-Bauschke-JesusMartin Bauschke: Der Sohn Marias. Jesus im Koran.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, 200 S., Koranstellenregister
— ISBN 978-3-650-25190-9 —

Der Religionswissenschaftler Martin Bauschke, Leiter des Berliner Büros der Stiftung „Weltethos“, hatte bereits 2001 (Böhlau-Verlag) das Buch „Jesus im Koran“ herausgebracht. Was im ersten Augenblick wie eine Neuauflage erscheint, zeigt sich sehr schnell als ein wirklich neues Buch. Bauschke hat nämlich nicht nur die theologischen Debatten seit der Erstausgabe seines Buches eingearbeitet, sondern die gesamte Struktur systematisiert und stärker religionswissenschaftlich ausgerichtet. Dem Autor kommt zugute, dass er seit vielen Jahren dieses Thema nicht nur erforscht, sondern auch einem interessierten Leser- und Hörerkreis vermittelt. Dies mag auch die Ursache sein, dass sich dieses Buch nicht nur für Fachleute, sondern für jede/n Interessierte/n gut liest. Im Anhang gibt es noch einen Fragebogen und Vergleichstabellen für Koran und Neues Testament.

Der Autor gliedert sein Buch in 14 Kapitel mit 8 (optisch besonders herausgehobenen) Exkursen, die zum einen spezielle islamische Vorstellungen und zum anderen verstärkt heterodoxe christliche Anschauungen von Jesu Wirken, Leben, Sterben und Auferstehen zur Sprache bringen. Er führt hier letztlich eine 1400jährige, keineswegs unproblematische Dialoggeschichte fort, die mit dem Koran begonnen hat. 

Das Fazit formuliert Bauschke so: „Der Koran widerspricht jeder gleichsam ‚göttlichen‘ Christologie. Jesus ist … ein sterbliches Geschöpf … Das Messiasbekenntnis des Korans stellt … eine theozentrische Re-Interpretation der Gestalt Jesu angesichts der vielfältigen, auch noch zur Zeit Muhammads miteinander konkurrierenden christlichen Christologien dar.“ (S. 160f.161). „Man kann das theozentrische Jesus-Zeugnis des Korans auch eine zeichenhafte Messianologie nennen“ (S. 164). 

Diese grundlegende Arbeit ist auch als Basis für den christlich-islamischen Dialog wichtig, denn: „Im heutigen multikulturellen Kontext ist kein Christsein mehr möglich – es sei denn um den Preis fundamentalistischer Abschottung und Ignoranz – an den mitten unter Christen lebenden Muslimen vorbei“ (S. 165). So hat er hier die Basis für ein sachgerechtes Gespräch über Jesus zwischen Christen und Muslimen erheblich vertieft und auf breite religionswissenschaftliche und hermeneutische Grundlagen gestellt. Dies macht das Buch für Christen und Muslime gleichermaßen wichtig und interreligiös grundlegend. 

                                                                                                                                                     Reinhard Kirste

Sekten – aus der facettenreichen Vielfalt religiöser Bewegungen

Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten.
Von Paulus bis Scientology
.
Mit einem Vorwort von Marco Frenschkowski.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 320 S.
— ISBN 978-3-525-56013-6.

