Spirituelle Oase im Shopping-Center Sihlcity, Zürich

Jakob Vetsch: Neunundneunzig Rastworte aus Sihlcity. Edition Occidente.          
München: Books Ex Oriente 2012, 132 S., Abb. — ISBN 978-3-9815153-2-9

Der seit 1999 existierende kleine Verlag „Books Ex Oriente“ in München hat im Jahre 2009 damit begonnen, Schriften und Werke zu Kultur, Religion und Philosophie des Orients herauszubringen. Axel Monte, der Verlagsleiter und zugleich Herausgeber vergaß dabei nicht, den Westen mit der „Edition Occidente“ in den Blick zu nehmen.
Eine kleine Besonderheit in diesem Rahmen ist das jüngst erschienene Bändchen, das einen spirituellen Einblick nach Sihlcity ermöglicht. Kaum eine/r außerhalb Zürichs wird viel über diesen Ort wissen, der auf einem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Sihl als Shopping- und Wellness-Zentrum entstand
— Internet:
http://sihlcity.ch/de/

Hier befindet sich neben dem alten Schornstein auch ein spiritueller Ort, ein Rastplatz für die hastende Seele, eine interreligiös offene Citykirche
(Internet:
http://www.sihlcity-kirche.ch/).

Der dort seit 2007 wirkende Pfarrer, der Autor dieses Bändchens, hat sich noch etwas Besonderes zum Lesen in der Kapelle einfallen lassen: Rastworte der Woche – ein Spruch und eine kurze aktualisierende Auslegung dazu.
Man kann sich diese Gedankensplitter mit nach Hause nehmen. Sie sind als PDF-Datei auch im Internet abrufbar:
http://www.sihlcity-kirche.ch/index.php?option=com_content&task=view&id=12&Itemid=26

Was das Team um den Pfarrer Jakob Vetsch bewegt, kommt in einem Gespräch zum Vorschein, das der Herausgeber Axel Monte mit dem Pfarrer in der Spannbreite von Konsum, religiöser Pluralität und Spiritualität führte. Die Kirche war – so erzählt die Bibel – „schon immer an den Wegen und Märkten“ (S. 125). Deswegen stellt sich das kirchliche Angebot als „kleines, reales Modell des Friedens unter den Religionen“ im Sinne von Hans Küng vor (S. 126).

Übrigens: das hier besprochene Buch wird in Sihlcity am 15.10.2012 vorgestellt.

Die aus der Fülle der Rastworte ausgewählten Texte zusammen mit einem Blick auf die Homepage der Sihlcity-Kirche signalisieren sehr deutlich: Hier ist ein besonderer spiritueller Ort im Getriebe von Kauf und Verkauf entstanden, ein kontemplativer Lernort der besonderen Art. Es lohnt sich, dort zu verweilen.

— Weitere Informationen zum Verlag „Books Ex Oriente“: http://www.books-ex-oriente.com/index.html          
— Besprechung der Heftreihen „Ex Oriente“ und „Ex Occidente“:          
     http://www.rpi-virtuell.net/workspace/24686AD5-936C-476D-9EA0-65E2968590C8/rezensionen/rz-monte.pdf

Ausführliche Rezension: hier

Reinhard Kirste

Rz-Vetsch-Sihlcity, 07.10.2012

 

 

Buch des Monats Oktober 2012: Religiöser Pluralismus als Herausforderung und Chance

Karl Gabriel / Christian Spieß / Katja Winkler (Hg.):
Modelle des religiösen Pluralismus.

Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven, Bd. 5.
Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt..
Paderborn u.a.: Schöningh 2012, 364 S.
— ISBN 978-3-506-77407-1 —

Multikulturalität und Multireligiosität sind Signalwörter für die Gesellschaft der Moderne, die nicht nur von der Vielfalt der Kulturen, sondern auch von religiösem Pluralismus geprägt ist. Neben den klassischen Glaubensformulierungen der großen christlichen Kirchen, sind Bekenntnisse zu anderen Religionen teilweise in Konkurrenz getreten. 

