Origenes Homilien Josua

Origenes: Die Homilien zum Buch Josua.
Herausgegeben von: Marietheres Döhler und Alfons Fürst.

(Origenes, Werke mit deutscher Übersetzung 5)
Berlin: De Gruyter 2020

ISBN 978-3-11-044256-4

Weitere Rezensionen zu Origenes:
Unten eine Übersicht aller bisherigen Rezensionen von Christoph Auffarth zu den Origenes-Ausgaben!

 

Erlaubt Gott Grausamkeiten in einem ‚Heiligen Krieg‘?

Eine Rezension von Christoph Auffarth

Kurz: Origenes deutet die grausame Eroberung des ‚Gelobten Landes‘, wie sie das Josua-Buch erzählt, völlig um zu internen Kämpfen des Individuums gegen die Sünde. Im Gegensatz zu dieser Friedensethik verwendeten andere christliche Theologen aber den Josua-Krieg als Vorbild und Rechtfertigung für den ‚Heiligen Krieg‘.

Ausführlich:

Als ein weiterer (mittlerweile der zehnte)[1] Band dieser wichtigen Werkausgabe des bedeu­tenden frühen Theologen (‚Kirchenvaters‘) Origenes von Alexandria (185-254) enthält das Buch den Text und eine vorzügliche moderne Übersetzung der Homilien zum Josuabuch. Das Josuabuch ist verknüpft und verschränkt mit den Mose-Büchern des Pentateuch und berichtet, wie Josua als Nachfolger des Moses dessen Auftrag zu Ende führt: Auf die Wüs­tenwanderung als Exodus aus Ägypten folgt die ‚Landnahme‘ des gelobten Landes, also die Inbesitznahme des Landes zwischen Jordan und Mittelmeer, von Beerscheva bis zum See Genezareth und den Quellen des Jordan (Dan). Die dort lebenden Menschen werden grausam getötet. Das Buch Josua ist aber viel später geschrieben als die fünf Bücher von Genesis bis Deuteronomium.[2]

Das Buch Josua diente den Juden, die die Shoa überlebt hatten und 1948 im Lande Palästina einen Staat gründeten, als eine geistige Landkarte (mental map). Mit dem Buch in der Hand löschte der Kartograph die bestehenden arabischen Namen aus, nachdem die Palästinenser aus den Dörfern verjagt waren, und ersetzte sie durch biblische hebräische Namen. Das Gebiet sollte nun Eretz Jisrael, das Land Israel sein.[3] So wurde die Landschaft nach der nakba, der gewaltsamen Vertreibung, überschrieben mit den alten biblischen Namen.[4] Tabula rasa, ausradiert. Das Buch Josua berichtet von der damaligen gewaltsamen Eroberung des Landes – mit entsetzlichen Gewaltszenen.