Ausführliche Beschreibung: hier

Der Soziologe Gerald Willms unterscheidet sich in dieser Darstellung von den bekannten kirchlichen Kompendien zur Sektenproblematik. Die großkirchlich eingeleitete Frage: “Ist eine bestimmte Gruppe mit den Richtlinien der Großkirche in Übereinstimmung zu bringen, oder eben nicht?“, entfällt bei Willms. Die Frage: „Darf man – oder darf man nicht?“, wurde bis dato kirchlich erörtert. Willms hingegen sortiert nicht „gut und böse“ aus. Er lässt das Spektrum religiöser Erscheinungen einfach nebeneinander existieren. Für Willms trifft die gängige Anti-Sekten-Polemik nicht zu. Das gewohnte „Schwarz-Weiß-Denken“, fordert deshalb bei der Lektüre der wunderbaren Welt einige konzentrierte Veränderungen.
Das Buch ist im eigentlichen Sinne die endgültige Aufgabe der ehemaligen alleingültigen kirchlichen Deutungshoheit, nämlich was als „richtig“ oder „falsch“, „wahr“ und „unwahr“ einzuschätzen ist. So ist das Entscheidende: Der Autor muss nicht gegen jemanden oder gegen eine religiöse Richtung opponieren. Sogar das eigene Urteil zu Scientology hält der Autor einer angstverzerrten weltanschaulichen Opposition entgegen. Ich verstehe das als einen möglichen demokratischen Akt, der in der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert ist.
Ohne „Aus“- oder „Nicht-Ausgrenzen“ zu müssen, entspannt sich die religiöse Lage von selbst. Von selbst kann es zum heiteren Dialog werden. So lässt sich der Leser vom Autor zum eigenen entspannten Überblick von den Anfängen des Christentums bis in die Gegenwart mit einem Schuss Humor einladen.
Und man vergesse es nicht: Zur zeitlos gültigen Unbestechlichkeit gehört Humor. Gerald Willms verbindet Sachlichkeit mit dieser heiter gestimmten Gelassenheit. Sie macht das Buch so sympathisch.

Gerhard Kracht
ehemaliger Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
der Evangelischen Kirche von Westfalen

Rz-Willms-Sekten, 08.12.12

Buch des Monats November 2012: Interkulturelle Erweiterung der “Moderne”

Hans Schelkshorn / Jameleddine Ben Abdeljelil (Hg.): Die Moderne im interkulturellen Diskurs. Perspektiven aus dem arabischen, lateinamerikanischen und europäischen Denken.
Göttingen: Velbrück Wissenschaft 2012, 250 S. — ISBN 978-3-942393-33-1

Ausführliche Besprechung: hier

Schon unter den Bedingungen des Kolonialismus entwickelten sich im 19. Jahrhundert in Lateinamerika und Asien eigenständige Debatten, „in denen die Herausforderungen der westlichen Zivilisation mit den eigenen kulturellen Traditionen vermittelt“ wurden bzw. in Verbindung gebracht werden sollten. Es ging und geht dabei immer noch darum, ob und wie sich das Denken an veränderte Bedingungen anpassen kann und muss. Diese dortigen Diskurse wurden allerdings in Europa und in Nordamerika lange Zeit kaum wahrgenommen, und Afrika trat überhaupt erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ins westliche Blickfeld. Erst die verstärkte Globalisierung änderte hier sowohl Blick- wie Denkrichtung. Der sog. Arabische Frühling ist das aktuellste Zeichen über das Problemfeld „Moderne“ im Kontext von Interkulturalität und zeigt zugleich, wie notwendig ein solches Buch wie das vorliegende ist.
Weil der eurozentristische Blick kulturell weiter die Runde macht, halten die Autoren einer solch einseitigen Wahrnehmung eine Konzentrierung auf den arabischen und lateinamerikanischen Raum entgegen – Gegendiskurse, die aus der Begegnung eigenständigen indigener Weisheit und entsprechender Denktraditionen entstehen. Die aufgezwungenen (post-)kolonialen Strukturen in diesen Ländern haben die durch den „Westen“ bedrohten Kulturen in einen Überlebenskampf gezwungen. Diese Auseinandersetzung eröffnet jedoch zugleich Sehweisen, auf die die europäische Moderne reagieren muss. Dies kann nur sinnvoll auf der Ebene der Gleichwertigkeit geschehen. Im Grunde müsste in der Fortsetzung dieser Diskussion noch Asien insgesamt und das Afrika südlich der Sahara mit einbezogen werden.

Reinhard Kirste

Rz-Schelkshorn-Moderne, 31.10.12

Buch des Monats September 2012: Jenseits von Himmel und Hölle

John Shelby Spong: Jenseits von Himmel und Hölle. Eine neue Vision vom ewigen Leben. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gerhard Klein.

Ostfildern: Patmos 2011, 221 S.  — ISBN 978-8436-0028-6 

Ausführliche Besprechung: hier

Kurzrezension
Der Autor dieses Buches, John Shelby Spong (geb. 1931), emeritierter anglikanischer Bischof, gehört zu den bekanntesten religiösen Autoren der USA. In seinen Büchern vertritt er mutige Thesen für ein erneuertes und gegenwärtiges Christentum jenseits des bisherigen Christentums.1 Spong versucht, eine postmoderne Weltsicht mit einem Glauben zu verbinden, der die Naturwissenschaft ebenso wie wichtige bibelexegetische Erkenntnisse ernst nimmt. Für das praktische Leben müssen diese auch ethisch im Sinne des Engagements für die Ausgegrenzten umgesetzt werden.