Bei der Darstellung des hier vorliegenden Bandes werden die pluralistischen Entwicklungen und religionssoziologischen Erkenntnisse auf die Religionsgemeinschaften und ihre gesellschaftlichen Lernprozesse ausgeweitet. Dies geschieht unter historischen, soziologischen, politikwissenschaftlichen, rechtswissenschaftlichen und sozialethischen Gesichtspunkten: Es ist übrigens auch der endlich erfolgreiche Weg des Katholizismus zur Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und daraus folgende Konsequenzen.

Herausgeber und Autoren haben angesichts fortschreitender Säkularisierung und eines wachsenden religiösen Pluralismus nicht nur die „Großwetterlage“ mit dem Handwerkszeug ihrer jeweiligen Fachdisziplin sorgsam beschrieben, sondern die Herausforderungen markiert, auf die politische Gemeinwesen aller Größenordnungen reagieren müssen. Sie haben damit Grundlegendes geleistet und zugleich eine Zukunftsorientierung für die bleibende Faktizität pluraler Gesellschaften angesprochen. 

Ausführliche Beschreibung: hier

Reinhard Kirste

Rz-Gabriel-rel-Plural, 30.09.12

 

 

Buch des Monats September 2012: Jenseits von Himmel und Hölle

John Shelby Spong: Jenseits von Himmel und Hölle. Eine neue Vision vom ewigen Leben. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gerhard Klein.

Ostfildern: Patmos 2011, 221 S.  — ISBN 978-8436-0028-6 

Ausführliche Besprechung: hier

Kurzrezension
Der Autor dieses Buches, John Shelby Spong (geb. 1931), emeritierter anglikanischer Bischof, gehört zu den bekanntesten religiösen Autoren der USA. In seinen Büchern vertritt er mutige Thesen für ein erneuertes und gegenwärtiges Christentum jenseits des bisherigen Christentums.1 Spong versucht, eine postmoderne Weltsicht mit einem Glauben zu verbinden, der die Naturwissenschaft ebenso wie wichtige bibelexegetische Erkenntnisse ernst nimmt. Für das praktische Leben müssen diese auch ethisch im Sinne des Engagements für die Ausgegrenzten umgesetzt werden.

Als alter Mann, der nun sein letztes Buch veröffentlicht, ist ihm klar geworden, dass er dies nur als persönliche Beschreibung darlegen kann und nicht als christliche Theorie über Himmel und Hölle. Im Bedenken seiner eigenen Biografie untersucht Spong genauer sein zunehmendes religiöses Interesse, das bei ihm erhebliche Glaubensveränderungen bewirkte

Das den Autor lange prägende externe Religionsverständnis einer „Gottheit über uns“, möchte er überwinden zugunsten einer „Gottheit in uns“ (S. 128). Und so ist „das Göttliche, das wir immer suchten, eine Dimension des Menschlichen“ (S. 138). Man merkt, dass sich Spong mystischen Sichtweisen annähert. und letztlich ein Neuverständnis wahrhafter Dimension von Religion! 

Anm 1:  Rezension hier  zum Buch von J.Sh. Spong: Die Sünden der heiligen Schrift. Wie die Bibel zu lesen ist (2007)

                                                                                                                                                 Reinhard Kirste

 

 

Weltreligion Christentum – ökumenisches Lernen in der Oberstufe

Werner Trutwin: Weltreligionen – Christentum. Arbeitsbücher Sekundarstufe II.
Religion – Ethik – Philosophie.
München: Bayerischer Schulbuch Verlag (Patmos) 2012, 192 S. Abb. — ISBN 978-3-7627-0433-1
Völlige Neubearbeitung des bisherigen Heftes, das 1999 im Patmos-Verlag Düsseldorf erschien.

Mit diesem Band über die Vielfalt des Christentums ist nun die neubearbeitete Reihe für die Sekundarstufe II „Weltreligionen“ abgeschlossen.
Die bisherige Bände – Judentum,Islam, Hinduismus und Buddhismus – sind bereits unter „Ein-Sichten“ vorgestellt worden.

