Origenes Levitikus

Origenes: Die Homilien zum Buch Levitikus.
Eingeleitet und übersetzt von Agnethe Siquans.

(Origenes Werke Deutsch OWD 3)
Berlin: De Gruyter 2021. VI, 508 Seiten.

ISBN 978–3–11–076034–7

 

U n t e n  eine Übersicht aller bisherigen Rezensionen von Christoph Auffarth zu den Origenes-Ausgaben!

 

Was ist heilig, wenn es kein Opfer mehr gibt?
Der Christ Origenes legt die Opfervorschriften des Alten Testaments aus

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Was sollen christliche Leser mit den Opfervorschriften des Alten Testaments anfangen? Origenes ‹übersetzt› sie in das Denken der Philosophie und Theologie seiner Zeit, indem er sie durch Allegorie und Spiritualisierung zu einem christlichen Text macht. Dabei macht er sich die Mühe, möglichst jeden Vers des Originals (um–) zu deuten.

Ausführlich:

Das Buch Levitikus (das dritte Buch Moses) könnte aus christlicher Sicht auf das »Alte« Testament nicht überholter sein, beschreibt es doch sehr detailliert die Regeln für Rituale, die die jüdischen Priester nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (das ist die Situation zur Zeit des Origenes) nicht mehr in Realität ausführen konnten.[1] Andrerseits haben die Christen die Beschreibung des Versöhnungstages (Jom Kippur) in Levitikus 16 als das Modell für das Verständnis für den Tod Jesu uminterpretiert: Stellvertretung und Sündenbock sind im Neu­en Testament, besonders im Hebräerbrief verwendet, um etwas Unmögliches auszusagen: Christus sei sowohl das Opfer, das geopfert wird, und gleichzeitig der Hohepriester, der das Opfer ausführt, Täter und Opfer in einem. Was so gar nicht möglich ist, und weit entfernt ist von den historischen Fakten des Todes Jesu, wurde zur Metapher, die in jeder Messe wieder aufgeführt wird: das ‹Selbstopfer› Christi, das auch zum Vorbild des Lebens der Christen wird. Kaum einer der Theologen der römischen Kaiserzeit und der Spätantike (Kirchenväter) hat das Buch des christlichen Alten Testamentes erklärt. Für seine christlich-philosophische Auslegung verwendet Origenes das folgende Bild in Homilie 10 (S. 344/345), um den Text zwar ernst zu nehmen und Kapitel für Kapitel ziemlich vollständig als christlichen Text zu verstehen:[2] Ein Bildhauer darf zunächst sein Können beweisen und verbessern an Bronze­bildern, bevor er die Meisterschaft ausbildet, auch Statuen aus Silber und Gold zu gießen. Aber zuvor macht er sich immer ein Modell aus Lehm (Ton), an dem er schon alle Einzel­heiten vorwegnimmt, die auch im Meisterwerk aus edlem Material dann gestaltet werden. Am Ende wird das Tonmodell nicht mehr benötigt. Anders als etwa Markion, der die Hebräische Bibel völlig verwarf, eigneten sich die als ‹rechtgläubig› geltenden Theologen (Origenes verwendet dabei die Begriffe Haeretici und Catholici 138,20/24, vgl. in Ios. hom. 9,8. 10,2. 14,2 und in Cant. comm. III 16f) das Alte Testament an.[3] Durch die allegorische Auslegung bekommt es eine gänzlich neue Bedeutung. Trotzdem bleibt für Origenes der Wortlaut von Bedeutung, er findet einen ‹Verlust›, bemerkt, dass etwas verloren ist, während die Häretiker etwas »unterschlagen«.[4] Wie dieses Beispiel verwendet Origenes noch weitere Metaphern aus Paulus wie »Schatten« oder »Verhüllung« (AS 9–14).