Als alter Mann, der nun sein letztes Buch veröffentlicht, ist ihm klar geworden, dass er dies nur als persönliche Beschreibung darlegen kann und nicht als christliche Theorie über Himmel und Hölle. Im Bedenken seiner eigenen Biografie untersucht Spong genauer sein zunehmendes religiöses Interesse, das bei ihm erhebliche Glaubensveränderungen bewirkte

Das den Autor lange prägende externe Religionsverständnis einer „Gottheit über uns“, möchte er überwinden zugunsten einer „Gottheit in uns“ (S. 128). Und so ist „das Göttliche, das wir immer suchten, eine Dimension des Menschlichen“ (S. 138). Man merkt, dass sich Spong mystischen Sichtweisen annähert. und letztlich ein Neuverständnis wahrhafter Dimension von Religion! 

Anm 1:  Rezension hier  zum Buch von J.Sh. Spong: Die Sünden der heiligen Schrift. Wie die Bibel zu lesen ist (2007)

                                                                                                                                                 Reinhard Kirste

 

 

Religiöse Erziehung – christliche und islamische Perspektiven

Stella El Bouayadi-van de Wetering /Siebren Miedema (Eds.): Reaching for the Sky.
Religious Education from Christian and Islamic Perspectives.  

Currents of Encounter – Studies on the Contact between Christianity and Other Religions, Beliefs, and Cultures 43

Amsterdam/New York, NY: Rodopi 2012, VII, 284 S. Index.
– ISBN: 978-90-420-3479-2

Religiöse Erziehung gerät in multikulturellen Gesellschaften und angesichts von Migrationssituationen zu einer besonderen Herausforderung für Eltern, Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, aber auch für Moscheevorstände und Hodschas. Kinder und Jugendliche müssen ihren eigenen Weg in Auseinandersetzung und Dialog mit herkömmlichen und auch provozierenden Lebensmustern finden und eine eigene Weltsicht aufbauen. Wie gehen junge Menschen mit ihrer Herkunftsreligion um? Wie lässt sich tolerantes, friedvolles und dialogoffene Verhalten einüben? Wie sollen Jugendliche unterrichtet werden? Welche Bedingungen sind für interreligiöses Lernen notwendig?
Der wissenschaftliche Diskurs wird  im Bereich der religiösen Erziehung neue Horizonte eröffnen müssen. Der Fokus ist dabei besonders auf das Christentum und den Islam gerichtet. Das hängt mit den sich ändernden Gesellschaftsstrukturen und ihren Prägungen zusammen – in der Spannung zwischen säkular und fundamentalistisch.