Der erfahrene Praktiker und Religionspädagoge Werner Trutwin behält auch bei diesem Arbeitsheft die gewählte Struktur zum Verständnis einer Religion bei, um damit zugleich eine gewisse Vergleichbarkeit im Blick auf die anderen Religionen zu ermöglichen.

Nach Anregungen für die unterrichtliche Arbeit im Kontext des Religionsunterrichts erwähnt Trutwin die „direkten“ Bezugsfächer „Ethik“ bzw. „Praktische Philosophie“. Er stellt dann einen klar strukturierten Kursunterricht in Religion vor.

Trutwin setzt gerade für die Schuke auf die positiven konfessionsökumenischen Erfahrungen. Zugleich wird die Begegnung der Religionen „auf Augenhöhe“ gerade für die Zukunft als eine unausweichliche Notwendigkeit postuliert. Damit ist hier ein religionsökumenisch offenes „Lehrbuch“ entstanden, das man als Christentum-Materialbasis mit seiner didaktischen und methodischen Vielfalt für den katholischen, evangelischen und islamischen Religionsunterricht nur wärmstens empfehlen kann.

                                                                                                                                                    Reinhard Kirste
Rz-Trutwin-Christentum, 03.08.12

Kinderbuch: Mit der Welt und Gott verbunden sein

Brunella Baldi (Illustratorin) / Manuela Monari (Autorin): Der rote Faden.
Aus dem Italienischen. Innsbruck-Wien: Tyrolia 2012, 32 S.
(Bilderbuch für Kinder von 5-7 Jahren)

ISBN 978-3-7022-3196-5

 Mit dem Symbol des roten Fadens nimmt die Erzählerin mit einfachen Sätzen den Kindesalltag aufmerksam und heiter auf: mit Mama und Papa, mit den Tieren, den Sternen, dem Universum … Die Illustratorin verstärkt dies mit ihren „leisen“ Illustrationen. So hilft dieses Kinderbuch bei der Suche, die intensive Miteinanderbezogenheit der Welt zusammenzudenken. Auf diese Weise entsteht ein Gottesbild, das das Klischee vom alten Mann mit Bart völlig hinter sich lässt und sogar wagt, Gott nicht als Person zu denken – und das auf der Ebene kindgemäßen Verstehens! Denn Gott lässt sich erfahren in der Liebe, in der Vernunft und in der Suche nach der Wahrheit. Weiter

Reinhard Kirste

Rz-Monari-Der rote Faden, 01.08.2012

Buch des Monats August: Abbé Pierre – wahres Leben angesichts des Todes

Abbé Pierre: Was ist das, der Tod? Ein Gespräch über den Sinn des Lebens.

Aus dem Französischen von Bruno Kern.

Innsbruck-Wien: Tyrolia 2012, 77 S.

— ISBN 978-3-7022-3200-9 —

Französisches Original: C’est quoi la mort? Livre didactique destiné aux enfants, utilisé aussi dans l’apprentissage de la langue française. Paris: Albin Michel 1999.

 Ausführliche Besprechung: Hier

 Der 2007 verstorbene Abbé Pierre hätte in diesem Jahr am 5. August seinen 100. Geburtstag gefeiert. Nicht nur in Frankreich, sondern weltweit ist er als „Vater der Armen“ zu einer Institution gelebter Nächstenliebe geworden. In diesem kleinen Büchlein äußert sich der 87Jährige im Gespräch mit jungen Leuten über den wahren Sinn des Lebens – und zwar im Spiegel von Sterben, Tod, Trauer und Hoffnung auf ein Leben jenseits. Dies alles ist mit vielen Beispielen aus seinem erfüllten Leben angereichert.

 Wofür ist es nun gut, an Gott zu glauben? „Man muss überzeugt sein, dass er [Gott] nichts als das Gute für die Menschen will, aber dass dieses Glück von uns abhängt“ (S. 75). Kein Wunder, dass aus solcher Glaubenskraft heraus immer wieder in diesen Antworten das praktische „Herzthema“ des Abbé Pierre durchschimmert: Die Bewegung Emmaus. So wird dieses Büchlein zur Anfrage an jeden Einzelnen, wofür es sich lohnt, aktiv zu leben – angesichts des unausweichlichen Todes. Abbé Pierre hat so gehandelt, wie es das kreative Genie Steve Jobs auch ausdrückte: „Der Tod ist ein Motor des Wandels“ (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Steve_Jobs).