Der Heilige Ort, der auch im Buch Levitikus eine Utopie und nicht den Tempel in Jerusalem darstellt, denn die Opferregeln werden fiktiv in der Wüste für das ‹Zelt der Begegnung› des Volkes mit Gott gegeben, vermittelt durch den Hohenpriester (die Stiftshütte). Die Heiligkeit des visionären Ortes verlegt Origenes in das Innere des Menschen: »Den heiligen Ort suche man aber nicht auf der Erde, sondern im Herzen. Denn ein heiliger Ort wird die vernünftige Seele genannt.« (hom 13,5. S. 408f.2f). Nicht allein »Seele«, sondern mit Platons Dreiteilung der Seele soll das Vernünftige, Logikon λογικόν, die beiden anderen Teile das Mutige thymoeides θυμοειδές und die Begierde epithymetikon ἐπιθυμητικόν beherrschen und lenken. Denn die Seele, so führt Origenes den Gedanken fort, kann auch der Ort des Teufels werden. (Anders als in den bisherigen Bänden ist die Platon-Rezeption hier nicht so prominent nachgewiesen). – Die Übersetzung des Rufinus trifft wohl ganz gut den Sinn, ist aber keine Wort-für-Wort Übersetzung. Das zeigen die wenigen Stellen, an denen der griechische Text durch andere Tradition erhalten ist. Zudem versuchte Rufinus in einer Zeit anderthalb Jahrhunderte später ein Problem zu lösen. Origenes war in Verruf geraten, dass manche seiner kühnen Gedanken nicht dem ‚rechten Glauben‘ entsprächen. Rufinus versuchte das zu entschärfen (50-52). Die wichtige Frage, inwieweit der mittlerweile in Palästina lebende Origenes auch jüdische Auslegungen von Rabbinern kannte und berücksichtigte, die ja ebenfalls den Text auslegten, ohne dass da noch im Tempel die Rituale real vollzogen werden konnten, ist differenziert beantwortet (37-43).

Das ist der mittlerweile elfte Band in der Origenes-Ausgabe, die dank der treibenden Kraft von Alfons Fürst Jahr um Jahr wächst, elf weitere sind ‹in Vorbereitung›.[5] Dazu muss der Herausgeber jeweils kompetente Bearbeiter gewinnen, die nicht nur über die Alten Sprachen Griechisch, Latein und Hebräisch verfügen, sondern auch die Kirchenväter umfangreich studiert haben, also die christlichen Theologen vom 2. bis zum 6. Jahrhundert. Dazu ist eine Kenntnis der antiken Kultur, besonders der Philosophen nötig, zu denen sich Origenes zählt und mit denen er sich auseinandersetzt. Ein solcher seltener Glücksfall einer Bearbeiterin ist Agnethe Siquans.[6] Wie alle Bände der Reihe ist der lateinische Text, die lateinische Über­setzung des Rufinus und der leider bis auf ganz wenige Zitate des originalen, sonst aber verloren gegangenen griechischen Textes des Origenes aus der kritischen Ausgabe von Wilhelm Adolf Baehrens übernommen, die auch nach hundert Jahren nicht überholt ist (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 29. = Origenes, Band 6. Leipzig 1920, 280—507 und desselben Überlieferungsgeschichte 1916). Der Übersetzung gelingt es, wie schon für den ersten Band angemerkt, die Balance zu halten, einerseits erst genau den Sinn zu erfassen, dann das Gemeinte in die Zielsprache Deutsch so zu übersetzen, dass der Wortlaut des Originaltextes möglichst erkennbar bleibt, der auf der Seite daneben gedruckt ist (und zu dem die Übersetzerin immer auch noch überlegen muss, welches griechische Wort dort gestanden haben dürfte). Ein ‹Apparat› weist die vielen Bibelstellen nach, die Origenes verwendet, um aus dem alttestamentlichen hebräischen Text einen griechischen normativen Text zu machen (Zur Methode von Origenes› Auslegung AS 14–19). Dazu eine bewusst knappe Kommentierung, die vor allem die Erklärungen des Origenes in anderen Stellen seines Werkes verweist und auf andere Kirchenväter. Die Bibelstellen und die Vernetzung innerhalb des Werkes des Origenes sind in umfangreichen Indices zusammen­gestellt, dazu ein wertvoller Index von Namen und Sachen (wobei man sich eine Unter­teilung gewünscht hätte, etwa ist »Fleisch« – 47 Belegstellen – das am Altar geopferte Tier und die Speise oder der Gegensatz Leib zur Seele etc.?).