Die Herausgeber, die Arabisch-Lektorin und Erziehungswissenschaftlerin Stella El Bouayadi-van de Wetering, der Professor für Religiöse Erziehung Siebren Miedema und der ReligionsphilosophHenk Vroom (alle von der Freien Universität Amsterdam), bündeln die Materialien und Vorträge einer Konferenz, die in enger Zusammenarbeit mit dem niederländischen Zentrum für Islamische Theologie, internationalen Erziehungswissenschaftlern und mit der Liga der Islamischen Universitäten in Kairo entstanden. Die Auswahl der Themen bezieht sich darum einerseits auf Kommunikationsstrukturen der religiösen Erziehung, der Normen und Werte in Elternhaus, Moschee, Kirche und Schule, zum anderen auf Länder, in denen schon intensive Erfahrungen mit Multireligiosität vorliegen, hier konkret: Türkei, Indonesien, Libanon, Niederlande, Deutschland, Belgien und Ägypten. Zugleich stehen die Jugendlichen im „Verbund“ und in Auseinandersetzung mit den Erwachsenen und den Erziehungsinstitutionen. Stark beeinflussend wirkt sich verständlicherweise das Verhalten unter ihresgleichen aus, die Problematik der „Peer-Groups“. Die Autoren beschreiben darum aktuelle Prozesse im Erziehungsgeschehen und zeigen Verluste, Problemstellungen und Neufindung religiöser Identität bei Jugendlichen. Sie verbinden ihre Analysen und Einschätzungen mit den Intentionen, Lernfelder aufzubauen, in denen andere Glaubenstraditionen respektiert und die jeweiligen Einflussmechanismen von Elternhaus, Schule, Kirche, Moschee, den Medien und der „Straße“ einbezogen werden.
Die Herausgeber weisen im Vorwort daraufhin, dass die Beiträger/innen – durchweg Erziehungswissenschaftler/innen Methoden und Handlungsanleitungen für die Erziehung junger Menschen (mit und ohne Migrationshintergrund) liefern möchten. Angesichts stärker auftretender antiislamischer Tendenzen in den europäischen „autochthonen“ Gesellschaften ist dies dringend nötig, damit künftige Gesellschaften durch Toleranz und dialogoffene Wertehaltungen geprägt werden.
Mualla Selçuk von der Universität Ankara zeigt, dass die koranische Bedeutung der “Leute des Buches” ein Kommunikationsmodell für eine interreligiös offene islamisch-religiöse Erziehung sein kann. Erhebliche Praxiserfahrungen bringt Ina ter Avest (Amsterdam) ein, und zwar in der Reflexion von drei Grundschul-Beispielen, die einen unterschiedlichen religiösen bzw. säkularen Hintergrund haben. Begegnung zwischen Menschen verschiedener Religionen verläuft Verstehen fördernd am besten „spielerisch“. Die „Spieler“ sind dabei Lehrer und Kinder gleichermaßen im Blick auf den Andern und das Andere. Sie wirken miteinander überzeugend sind dann überzeugend, wenn sie didaktisch verantwortet „predigen“, was sie bereits praktizieren. Alma Lanser-van der Velde (Amsterdam) hebt die Bedeutung des praktischen Umgangs mit Religion in familiärer Kindererziehung hervor. Dihyatun Masqon Ahmad vom Zentrum für Islamische und Westliche Studien aus Ost-Java berichtet von der Dynamik einer modernen islamischen als Internat geführten indonesischen Erziehungseinrichtung, der Pondok Pesantren.
Die Herausgeberin El-Bouayadi-van de Weteringgeht näher auf die Problematik zwischen häuslicher Erziehung, Unterricht in der Moschee und säkularem Umfeld in den Niederlanden ein. Der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer bezieht sich auf eine ähnliche Konstellation in mehreren europäischen Ländern im Blick auf die häusliche (oft fehlende) religiös-familiäre Erziehung und die kirchlichen Möglichkeiten, hauptsächlich im Zusammenhang mit der Konfirmation. Goedroen Juchtmans von der Katholischen Universität Löwen hebt die Bedeutung der Frauen in der religiösen Erziehung hervor. Sie setzen sehr stark auf rituell-spirituelle Impulse im Sinne einer Sakralisierung des Lebens.
