Franz Alto Bauer: Phidias in Konstantinopel?
Reale und virtuelle Präsenz eines Künstlers und seines Kunstwerks.
(Ananeosis 1) Schnell+Steiner 2024.
168 Seiten, fadengeheftet.
ISBN 978-3-7954-3920-0.
40 €.
Den Allmächtigen im Bild gestalten:
Das Idealbild des Phidias von Zeus als Vorbild für christliche Künstler?
Eine Rezension von Christoph Auffarth
Kurz: Konnten sich christliche Künstler in der neuen Hauptstadt Mitte des 5. Jahrhunderts ein Bild zum Vorbild nehmen: Stand der Zeus aus Olympia des Phidias für eine Zeitlang in Konstantinopel? Franz Alto Bauer verneint diesen liebgewordenen Mythos, führt damit aber sehr gut ein in die spätantiken Vorstellungen von Kunst als Abbild Gottes.
Ausführlich:
Das berühmte Bild des Zeus in Olympia, erschaffen von dem Genie Phidias in der klassischen Epoche der Griechen, wurde im fünften Jahrhundert nach Christus (also rund 750 Jahre später) nach Konstantinopel in die Hauptstadt des Römischen Reiches gebracht und dort mit anderen Meisterwerken griechischer Künstler neu ausgestellt zu werden – im Umbruch zu einem christlichen Reich „Byzanz“.[1] Das behauptet jedenfalls ein Historiker um das Jahr 1000, Kedrenos in seiner Weltchronik.[2] Das neue Buch von Franz Alto Bauer, der schon mehrere Bücher zur Stadt, Plätzen und Kunstwerken der Spätantike veröffentlicht hat,[3] untersucht nun die Wahrscheinlichkeit dieser Nachricht. Sicher, die Notiz bei Kedrenos ist ziemlich fragwürdig, wenn er neben den Wunderwerken antiker Götterstatuen auch von einer Abschrift der beiden homerischen Epen auf einer Drachenhaut berichtet. Doch das genügt FAB nicht, er untersucht gründlich die Möglichkeiten: welche Statuen sind genannt, kann man solche fragilen Statuen transportieren, waren diese Götterbilder überhaupt noch an Ort und Stelle? Die Meisterwerke wurden vielfach kopiert. Im Fall des Zeus von Olympia, wo das Original von vielen Autoren bewundert, aber nie präzise beschrieben ist, oder der Athena vom Parthenon, die in einem Brand zerstört wurde, noch ehe der Tempel der Athene zur christlichen Kirche umgenutzt wurde. Wie das Kultbild des Phidias unterging, lässt sich nur erahnen, sicher fehlten kontinuierliche Institutionen zur Pflege des empfindlichen Kunstwerks. Mit Blick auf die Verhältnisse in Olympia sind zwei ältere Thesen nicht mehr gültig: (1) Alfred Mallwitz vermutete, dass mit dem Einfall der Heruler auf die Peloponnes Kult und Spiele in Olympia endeten.[4] (2) Eine Festung wurde in Olympia gebaut, die den Zeus-Tempel einschloss. Zwischen die Säulen wurden Bronze-Statuen von den Wiesen rund ums Heiligtum in die Festung hereingeholt. Die Festung galt als Schutzbau gegen die Heruler, neuere Forschungen datieren sie aber erst ins fünfte Jahrhundert. Interessant noch: Die Säulentrommeln des Zeustempels liegen so wie Dominosteine (Versturzlage), wie sie nicht durch ein Erdbeben hervorgerufen werden, sondern mutwillig heruntergestürzt wurden (Abb. S. 82). Wenn es das Zeus-Bild in Olympia noch gab, dann war zu seiner Sicherung die Festung gebaut worden.