Aus diesem Grunde ist dieses Büchlein so empfehlenswert!
                                                                                                                                                       Reinhard Kirste

31.07.2012

Das Institut Kirche und Judentum Berlin als christlich-jüdischer Wegbereiter

Markus Witte und Tanja Pilger (Hg.): Mazel tov.
Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum
.

Studien zu Kirche und Israel, Neue Folge (SKLNF), Bd. 1
   

Festschrift anlässlich des 50.Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum      

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012, 581 S., Register
ISBN 978-3-374-03012-5 —      

1960 wurde an der damaligen Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf das „Institut Kirche und Judentum“ gegründet. Von 1883 bis 1956 gab es an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität, das „Institutum Judaicum Berolinense“. Das 50jährige Bestehen des Instituts Kirche und Judentum – nach Integrierung der Kirchlichen Hochschule in die Humboldt-Universität nun ein Teil derselben, war Anlass für ein Jubiläumssymposium, aus dem dieser umfassende Band erwuchs.

Der Alttestamentler und gegenwärtige Leiter des Instituts Kirche und Judentum, Markus Witte, und seine Mitarbeiterin Tanja Pilger haben daraus eine Festschrift zusammengestellt, in der sich renommierte Bibelwissenschaftler, theologische Systematiker, Judaisten, Kirchenhistoriker, Kunstgeschichtler (die meisten von der Humboldt-Universität = HU) zu Grundfragen und zur Ambivalenz christlich-jüdischer Begegnung quer durch die Jahrhunderte äußern. Sie gehen systematisch und (theologisch) aktualisierend vor und ziehen immer wieder jüdische und christliche Quellentexte heran, aber auch eindrückliche christliche Bilddokumente.

Neben den Laudationes und Grußworten aus christlichem und jüdischem Munde wird die Fülle des Materials durch die Strukturierung in exegetische Beiträge, historische Beispiele bis zur Gegenwart, kunstgeschichtliche Besonderheiten und Theologisches zum Gottesverständnis sowie ausgewählten Predigten (mit einem kritischen Anmerkungsbeispiel) gebündelt. So ist ein Kaleidoskop von Themen entstanden, das den Facettenreichtum des christlich-jüdischen Dialogs zum Ausdruck bringt, zu dem das Berliner Institut einen wichtigen Beitrag seit über einem halben Jahrhundert leistet. Dieser teilweise disparaten Fülle kann nicht im Einzelnen nachgegangen werden, so dass die Schwerpunktsetzungen des Rezensenten natürlich subjektiv geprägt sind.

In dem Facettenreichtum der Ausführungen spiegelt sich – verstärkt durch einige jüdische Beiträge – eine überwiegend christliche Debatte im Kontext ursprünglicher und problematischer Abgrenzung vom Judentum. Die Spannbreite der Beiträge reicht dabei von der kritischen Betrachtung judenfeindlicher Stereotypen über weiterhin theologisch-abgrenzende Dialogversuche bis hin zur generellen Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum.

Angesichts dieser Debattenlage wird das Institut viel Besonnenheit, aber auch viel Glück („Mazel tov“) bei seinem dialogischen Handeln gebrauchen können.

Reinhard Kirste

 Rz-Mazel tov, 28.07.12

Religiöse Erziehung – christliche und islamische Perspektiven

Stella El Bouayadi-van de Wetering /Siebren Miedema (Eds.): Reaching for the Sky.
Religious Education from Christian and Islamic Perspectives.  