Obwohl Origenes (185-256 n.Chr.) nach seinem Konflikt in Alexandria, wo er eine hervor­ragende Ausbildung in Philosophie, besonders des Platon, durchlaufen hatte und dann selbst Schüler unterrichtete, dauerhaft in das ‚Heilige Land‘ übergesiedelt war, handeln die Homilien nicht vom Land Palästina. Was aber macht ein Theologe aus den Gewaltszenen der historischen Erzählung? Da ist ein herausragendes Beispiel die Eroberung der kleinen Stadt Ai in Kapitel 8: Mit Hilfe einer Kriegslist gelingt es den Israeliten, in die Stadt einzudringen. Sie töten alle Einwohner, Greise wie Babys, Männer wie Frauen. Die Stadt wird dem Erd­boden gleichgemacht, der König wird an einem Baum erhängt. Massaker reiht sich an Mas­saker. Wie kann man sich als Christ an solcher Brutalität, von Gott autorisiert als Geschenk des Landes an sein Volk, erbauen?[5] Kann man nicht. Origenes verkehrt den Wortlaut des Textes durch Allegorese in das Gegenteil. Statt von jüdischer Gewalt handele das Buch Josua von christlichem Friedenswillen. Konsequent ist Josua zu Jesus geworden.[6] Die Stadt Ai übersetzt er als ‚Chaos‘ (hom 8,2 p 186,8. hom. 9,1 p 200,1),[7] die Bewohner der Hölle töteten schon viele Christen. Die Aufgabe der Christen ist es, die Angriffe der Sünde und des Teufels abzuwehren. So wird aus dem Text der gewaltsamen Eroberung und Tötung der Einwohner, die dort gewohnt haben, in seinen 26 Homilien Handlungsanweisungen für den täglichen Kampf des Christen gegen die Sünde. Nur wenige Absätze sind der theologischen und philosophischen Reflexion gewidmet, für die Origenes so berühmt ist (35). Allerdings ist der durchgehende Gedanke der, dass der Mensch nicht ein statisches Wesen sei, sondern sich durch Handeln ständig dynamisch weiterentwickelt, durch die Freiheit des Willens. Das meint nicht eine politische Freiheit (mit der Ausnahme der Sklaverei, 37), meint nicht tätige Mitarbeit an der Pax Romana, an Macht im römischen Imperium. Dafür können Christinnen und Christen allenfalls beten. Viel Mühe verwendet Origenes in der Homilie 23 darauf, zu erklären, warum Josua das Land verteilte durch Losentscheid, also durch Zufall, nicht durch freien Willen (39-41; p 372-387). So wird aus der historischen Erzählung eines brutalen Eroberungskrieges, der von Gott angeordnet wurde, die Friedensethik spiritualisiert und internalisiert auf Individuen. In Kapitel 4 ordnen Döhler und Fürst die Predigten des Origenes ein in die jüdische und christ­liche Exegese (42-63), wobei das Josuabuch für die Entwicklung des Konzepts des ‚gerechten‘ Krieges‘ oder gar des ‚Heiligen Krieges‘ in der späteren Auslegung zum zentralen Bibeltext wird (53-63). Dieser Abschnitt erklärt hervorragend, dass die Lehre von gerechten Krieg bei Augustinus sich an die römische (stoische) Lehre hält vom gerechten Grund für den Krieg und als Ziel den Frieden hat (bei Cicero allerdings dazu verwendet wird, den römischen Imperialismus zu rechtfertigen; das Imperium sei ausschließlich durch Verteidigungskriege gewachsen).[8] Bei der Auslegung des Josuabuches aber bemerkt Augustinus, dass all diese Kriterien dort nicht zutreffen.[9] Also begründet er den Heiligen Krieg: Wenn Gott den Krieg befiehlt, handeln die Israeliten gehorsam gegenüber Gott (und begehen diese Grausamkei­ten).[10] Allerdings seien diese Kriege seit dem Neuen Testament nicht mehr denkbar, denn „Selig sind die Friedensstifter.“ Die Idee, dass Christus ein Friedensreich gestiftet hat, schließt Kriege aber nicht aus. Die Kreuzfahrer verstanden sich nach dem Modell sowohl der Makkabäer wie der (Wieder-) Eroberung des Gelobten Landes wie einstmals Josua.[11]

Die übrige Einleitung 64-80 erläutert die Entstehung und Überlieferung der Josua-Homilien. Von den Homilien ist der originale griechische Wortlaut verloren, abgesehen von den wenigen Originalzitaten, die anders überliefert sind. Erhalten ist (wie bei den meisten Texten des Origenes) nur die spätantike lateinische Übersetzung des Rufinus. Zur deutschen Über­setzung gilt auch hier: Die Autorin und der Autor verstehen zunächst genau, was der Wortlaut meint. Wenn der Sinn des Satzes in der Argumentation erkannt ist, bemühen sie sich, den Sinn in ein gutes Deutsch zu übersetzen, ohne sich weit von dem Wortlaut zu entfernen.[12] Ein wichtiges Beispiel erläutern die Autorin und Autor: Es geht Origenes nicht um die ‚gerechte Sache‘ (egal dann mit welchen Mitteln), sondern um ‚auf gerechte Weise zu handeln, zu kämpfen, zu herrschen‘ (55). Töten ist einem Christen grundsätzlich verboten. Anders Augustinus.

Bleibt noch das Register zu loben und Veränderungen vorzuschlagen. Erstens ist – nach den Bibelstellen (431-444) – die dichte Vernetzung innerhalb des Gesamtœuvres des Origenes herausragend (445-456), sodann ist ein Register gemeinsam von Namen und, anspruchsvol­ler, aber sehr nützlich, der Sachen. Da gibt es Stichwörter, die gut untergliedert sind, wie „Krieg“ oder „Gott“, aber auch Stichwörter mit 60-86 („Seele“) Belegen ohne Untergliede­rung. Das ist wenig hilfreich. Das Stichwort „Chaos“ habe ich vermisst.

Man liest die Homilien mit großem Gewinn in einer vorzüglichen Übersetzung, die sowohl den Sinn des Textes wiedergibt als auch in einem zeitgemäßen Deutsch (Zielsprache), das gleichwohl dem Wortlaut des Originals nahe bleibt. Die Einleitung spricht alle relevanten Fragen an, belegt sie im Werk des Origenes und verfolgt die weitere Auslegungsgeschichte. Vorzügliche Wissenschaft!