Es folgt der Blick in den Nahen Osten: Im Libanon trägt die christliche Erziehung durch die geopolitische Lage osmanische, arabische und westlich-missionarische Prägesignaturen und zugleich blutige Bürgerkriegserfahrungen, wie der Theologe Rima Nasrallah (Beirut) dokumentiert. Bahaeddin Budak (Amsterdam) konzentriert sich zusammen mit der Herausgeberin auf die muslimische Jugend, die unbedingt spirituelle Orientierung braucht und z.T. in der Gefahr steht, sich auf religiösen Extremismus einzulassen. Die Niederlande sind geradezu ein Brennpunkt für diese kritische Gemengelage im Zusammenhang mit der „Versäulung“ im niederländischen Schulsystem und der fortschreitenden Säkularisierung. Gerdien Bertram-Troost und der Herausgeber Siebren Miedema (beide Amsterdam) sind sich über die Wirkungen religiöser Erziehung aufgrund empirischer Untersuchungen recht unsicher. Arslan Karagül (Amsterdam), der neben islamische Erziehung den Schwerpunkt „spiritual care“ (Seelsorge) unterrichtet, ist angesichts der Schwächen in der Praxis islamischer Erziehung und fehlender umfassender Erziehungskonzepte für die Zukunft ziemlich beunruhigt. In diesem Zusammenhang lohnt der Vergleich zweier säkularer multikultureller Gesellschaften, nämlich der Türkei und der Niederlande im Blick auf die Fakten und Faktoren religiöser Erziehung – so die Überlegungen von M. Fatih Genç aus der Türkei (Ankara), Ina ter Avest und Siebren Miedema (Niederlande).
Eine andere Sichtweise eröffnen Hussein Bashir Mahmoud(Kairo) und die Herausgeberin Stella El Bouayadi-van de Wetering, indem sie zuerst auf die Bildungsgeschichte und dann auf die Leitlinien islamischer und religiöser Erziehung eingehen, wie sie in ägyptischen Primar- und Sekundarschulen gehandhabt wird: Toleranz als ethischer Wert spielt hier eine herausragende Rolle. Aus christlicher Sicht diskutiert Manfred L. Pirner (Universität Erlangen-Nürnberg), wie die „Peer Groups“ der Jugendlichen mit dem Einfluss der Medien umgehen und eine „Selbst-Sozialisation“ stattfindet, die zwar auch religiös geprägt sein kann, aber ohne die Muster der klassischen Religionen auskommt. In eine ähnliche Richtung geht Nabil Alsamaloty, Soziologe an der Al-Azhar-Universität in Kairo, zusammen mit der Herausgeberin: Unter Heranziehung soziologischer Theorien auch zum Konfliktmanagement legen sie den Schwerpunkt ihrer Argumentation zum einen auf die Entwicklung kriminellen Verhaltens als Folge von Ausgrenzung und zum andern auf soziale und ökonomische Gewalt im Kontext extremer Armut. Fundamentalistisch und terroristisch orientierte Peer-Groups können sich für ihre gewaltsame Konfliktbereitschaft religiöse Muster aneignen, die originale Glaubenstradition konterkarieren. Das gilt nicht nur für junge Muslime, sondern für junge Menschen in allen Religionen.
Wolfram Weiße von der Akademie der Weltreligionen in Hamburg stellt die Ergebnisse des sog. REDCo-Projektes vor: Es handelt sich um eine Untersuchung, die religiöse Erziehungskonzepte mit (recht heterogenen) religiösen Einstellungen von 14-16jährigen Jugendlichen in mehreren Ländern Ost- und West-Europas kombiniert. Insgesamt hält die Mehrheit der Angesprochenen ein Kennenlernen anderer Religionen in der Schule für friedensfördernd. Dem fügt Redbad Veenbaas (Amsterdam) das Ergebnis einer ähnlich strukturierten kleinen Untersuchung aus den Niederlanden über die religiösen Werte- und Normvorstellungen junger Muslime hinzu, die auch gesellschaftlichen Veränderungen durch die „Straßen-Kultur“ unterliegen.
Die Herausgeber gehen im Epilog nicht nur der Frage nach, ob es religiöser Erziehung gelingt, „reaching for the sky, also „nach dem irdischen Himmel zu greifen“. Ob das wohl die Vorstufe zum transzendenten Himmel (heaven) ist? Der Blick auf christliche und muslimische Jugendliche insgesamt spiegelt nur einen Augenblicksstand. Dieser ist von der Spannung religiöser Erziehung in familiärer Tradition und dem Mangel religiös-authentischer Sprache in säkularen Gesellschaften geprägt. Angesichts nicht zu übersehender Komplexitäten im Feld religiöser Erziehung kann diese Zusammenstellung und  mit der Auswertung einer Reihe von Analysen zuerst eine Bewusstseinsschärfung erreichen. Zum andern aber bietet das Buch Orientierungsempfehlungen für eine dialogische Religiosität, die wirklich ernst genommen und umgesetzt werden sollten.
Reinhard Kirste
Rz-El Bouayadi-RE-Sky, 20.05.12