Currents of Encounter – Studies on the Contact between Christianity and Other Religions, Beliefs, and Cultures 43

Amsterdam/New York, NY: Rodopi 2012, VII, 284 S. Index.
– ISBN: 978-90-420-3479-2

Religiöse Erziehung gerät in multikulturellen Gesellschaften und angesichts von Migrationssituationen zu einer besonderen Herausforderung für Eltern, Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, aber auch für Moscheevorstände und Hodschas. Kinder und Jugendliche müssen ihren eigenen Weg in Auseinandersetzung und Dialog mit herkömmlichen und auch provozierenden Lebensmustern finden und eine eigene Weltsicht aufbauen. Wie gehen junge Menschen mit ihrer Herkunftsreligion um? Wie lässt sich tolerantes, friedvolles und dialogoffene Verhalten einüben? Wie sollen Jugendliche unterrichtet werden? Welche Bedingungen sind für interreligiöses Lernen notwendig?
Der wissenschaftliche Diskurs wird  im Bereich der religiösen Erziehung neue Horizonte eröffnen müssen. Der Fokus ist dabei besonders auf das Christentum und den Islam gerichtet. Das hängt mit den sich ändernden Gesellschaftsstrukturen und ihren Prägungen zusammen – in der Spannung zwischen säkular und fundamentalistisch.