Doch damit ist das Thema nicht abgeschlossen. Denn „das Zeusbild [des Phidias galt ja] als Inbegriff künstlerischer Perfektion“ (83-107); man zählte es unter die sieben Weltwunder.[5] Die materielle Ausformung einer immateriellen Gottheit kritisierte Platon ähnlich, wie er die Erzählungen über Götter als Mythen kritisierte, aber im Neuplatonismus gewann das ‚Erschaffen‘ eines Bildes geradezu göttliche Qualität, etwa bei Plotin (98).[6] “Mit dem elfenbeinernen Zeus des Phidias, den Perikles im Tempel von Olympia aufstellen ließ, gelangte […] ein Bild des Olympischen Zeus nach Konstantinopel, nicht aber als materielles Werk, sondern als Gegenstand der Phantasia, […] in jedem Fall aber volatil und abgekoppelt von der Monumentalstatue in Olympia“ (107). Das heißt, FAB rechnet damit, dass es auch kein anderes Bild, eine Kopie des Zeus von Olympia in Konstantinopel gegeben habe musste (wie beispielsweise das S. 8 abgebildete Marmorbild in der Eremitage von St. Petersburg, fünf Meter hoch), um dennoch diesen Zeus als schlechthin kongeniale materielle Darstellung des höchsten Gottes zu verstehen. Eine wichtige Diskussion zur Ekphrasis ist angeschlossen, da sie neben der ‚Bildbeschreibung‘ die emotionale Erregung bei den Betrachtenden einbezieht (124-130). Am Schluss diskutiert FAB sehr knapp in einem ‚Epilog‘ (131-133) die Frage, ob das Bild des Phidias vom obersten Gott das Christusbild beeinflusst haben könnte. Er erzählt die Anekdote von dem Maler, der zur Zeit des Patriarchen Gennadios (458-471 n.Chr.) das Christusbild nach dem Vorbild des Zeus (ἐν τάξει Διός) gemalt habe. Als Strafe dafür sei ihm die Hand verdorrt. Der Patriarch dagegen heilte ihn durch das Gebet. Der Historiker der Anekdote fügt hinzu, dass der Christus mit kurzem lockigem Haar die authentischere Darstellung (σχῆμα ἀληθέστερον) sei.[7] Mit dem Pantokrator mit wallendem Haar und Vollbart wurde die Darstellung kanonisch. Ein ähnliches Epigramm auf Phidias von Philippos aufgreifend zu Phidias Bilderfindung „Kam wohl vom Himmel der Gott, um selbst Dir sein Antlitz zu zeigen, oder stiegst Du hinauf, Phidias, um ihn zu sehen?“[8] schreibt ein Byzantiner im 12. Jh. das gleiche dem Maler Eulalios zu, der in der Apostelkirche in Konstantinopel die Kuppel mit dem Pantokrator ausmalte. Hier müsste freilich noch vieles diskutiert werden, was über das selbstgesteckte Ziel dieses Buches hinausgeht, aber eigentlich die Fragestellung zentral berührt: Welche Bedeutung hatte der Zeus des Phidias in der christlichen Stadt Konstantinopel?[9]
So bleiben offene Fragen: Die These, dass es ein materielles Bild des Zeus in Konstantinopel gegeben habe, ist für die gold-elfenbeinerne Statue des Phidias jetzt so gut wie ausgeschlossen. Aber damit ist noch nicht gesagt, dass ein anderes Zeusbild die öffentliche Meinung erregte. Die Anekdote von Gennadios‘ Heilung der Hände des Malers, der das Bild des Allmächtigen für die Darstellung Christi verwendete, lässt zwei Aussagen zu: (1) Es gab Theologen, die die Verwendung des Zeusbildes für blasphemisch hielten. (2) Der regierende Patriarch aber griff ein und bestätigte die Berechtigung der Übertragung auf Christus als Pantokrator. Der Zeitansatz trifft die bisher angenommene Zeitspanne Mitte des 5. Jahrhunderts. Woher kommt diese plötzliche Aufregung und Debatte, wenn doch der Zeus des Phidias schon eine lange Zeit als Heruler das Idealbild des obersten Gottes galt?
Die Fragen schmälern nicht die großartige, sehr gut (exzellent gedruckte) Bilder[10] und Texte verbindende Darstellung vom Selbstverständnis spätantiken Kunstverständnisses in der Konfliktzone zwischen ‚heidnischer‘ und ‚christlicher‘ Kunst und einer gemeinsamen Ästhetik in dieser Epoche.
Bremen/Wellerscheid, 3. Oktober 2024 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen
E-Mail: auffarth@uni-bremen.de
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[1] Das römische Reich behauptete sich rund tausend Jahre, nachdem der westliche Teil untergegangen war. Seine Einwohner verstanden sich als Römer Ρωμαῖοι. Westliche Wissenschaftler aber verpassten dem verbliebenen Reich – der westliche war ja untergegangen – den Namen Byzanz, den verächtlichen Namen der Siedlung Byzantion, über der Kaiser Konstantin seine nach ihm benannte neue Hauptstadt bauen ließ.
[2] Die Quellen in deutscher Übersetzung sind jetzt leicht zugänglich in dem Buch zu antiken Künstlern Der Neue Overbeck. Die antiken Schriftquellen zu den bildenden Künsten der Griechen. Hrsg. Sascha Kansteiner; Klaus Hallof; Bernd Seidensticker, Sebastian Prignitz. 5 Bände. Berlin: De Gruyter 2014. ²2022. [Rez. Auffarth in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 23 (2015), 398-416]. Die Quellen zum Zeus in Olympia DNO 2, 221-284, Nr. 942-1020.