Innerislamische Kontroversen um Koexistenz und Gewalt

Zusammenfassende Rezension   
Ausführliche Besprechung:
hier anklicken! –
Tilman Seidensticker (Hg.): Zeitgenössische islamische Positionen zu Koexistenz und Gewalt.
Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2011; VIII, 184 S., Index der modernen muslimischen Denker
ISBN 978-3-447-06534-4

Das Wort „Islam“ verbindet sich für viele mit „Gewalt“. Sich auf den Islam berufende Terroristen rechtfertigen ihr Tun damit, dass sie behaupten, diese Gewalttätigkeiten seien von der islamischen Tradition her gerechtfertigt. Allerdings richtet sich die Gewalt nicht nur gegen „Ungläubige“, sondern vielfach auch gegen Muslime selbst. Nun gibt es durchaus Gewalt befürwortende und Gewalt ablehnende Richtungen innerhalb der islamischen Welt. Der Jenaer Arabist und Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker hat nun mit einer Reihe von Fachleuten (überwiegend der jüngeren Wissenschaftler-Generation) diese „Islamischen Kontroversen über Berechtigung von Gewalt“ genauer untersucht.

Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September in den USA und am Beginn des „arabischen Frühlings“ stellt sich die Frage nach der möglichen Zwangsmentalität einer Religion besonders intensiv. Es lässt sich ja kaum vorhersagen, welche Entwicklungen in der islamischen Welt insgesamt dominieren werden. Die dogmatisch auftretenden Fundamentalisten fordern eine Rückkehr zu den Regeln und Statuten der Urgemeinde, wohlgemerkt, wie sie diese verstehen. Die Konsequenz ist oft genug, dass sie ihr Verständnis auf konfliktreiche Art und gegen alles „Westliche“ in die Gegenwart zu übertragen versuchen. Andersdenkende werden als Häretiker oder Ungläubige diffamiert. Aber das ist nur die eine Seite, wenn man einmal genauer die innerislamischen Kontroversen betrachtet.
Es geht grundsätzlich um die Spannung zwischen Toleranz und Gewalt, zwischen Verteidigung von islamischen Errungenschaften und Kampfansage an die Ungläubigen, die in den unterschiedlichen Auslegungen von djihadzum Ausdruck kommen, nämlich (Mariella Ourghi, Freiburg). Das Absolutheitsdenken scheint in diesem Zusammenhang eine wesentliche Positionsverschärfung mitzubringen: Monopolanspruch auf das Paradies (so Johanna Pink, Berlin). Dagegen stehen flexiblere und Dialog offene Haltungen wie die von Said Nursi (1876 [?]–1960, kurdischer Herkunft, Türkei) und Mahmud Taha (1909 /1911–1985, Sudan), bis hin zur sog. Mardin-Intiative muslimischer Intellektueller von 2010. Die Djihad-Doktrin zwischen gewaltsamem Vorgehen gegen Ungläubige und Verteidigung des (wahren) Glaubens braucht also eine dringende Neubesinnung, um den Terrorismus gegen sog. falsche Muslime und „westliche Ungläubige“ auszubremsen. Hermeneutischen Monopolansprüchen bei der aktualisierenden Auslegung der Prophetentradition, der Hadithe, muss darum ein Riegel vorgeschoben werden. Selbst innerhalb des islamistischen Spektrums gibt es inzwischen eine wachsende Ablehnungsfront gegen extreme, sich auf den Koran und die Prophetentradition berufende Gewaltbereitschaft (Rotraud Wielandt, Bamberg). Die Frage bleibt allerdings, ob es eine neue Hermeneutik gegen islamistische Gewalt aus der derzeitigen religiösen Gemengelage heraus geben wird. Die extreme Spannbreite der Djihad-Verständnisse zwischen rückwärts gewandter Veränderung und liberaler Reform hat bekannte Namen an den jeweiligen „Eckpunkten“. Sie reichen von al-Maududi über Sayyid Qutb bis zu Fazlur Rahman und Mahmoud Taha.
Dieser Sammelband gibt differenzierende Einführungen in zeitgenössische Kontroversen zum Thema „Gewalt“. Er ist für alle empfehlenswert, die als aufmerksame Zeitgenossen die innerislamisch-theologischen, islamistischen und gesellschaftspolitischen Bewegungen besser verstehen wollen. Da das Spektrum dieser Debatte noch wesentlich größer ist, als in dieser Zusammenstellung angezeigt werden konnte, wäre sicher ein Fortsetzungsband sinnvoll.
Reinhard Kirste