Die Herausgeber, die Arabisch-Lektorin und Erziehungswissenschaftlerin Stella El Bouayadi-van de Wetering, der Professor für Religiöse Erziehung Siebren Miedema und der ReligionsphilosophHenk Vroom (alle von der Freien Universität Amsterdam), bündeln die Materialien und Vorträge einer Konferenz, die in enger Zusammenarbeit mit dem niederländischen Zentrum für Islamische Theologie, internationalen Erziehungswissenschaftlern und mit der Liga der Islamischen Universitäten in Kairo entstanden. Die Auswahl der Themen bezieht sich darum einerseits auf Kommunikationsstrukturen der religiösen Erziehung, der Normen und Werte in Elternhaus, Moschee, Kirche und Schule, zum anderen auf Länder, in denen schon intensive Erfahrungen mit Multireligiosität vorliegen, hier konkret: Türkei, Indonesien, Libanon, Niederlande, Deutschland, Belgien und Ägypten. Zugleich stehen die Jugendlichen im „Verbund“ und in Auseinandersetzung mit den Erwachsenen und den Erziehungsinstitutionen. Stark beeinflussend wirkt sich verständlicherweise das Verhalten unter ihresgleichen aus, die Problematik der „Peer-Groups“. Die Autoren beschreiben darum aktuelle Prozesse im Erziehungsgeschehen und zeigen Verluste, Problemstellungen und Neufindung religiöser Identität bei Jugendlichen. Sie verbinden ihre Analysen und Einschätzungen mit den Intentionen, Lernfelder aufzubauen, in denen andere Glaubenstraditionen respektiert und die jeweiligen Einflussmechanismen von Elternhaus, Schule, Kirche, Moschee, den Medien und der „Straße“ einbezogen werden.
Die Herausgeber weisen im Vorwort daraufhin, dass die Beiträger/innen – durchweg Erziehungswissenschaftler/innen Methoden und Handlungsanleitungen für die Erziehung junger Menschen (mit und ohne Migrationshintergrund) liefern möchten. Angesichts stärker auftretender antiislamischer Tendenzen in den europäischen „autochthonen“ Gesellschaften ist dies dringend nötig, damit künftige Gesellschaften durch Toleranz und dialogoffene Wertehaltungen geprägt werden.
Mualla Selçuk von der Universität Ankara zeigt, dass die koranische Bedeutung der “Leute des Buches” ein Kommunikationsmodell für eine interreligiös offene islamisch-religiöse Erziehung sein kann. Erhebliche Praxiserfahrungen bringt Ina ter Avest (Amsterdam) ein, und zwar in der Reflexion von drei Grundschul-Beispielen, die einen unterschiedlichen religiösen bzw. säkularen Hintergrund haben. Begegnung zwischen Menschen verschiedener Religionen verläuft Verstehen fördernd am besten „spielerisch“. Die „Spieler“ sind dabei Lehrer und Kinder gleichermaßen im Blick auf den Andern und das Andere. Sie wirken miteinander überzeugend sind dann überzeugend, wenn sie didaktisch verantwortet „predigen“, was sie bereits praktizieren. Alma Lanser-van der Velde (Amsterdam) hebt die Bedeutung des praktischen Umgangs mit Religion in familiärer Kindererziehung hervor. Dihyatun Masqon Ahmad vom Zentrum für Islamische und Westliche Studien aus Ost-Java berichtet von der Dynamik einer modernen islamischen als Internat geführten indonesischen Erziehungseinrichtung, der Pondok Pesantren.
Die Herausgeberin El-Bouayadi-van de Weteringgeht näher auf die Problematik zwischen häuslicher Erziehung, Unterricht in der Moschee und säkularem Umfeld in den Niederlanden ein. Der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer bezieht sich auf eine ähnliche Konstellation in mehreren europäischen Ländern im Blick auf die häusliche (oft fehlende) religiös-familiäre Erziehung und die kirchlichen Möglichkeiten, hauptsächlich im Zusammenhang mit der Konfirmation. Goedroen Juchtmans von der Katholischen Universität Löwen hebt die Bedeutung der Frauen in der religiösen Erziehung hervor. Sie setzen sehr stark auf rituell-spirituelle Impulse im Sinne einer Sakralisierung des Lebens.
Es folgt der Blick in den Nahen Osten: Im Libanon trägt die christliche Erziehung durch die geopolitische Lage osmanische, arabische und westlich-missionarische Prägesignaturen und zugleich blutige Bürgerkriegserfahrungen, wie der Theologe Rima Nasrallah (Beirut) dokumentiert. Bahaeddin Budak (Amsterdam) konzentriert sich zusammen mit der Herausgeberin auf die muslimische Jugend, die unbedingt spirituelle Orientierung braucht und z.T. in der Gefahr steht, sich auf religiösen Extremismus einzulassen. Die Niederlande sind geradezu ein Brennpunkt für diese kritische Gemengelage im Zusammenhang mit der „Versäulung“ im niederländischen Schulsystem und der fortschreitenden Säkularisierung. Gerdien Bertram-Troost und der Herausgeber Siebren Miedema (beide Amsterdam) sind sich über die Wirkungen religiöser Erziehung aufgrund empirischer Untersuchungen recht unsicher. Arslan Karagül (Amsterdam), der neben islamische Erziehung den Schwerpunkt „spiritual care“ (Seelsorge) unterrichtet, ist angesichts der Schwächen in der Praxis islamischer Erziehung und fehlender umfassender Erziehungskonzepte für die Zukunft ziemlich beunruhigt. In diesem Zusammenhang lohnt der Vergleich zweier säkularer multikultureller Gesellschaften, nämlich der Türkei und der Niederlande im Blick auf die Fakten und Faktoren religiöser Erziehung – so die Überlegungen von M. Fatih Genç aus der Türkei (Ankara), Ina ter Avest und Siebren Miedema (Niederlande).
Eine andere Sichtweise eröffnen Hussein Bashir Mahmoud(Kairo) und die Herausgeberin Stella El Bouayadi-van de Wetering, indem sie zuerst auf die Bildungsgeschichte und dann auf die Leitlinien islamischer und religiöser Erziehung eingehen, wie sie in ägyptischen Primar- und Sekundarschulen gehandhabt wird: Toleranz als ethischer Wert spielt hier eine herausragende Rolle. Aus christlicher Sicht diskutiert Manfred L. Pirner (Universität Erlangen-Nürnberg), wie die „Peer Groups“ der Jugendlichen mit dem Einfluss der Medien umgehen und eine „Selbst-Sozialisation“ stattfindet, die zwar auch religiös geprägt sein kann, aber ohne die Muster der klassischen Religionen auskommt. In eine ähnliche Richtung geht Nabil Alsamaloty, Soziologe an der Al-Azhar-Universität in Kairo, zusammen mit der Herausgeberin: Unter Heranziehung soziologischer Theorien auch zum Konfliktmanagement legen sie den Schwerpunkt ihrer Argumentation zum einen auf die Entwicklung kriminellen Verhaltens als Folge von Ausgrenzung und zum andern auf soziale und ökonomische Gewalt im Kontext extremer Armut. Fundamentalistisch und terroristisch orientierte Peer-Groups können sich für ihre gewaltsame Konfliktbereitschaft religiöse Muster aneignen, die originale Glaubenstradition konterkarieren. Das gilt nicht nur für junge Muslime, sondern für junge Menschen in allen Religionen.
Wolfram Weiße von der Akademie der Weltreligionen in Hamburg stellt die Ergebnisse des sog. REDCo-Projektes vor: Es handelt sich um eine Untersuchung, die religiöse Erziehungskonzepte mit (recht heterogenen) religiösen Einstellungen von 14-16jährigen Jugendlichen in mehreren Ländern Ost- und West-Europas kombiniert. Insgesamt hält die Mehrheit der Angesprochenen ein Kennenlernen anderer Religionen in der Schule für friedensfördernd. Dem fügt Redbad Veenbaas (Amsterdam) das Ergebnis einer ähnlich strukturierten kleinen Untersuchung aus den Niederlanden über die religiösen Werte- und Normvorstellungen junger Muslime hinzu, die auch gesellschaftlichen Veränderungen durch die „Straßen-Kultur“ unterliegen.
Die Herausgeber gehen im Epilog nicht nur der Frage nach, ob es religiöser Erziehung gelingt, „reaching for the sky, also „nach dem irdischen Himmel zu greifen“. Ob das wohl die Vorstufe zum transzendenten Himmel (heaven) ist? Der Blick auf christliche und muslimische Jugendliche insgesamt spiegelt nur einen Augenblicksstand. Dieser ist von der Spannung religiöser Erziehung in familiärer Tradition und dem Mangel religiös-authentischer Sprache in säkularen Gesellschaften geprägt. Angesichts nicht zu übersehender Komplexitäten im Feld religiöser Erziehung kann diese Zusammenstellung und  mit der Auswertung einer Reihe von Analysen zuerst eine Bewusstseinsschärfung erreichen. Zum andern aber bietet das Buch Orientierungsempfehlungen für eine dialogische Religiosität, die wirklich ernst genommen und umgesetzt werden sollten.
Reinhard Kirste
Rz-El Bouayadi-RE-Sky, 20.05.12