[3] Franz Alto Bauer (Jahrgang 1965) ist seit 2006 Professor für spätantike und byzantinische Kunstgeschichte an der LMU München. Promotion in München bei Johannes Deckers. Herbst 2001 Habilitation an der Universität Basel (bei Beat Brenk). Seine Homepage (25.9.2024) Franz Alto Bauer – Byzantinistik, Byzantinische Kunstgeschichte und Neogräzistik – LMU München (uni-muenchen.de).
[4] Alfred Mallwitz war der Bauforscher der Olympiagrabung und präsentierte (zur Olympiade in München) die Ergebnisse: Olympia und seine Bauten. München: Prestel 1972, Chronologie 313.
[5] Hier kann FAB auf der wichtigen Studie von Thomas Pekáry aufbauen: Phidias in Rom. Beiträge zum spätantiken Kunstverständnis. (Philippika 16) Wiesbaden: Harrassowitz 2007.
[6] Erfreulicherweise sind Begriffe auch in griechischer Schrift gedruckt. Noch nicht kennen konnte FAB Irmgard Männlein-Robert: Mystik und Allegorese. Der Platoniker Porphyrios über Götterstatuen (Περὶ ἀγαλμάτων). Eine Studie zur spätantiken Religionsphilosophie. (Roma Aeterna 16) Stuttgart: Steiner 2024.
[7] FAB 131. Theodoros Anagnostes, hist eccl. 1,15, p. 107 Hansen.
[8] FAB 91-93. In der Anthologia Palatina 16,81.
[9] Auffällig ist, dass sich das Christusbild grundlegend wandelt vom ‚Prinzenbild‘, dem sehr jungen, bartlosen Teenager mit der am Kaiserhof modischen hellen Kurzhaarfrisur zum Mann mittleren Alters mit vollem dunklen Haar und Vollbart als ‚Pantokrator‘. Möglicherweise ist die Abkehr vom kaiserlichen Prinzen zum Lehrenden und segnenden Weisen bzw. zum Bild des allmächtigen Gottes in der Spiegelung des Zeus des Phidias eine Folge der Erosion kaiserlicher Macht, sichtbar in der Eroberung des ‚ewigen‘ Rom durch die Goten 410 n.Chr. Die Zeitspanne zwischen dem Transport und Aufstellung des Zeus von Olympia im Viertel des Lausos etwa 431 und dem Brand 475 war attraktiv, ist aber durch die Argumentation FABs nicht mehr als Argument zu gebrauchen. Von dem nun fehlenden Argument ist nicht berührt, im Gegenteil in FABs Buch herausgearbeitet, dass der Zeus des Phidias das ideale Bild des höchsten Gottes war und blieb. Die Datierung der Veränderung des Christusbildes (Gott Vater bleibt im Osten für eine bildliche Darstellung tabu) ist zu präzisieren. Dazu Martin Büchsel: Die Entstehung des Christusporträts. Bildarchäologie statt Bildhypnose. Mainz am Rhein: von Zabern 2003, ³2007. Christoph Auffarth: Das angemessene Bild Gottes: Der Olympische Zeus, antike Bildkonvention und die Christologie. In: Natascha Kreutz; Beat Schweizer (Hrsg): Tekmeria. Archäologische Zeugnisse in ihrer kulturhistorischen und politischen Dimension. Beiträge für Werner Gauer. Münster: Scriptorium 2006 [Mai 2007], 1-23. Christoph Auffarth: The Materiality of God’s Image: Olympian Zeus and the Ancient Christology. In: Jan N. Bremmer; Andrew Erskine (ed.): The Gods of Ancient Greece: Identities and Transformation. (Edinburgh Leventis Studies 5) Liverpool 2010, 465-480.
[10] Alle Bilder sind sehr gut ausgewählt und hervorragend reproduziert. Besonders aufgefallen sind mir der Zeus aus der Eremitage S. 8, das Gemälde des Joseph Dorffmeister „Phidias die Zeusbüste vollendend“ 1802, S. 93, und die Rekonstruktion der Zeusstatue im Lausospalast, die Antoine Helbert 2018 in Farbe gezeichnet hat, obwohl da schon bekannt war, dass der Lausos-Palast nicht der Neun-Konchen-Halle der Archäologie entspricht (S. 128f).