Serie Schulseelsorge (1) – Die Nachfrage ist groß: Am Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef nutzen viele Schülerinnen und Schüler das bestehende Seelsorgeangebot. Ein multiprofessionelles Take-Care-Team bietet täglich eine offene Sprechstunde an. Die Arbeit dieses Team ist eines von drei Projekten, die wir in unserer Serie zur Schulseelsorge vorstellen.
Es begann mit einem leisen Klopfen an der Tür. Eine Schülerin des Carl-Reuther-Berufskollegs in Hennef hatte den Mut gefasst, die offene Sprechstunde der Schulseelsorge zu besuchen. „Meistens starten die Schüler dann erstmal mit irgendetwas Harmlosen“, sagt Eva Zoske-Dernóczi. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Martin Raack bietet sie täglich zwei Schulstunden Beratung als offene Sprechstunde an. Als die 16-Jährige in dem kleinen freundlichen Beratungsraum Platz genommen hatte, erzählte sie dann auch erstmal von kleinen Problemen im Alltag. Eva Zoske-Dernóczi hörte zu, fragte nach und bot der Schülerin Raum. Und schließlich erzählte das Mädchen vom Missbrauch durch ihren Bruder, der einige Jahre zurücklag und der sie stark belastete. „In dem Moment beginne ich, einen Schutzraum um die Schülerin zu bauen“, sagt die Schulpfarrerin.
„Wir haben ein starkes Netzwerk aufgebaut“
Das wichtigste Gebot: „Die Schülerinnen und Schüler entscheiden mit mir gemeinsam, wie es weitergeht“, erklärt die Seelsorgerin. Denn solange keine Gefahr im Verzug ist, schweigen die Schulpfarrer. „Die Schweigepflicht ist ein wertvolles Gut, das wir den Schülern anbieten können“, erinnert Eva Zoske-Dernóczi. Gleichzeitig weiß die Schulpfarrerin aber um ein starkes Team im Rücken: Denn am Berufskolleg in Hennef ist ein multiprofessionelles Take-Care-Team im Einsatz – mit Schulpfarrern, Förderpädagogen, Beratungslehrern und Sozialpädagogen. „Und wir haben ein starkes Netzwerk aufgebaut mit externen Beratungsstellen und Initiativen“, erklärt die Schulseelsorgerin, „in einigen Fällen sind sie sogar bereit, zu uns zur Schule zu kommen.“
Ohne Einverständnis der Ratsuchenden passiert nichts
Die beiden Schulseelsorger treffen sich wöchentlich, um sich über Beratungsfälle auszutauschen, aber auch im Team werden Fälle regelmäßig besprochen. „Anonym natürlich“, sagt die Schulpfarrerin, „außer, die Schüler haben zugestimmt, dass wir Fachleute im eigenen Haus dazu holen.“ Denn wenn die Ratsuchenden einverstanden sind, ziehen die Schulseelsorgenden auch die Beratungslehrer, Förderpädagogen oder Sozialarbeiter hinzu. „Davon lebt das Konzept“, sagt Eva Zoske-Dernóczi. „Wir haben verschiedene Schwerpunkte, manchmal unterschiedliche Herangehensweisen und können oft gemeinsam am besten Lösungen finden. Und wir alle wissen: Wir agieren nicht im luftleeren Raum.“
Gemeinsam nach guten Lösungen suchen
Mit der 16-Jährigen schmiedete Eva Zoske-Dernóczi damals einen Plan: Als erstes besuchten sie gemeinsam die Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt in Bonn. Auch das Gespräch mit den Eltern der Schülerin führten sie gemeinsam. „Wir sagen den Schülerinnen und Schülern von Anfang an zu: Wir können nicht jedes Problem lösen, aber wir versprechen, jedes Problem anzuhören und gemeinsam nach guten Lösungen zu suchen.“
In Notfällen wird sofort gehandelt
Es sind ganz verschiedene Probleme, denen das Take-Care-Team in Hennef begegnet. Schüler oder Schülerinnen leiden unter Liebeskummer. Jugendliche verwahrlosen, weil ihnen die Eltern kein schützendes Zuhause bieten. Sie haben Probleme mit Mitschülern oder Lehrern oder berichten von ungewollten Schwangerschaften oder Schulden. Drogen, Computersucht oder Depressionen: Gelegentlich begegnet den Seelsorgern im Beratungsraum auch der Gedanke eines Schülers oder einer Schülerin, dem Leben ein Ende zu setzen. „Dann muss sofort gehandelt werden“, sagt Eva Zoske-Dernóczi. Während sie in vielen anderen Fällen Hilfe zur Selbsthilfe anbietet, handelt sie bei schweren Depressionen und suizidalen Gedanken sofort: „Das ist ein Notfall.“
Der Bedarf an Beratung ist groß
Das Take-Care-Team gibt es in Hennef seit 2011 – mit einer Doppelstunde für die „Offene Sprechstunde“ jeden Tag. Der damalige Schulpfarrer Albrecht Roebke, heute Notfallseelsorger, stellte fest, dass die Zeiten, in denen Schüler vor dem Unterricht auf den Fluren seinen Rat suchten, immer länger wurden. Gemeinsam mit seinem damaligen Kollegen Pfarrer Peter Gottke, dem Kirchenkreis An Sieg und Rhein und der Evangelischen Kirche im Rheinland stellte Roebke das besondere Seelsorgeprojekt auf die Beine – die Landeskirche finanzierte sechs zusätzliche Stunden für einen weiteren Religionslehrer, damit die Beratungszeiten möglich wurden. Die Fachstelle für Schulseelsorge im Pädagogisch-Theologischen Zentrum der Landeskirche begleitete und evaluierte die erste Projektphase. Das Ergebnis: Der Bedarf ist groß.
Auch Lehrende und Eltern suchen Unterstützung
Und das gilt nicht nur für die rund 2600 Schülerinnen und Schüler – sondern auch für die 110 Lehrenden und die Eltern. Dann klopft ein Kollege an die Tür, in dessen Klasse ein Schüler einen tödlichen Unfall hatte und der nun Unterstützung sucht, um das Thema gemeinsamen mit den Mitschülerinnen und Mitschülern aufzuarbeiten. Oder in einer Klasse ist eine ungesunde Dynamik entstanden: Auch dann holen sich Lehrende Unterstützung beim Take-Care-Team. „Und immer mal wieder melden sich auch Eltern, die sich Sorgen machen um ihre Kinder und sich hilflos fühlen“, sagt Eva Zoske-Dernóczi. Auch dann hilft das multiprofessionelle Team.
Großer Rückhalt für das Take-Care-Team
Der Rückhalt an der Schule sei groß, freut sich die Schulseelsorgerin. Zu Beginn jedes Schuljahres stellt sich das Take-Care-Team den Schülerinnen und Schülern in der Aula vor. Lehrerinnen und Lehrer verteilen im Unterricht Flyer. Und gelegentlich schicken Kolleginnen und Kollegen ihre Schülerinnen und Schüler auch gezielt in die offene Sprechstunde – weil sie wissen, dass die jungen Menschen hier echte Unterstützung finden.