Bremen/Much, September 2021

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

E-Mail: auffarth@uni-bremen.de

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[1] Zu allen Bänden meine Rezensionen, zuletzt: Weg mit der Hölle! Origenes legt den Propheten Jeremia aus. Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia. Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Horacio E. Lona. 2018. In: https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2019/04/04/origenes-die-homilien-zum-buch-jeremia/. (4.4.2019). Zur Arbeit der 2008 gegründeten Forschungsstelle an der Universität Münster :  H i e r   (27.9.2021).

[2] Ernst Axel Knauf; Hermann Michael Niemann: Geschichte Israels und Judas im Altertum. Berlin: De Gruyter 2021, 74-111. Sie ordnen die ‚Landnahme‘ zeitlich ein von etwa 1130 bis 950/900, bis zu den ersten Königen. Christian Frevel: Geschichte Israels. Stuttgart: Kohlhammer 2016, 66-92. Zum Josua-Buch Anton Cuffari: Josua/Josuabuch. WiBiLex 2006 (h i e r  online). Georg Hentschel: Das Buch Josua. In: Erich Zenger [u.a.]: Einleitung in das Alte Testament. Stuttgart: Kohlhammer 92016, 255-266.

[3] Vom Sohn des Kartographen beschrieben Meron Benvenisti: Sacred landscape. The buried history of the Holy Land since 1948. Berkeley, CA: University of California Press 2000. Vgl. Sholomo Sand: Israel – ein Staat ohne Volk? Eine Provokation. Sholomo Sand: Die Erfindung des Landes Israel 2012. Meine Rezension:  https://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2013/07/11/die-erfindung-des-landes-israel-mythos-und-wahrheit/ Anne Rohrbach: Erinnerungskultur und kultureller Widerstand in den palästinensischen Gebieten. Jenin, „Cinema Jenin“ und das „Freedom Theatre“. Bielefeld: transcript 2017 [Diss. Bremen 2016].

[4] Gudrun Krämer: Geschichte Palästinas. Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel. München: Beck (2002) 52006.

[5] ‚Erbauung‘ griechisch οἰκοδομή oikodomé, lat. aedificatio (hom 8,2. p 186,5) 200 Anm. 170. Das Erbauen ist im ersten Petrusbrief (1 Petr. 2,5) so erklärt, dass die Christen ‚lebendige Steine sind, aus denen Christus den Tempel (die Kirche) erbaut‘ (hom 9,1. p 200,14).

[6] Das ist das gleiche hebräische Wort Jehoschua: „JHWH wird helfen“.

[7] Im Folgenden zitiere ich hom (= Homilia in Josuam) Nummer, Absatz, in der vorliegenden Ausgabe p (=pagina, Seite) und Zeile. S. 187 Anm. 150 ist die Etymologie erklärt, die die christlichen Kirchen­väter gefunden haben. Religionswissenschaftlich s. Auffarth: Chaos. HrwG 2(1991), 193-195.

[8] Augustinus beruft sich De civitate Dei 22,6 auf Cicero, De re publica 2,31; 3,35 sowie De officiis 1,34-37.

[9] Augustinus, quaestiones in Heptateuchum 6

[10] Rüdiger Schmitt: Der „Heilige Krieg“ im Pentateuch und im deuteronomistischen Geschichtswerk. (Alter Orient und Altes Testament 381) Münster: Ugarit-Verlag 2011. Meine Rezension Der Gott des Krieges? Rez. zu Rüdiger Schmitt: Der „Heilige Krieg“ 2011. http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2011/06/22/der-heilige-krieg-im-pentateuch-und-im-deuteronomistischen-geschichtswerk-von-rudiger-schmitt/ (22.6.2011).

[11] Christoph Auffarth: Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 144), Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2002, 123-150.

[12] Die beiden gegensätzlichen Typen des wortwörtlichen (verbatim, verbum e verbo) und des Überset­zens dem Sinne nach (ad sensum) sind so glücklich einander angenähert.

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Origenes Werke in deutscher Übersetzung (OWD)

 

In der Reihenfolge des bisherigen Erscheinens der Bände.
Rezensiert von Christoph Auffarth.

OWD Band 10: Die Homilien zum Buch Jesaja. Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Chris­tian Hengstermann.

OWD Band 1/1: Die Kommentierung des Buches Genesis. Hrsg. von Karin Metzler.

OWD Band 22: Aufforderung zum Martyrium. Hrsg. von Maria‐Barbara von Stritzky.

OWD Band 7: Origenes: Die Homilien zum Ersten Buch Samuel .
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst.

OWD Band 21: Origenes: Über das Gebet.
Eingeleitet und übersetzt von Maria-Barbara von Stritzky

OWD Band 11: Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia.
Eingeleitet und übersetzt von Alfons Fürst und Horacio E. Lona.

OWD Band 3: Origenes: Die Homilien zum Buch Levitikus.
Eingeleitet und übersetzt von Agnethe Siquans.

Stand: 02.06.22

 

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