Agnethe Siquans hat eine sehr gute Ausgabe der wichtigsten Auslegung des ‚Opfer‘-Buches der Hebräischen Bibel zugänglich gemacht.[7] Sie bietet die lateinische Übersetzung des Rufinus in der wissenschaftlichen Ausgabe (also mehr als einen Lesetext) parallel zur direkt mit dem Original vergleichbaren Übersetzung, so dass man sowohl den Überblick über den Verlauf der gesamten Predigten erarbeiten kann als auch eine detaillierten Analyse von einzelnen Passagen durchführen kann, erschlossen durch die Indices. Eine wichtige Grundlagenarbeit!

Bremen/Wellerscheid, April 2022
Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

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[1] Christoph Auffarth: Opfer. Eine Europäische Religionsgeschichte. (Theologische Bibliothek) Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2023 (im Druck), Kapitel 6 zur Mutation des Opfers in den jüdischen, christlichen, paganen und islamischen Traditionen der Spätantike.

[2] Sehr gute Übersicht des Inhalts und der dabei ausgelegten (und der nicht ausgelegten) Verse bietet AS S. 55—58.

[3] AT und NT seien ein Brot (in Lev.hom. 13,4 S. 402f), ja Aaron und seinen Nachfolgern sei sogar das testamentum aeternum übergeben. Hier könnte die Auslegung prägnanter sein (zumal das an das Evangelium aeternum erinnert, das in Apk 14,6 angekündigt ist, das die Evangelien des NT ersetzen wird. Das steht bei Origenes im Zusammenhang mit seinem Verweis auf das Mysterium, es seien ἐγκρυφίας geheime, verborgene (Brote) 13,3 (S. 400f.15)

[4] Invenit perditionem in Lev 5,20 (die Kapiteleinteilung in der lateinischen Übersetzung Vulgata ist etwas anders, zählt also Lev 6,3. Origenes arbeitet dann in hom 4,5 mit dem Wort perditio und seinen unterschiedlichen Bedeutungen. Er unterschiedet perire untergehen und perdere, dass die Häretiker etwas »unterschlagen« (138,8. 15. 26), so dass daraus am Ende sogar ein ›Raub› wird. AS übersetzt konkordant (AS 55).

[5] Die aktuelle Planung WWU Münster > Fachbereich 2 > Forschungsstelle Origenes > Edition (uni–muenster.de) (12.1.2022).

[6] Agnethe Siquans (*1986) promovierte mit der Arbeit Der Deuteronomiumkommentar des Theodoret von Kyros. (Österreichische biblische Studien 19) Frankfurt am Main: Lang 2002. Ihre Wiener Habilitations­schrift bearbeitete Die alttestamentlichen Prophetinnen in der patristischen Rezeption. Texte – Kontexte – Hermeneutik. (Herders biblische Studien 65). Freiburg im Breisgau: Herder 2011. Sie ist apl. Professorin für Altes Testament an der Wiener katholisch-theologischen Fakultät. Ihren Namen kürze ich im Folgenden mit den Initialen ab AS.

[7] Nur noch zwei weitere Auslegungen sind überliefert. Die von Augustinus ist ebenfalls zweisprachig durch einen Alttestamentler erschlossen: Quaestiones in Heptateuchum. Fragen zum Heptateuch. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Walter Groß. (Augustinus Opera – Werke 57) 2 Bände. Paderborn: Schöningh 2018. Zu Levitikus Band 2, S. 7-169.

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In der Reihenfolge des bisherigen Erscheinens der Bände.
Rezensiert von Christoph Auffarth.

OWD Band 10: Die Homilien zum Buch Jesaja. Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Chris­tian Hengstermann.

OWD Band 1/1: Die Kommentierung des Buches Genesis. Hrsg. von Karin Metzler.

OWD Band 22: Aufforderung zum Martyrium. Hrsg. von Maria‐Barbara von Stritzky.

OWD Band 7: Origenes: Die Homilien zum Ersten Buch Samuel .
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst.

OWD Band 21: Origenes: Über das Gebet.
Eingeleitet und übersetzt von Maria-Barbara von Stritzky

OWD Band 11: Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia.
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Horacio E. Lona.

OWD Band 3: Origenes: Die Homilien zum Buch Levitikus.
Eingeleitet und übersetzt von Agnethe Siquans.

Stand: 02.06.22

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