Ein-Sichten – die INTR°A-Rezensionsseite mit weiterer Adresse

Die Rezensionsseite der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) hat eine weitere Adresse: Buchbesprechungen, Literaturhinweise, Filmkritiken usw. zu (inter-)religiösen Themen  können jetzt hier ausführlich abgerufen werden.

Rezensionsseite “Ein-Sichten” jetzt unter: http://buchvorstellungen.blogspot.de/

Alle bisherigen Eintragungen bis März 2012 sind weiter erreichbar und auch unter einer Adresse zusammengefasst,
und zwar als Archiv der Rezensionen:
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/03/archiv-alterer-rezensionen.html

Das auf aktuelle religiöse Ereignisse eingehende INTR°A-Tagebuch hat ebenfalls eine
zweite Adresse: http://intra-tagebuch.blogspot.de/

Eine ausführliche Übersicht über alle veröffentlichten Materialien im Zusammenhang mit der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) bietet die Seite: http://religiositaet.blogspot.de/

Das Leiden des Hiob und die Gerechtigkeit Gottes

Zum 50jährigen des bekannten Instituts für Kirche und Judentum – Zentrum für christlich-jüdische Studien an der Humboldt-Universität Berlin hat es im Jahre 2010 ein bemerkenswertes Symposium gegeben. Es befasste sich mit dem vielgestaltigen Bild des alttestamentlichen Hiob und dessen Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart hinein. Zugleich wurde dieses Symposium ein erstaunlicher Beitrag zum christlich-jüdischen Dialog.

Markus Witte (Hg.):
Hiobs Gestalten. Interdisziplinäre Studien zum Bild Hiobs im Judentum und Christentum.
SKI.NF Bd. 2. Leipzig: EVA 2012
— Rezension hier —